Der Zauber wirkt noch immer: die britische Schauspielerin Emma Corrin als Lady Diana Spencer Foto: Netflix/Des Willie

In der vierten Staffel der Netflix-Serie „The Crown“ ist es so weit: Lady Diana tritt auf – und spricht ihr folgenschweres „I will“. Aber hat die neue Runde der erfolgreichen Serie auch sonst genug zu bieten?

Windsor - Was für eine grandios inszenierte Szene: Charles, der inzwischen 30-jährige Prince of Wales, besucht 1978 Sarah Spencer, eine seiner zahlreichen Geliebten, auf deren Familiensitz. Draußen stehen schon die Pferde bereit; gleich soll’s zu einem einsamen Gutshof gehen, und dann ab in die Betten. Doch vorher muss noch Geschäftliches erledigt werden; Sarah lässt Charles für ein paar Minuten allein in der Halle zurück.

Plötzlich – ist das echt? – hüpft im Gegenlicht eine halb nackte Elfe durchs Bild, von einem großen Pflanzentopf zum nächsten, versteckt sich hinter den Blättern; ein schmales Etwas, von dem weder Charles noch der Zuschauer das Gesicht recht erkennen kann. Es ist Sarahs jüngere Schwester Diana, fertig kostümiert für eine Theaterprobe zu Shakespeares „Sommernachtstraum“, und sie muss dringend ins Zimmer gegenüber, obwohl Sarah ihr streng verboten hat, dem Prince of Wales vor die Füße zu laufen. Der ist amüsiert über das Versteckspiel, neckt das offenbar deutlich jüngere Mädchen.

Diesem Anfang wohnt nun wirklich ein Zauber inne. Aber es ist ein bitter Zauber, denn der Zuschauer weiß natürlich um das sichere Ende dieser Geschichte, das tragische Ende der Elfe. Und deswegen gähnt selbst in dieser wunderbar leichten Filmszene prompt ein dunkler Abgrund auf. Kann man das besser machen? Kaum.

Eine Jahrhundertgeschichte

Das ist ja das Besondere an diesem Großserien-Projekt „The Crown“, in das Netflix seit 2016 so enorm viel Geld steckt und das mit großen Künstlernamen wahrlich nicht geizt: Es erzählt eine Jahrhundertgeschichte, die uns allen vom Boulevard und von den Vermischten-Seiten unserer Zeitungen wohlbekannt ist, uns selbst schon ein Leben lang begleitet – die Regentschaft der Königin Elisabeth II. und ihrer Familie. Nichts, was hier geschieht, von der Hochzeit mit Prinz Philip zum Auftakt der ersten Staffel bis jetzt zur Diana-Geschichte in Staffel vier, ist uns neu und unbekannt. Der Autor Peter Morgan, der 2006 schon das Drehbuch für Stephen Frears’ Kinofilm „The Queen“ schrieb, hält sich streng, soweit bekannt, an die äußeren Fakten.

Aber faszinierend und ungemein spannend ist just die künstlerische Verdichtung des allseits bekannten hin zum großen Familien- und Psychodrama. Es geht um Hoffnungen und Ausbruchsversuche, um Kränkungen und Machtkämpfe – und gerade in der vierten Staffel fühlt man sich bei einigen Szenen endgültig wie in einem Königsdrama von Shakespeare. Sicher, einst und zu Zeiten des großen Dichters hatten die englischen Monarchen natürlich noch politische Macht. Die fehlt der Familie Windsor heute vollkommen. Aber die Queen und ihre Royal Family bleiben als Symbol das Herz von Staatswesen und Gesellschaft – gerade das, so erzählt es „The Crown“ absolut nachvollziehbar, verschärft in diesem Mikrokosmos alles Zwischenmenschliche schnell wie im Brennglas zum kriegerischen Akt. Nichts furchtbarer, als wenn eine Familie keinen anderen Lebenssinn hat als eben diesen: Familie zu sein.

Margaret Thatcher trägt königsblau

Zudem bettet „The Crown“ seine Story perfekt in die britische Zeitgeschichte ein. Ebenfalls in der ersten Episode der vierten Staffel begegnet der Zuschauer der neuen Premierministerin Margaret Thatcher. Vor der Queen macht sie einen extrem tiefen Knicks als Zeichen der Ehrerbietung – und ist sicher nicht zufällig komplett in Blau gekleidet, eigentlich die Farbe der Könige. Thatchers harte neoliberale Politik wird Elisabeth und deren Neutralitätsgebot im Folgenden auf eine harte Probe stellen.

Grandios wird das gespielt von Gillian Anderson (exakt: bekannt aus „Akte X“ als FBI-Agentin Dana Scully) als Maggi Thatcher (wir tippen schwer auf einen Emmy im nächsten Jahr) und natürlich von Oscar-Gewinnerin Olivia Colman, die auch in dieser Staffel die Queen ist und immer mal wieder trotzig-sauer ihre Schnute zieht (auf gut English: „to curl her lips“; oder noch besser: „pull a pout“).

Ein Bombenanschlag in der ersten Folge

Überhaupt, diese Schauspieler: Emma Corrin als Diana, eine Entdeckung: niemals in der Versuchung, durch reine Äußerlichkeiten einen Look-a-like-Wettbewerb mit den ja längst ikonischen Diana-Fotos anzustreben – ganz konzentriert auf Psychologie und Charakter. Ihr ganz pointiertes Spiel reizt auch Josh O’Connor, den Kinofreunde 2017 in dem britischen Schwulendrama „God’s own Country“ schätzen gelernt haben und der in „Crown 4“ wieder Prinz Charles spielt, zu Meisterleistungen. Die unstillbare Sorge, der Last einer niemals freiwillig angenommenen Rolle nicht gewachsen zu sein – O’Connor kann sie in einem einzigen Augenaufschlag zum Ausdruck bringen.

Aber erst die Regie Ben Carons macht aus alledem ein Kronjuwel. Gleich in der ersten Folge droht ein großer Einschnitt; ein Bombenanschlag der IRA trifft die königliche Familie. Wie es Caron gelingt, eine lange, ruhige Folge eigentlich höchst idyllischer Bilder von einer Moorhuhnjagd in Schottland, einem Lachsfischen auf Island und einer Kutterfahrt vor der irischen Küste so zu verschränken, dass die Spannung bis zum Siedepunkt gesteigert wird – das ist eben nicht nur TV-, sondern Filmkunst auf höchstem Niveau, wie man es auch vielen Kinoproduktionen viel öfter wünscht.

Die Familie bricht auseinander

Die vierte „Crown“-Staffel endet mit dem Sturz Thatchers als Premierministerin 1990. Die britische Politik liegt in Scherben – so wie die Royal Family, in der gerade die Ehen der Prinzen reihenweise in die Brüche gehen. Staffel fünf und sechs sind bei Netflix in Planung. Und die Royal Familiy liefert ja bekanntlich aktuell reichlich Stoff für weitere Fortsetzungen. Auch deshalb: God save the Queen!

Ab Sonntag, 15. November, auf Netflix verfügbar.