Meister der breitbeinigen Selbstinszenierung: Alec Völkel von Bosshoss Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Oben-ohne-Posen, Stromgitarren, Flammenwerfer: The Bosshoss inszenieren sich in der Schleyerhalle als handfeste Cowboy-Rocker – und als soziologische Dinosaurier.

Stuttgart - Ein buntes Völkchen tummelt sich seit geraumer Zeit in deutschen Konzerthallen. Kutten-Combos wie Subway To Sally oder In Extremo füllen mit mittelalterlichem Mummenschanz und metallisch-folkloristischem Goth-Rock selbst Zehntausender-Arenen, eine Liga darunter geben Santiano die kantigen Nordmänner mit maritimer Seele und die Musketiere von Dartagnan verkörpern – hossa! – die Mantel-und-Degen-Abteilung. Alle zusammen bieten kulturelle Fluchtburgen als traditionalistische Gegenpole zu einer immer komplexeren Welt voller rapide sich verändernden Strukturen.

Die Nummer eins als „Cowboy-Rocker“ sind seit fünfzehn Jahren natürlich die Männer von The Bosshoss, was insofern kein großes Kunststück ist, als dass die Berliner Band in diesem Genre quasi immer noch ohne Konkurrenz agiert. Möglicherweise aber hat der Bosshoss-Hype mittlerweile seinen Zenit erreicht. Beim Konzert am Samstagabend ist die Schleyerhalle mit nach Veranstalterangaben rund 8000 Fans nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt – am Abend zuvor hatten sogar die Leichtgewichtspopper von Revolverheld mehr Besucher angelockt.

Willkommen im musikalischen Western-Themenpark

Die aber, die gekommen sind, erleben eine Show, die alles bringt, was man von einem BossHoss-Auftritt erwarten darf – scheinbar unausrottbare Männer- und Frauenmarotten inklusive. Stilecht mit Fransenlederjacke, Nietenweste, Stetson und Westernboots ausstaffiert, setzt das Septett um die Platzhirsche Alec „Boss Burns“ und Sascha „Hoss Power“ Vollmer sein selbstkreiertes Genre in Szene. Die Bläser-Kompagnons von The Tijuana Wonderbrass, diesmal in Triobesetzung mit dabei, sind in mexikanische Ponchos gewandet und tragen wagenradgroße Sombreros. André „Guss Brooks“ Neumann zupft einen Kaventsmann von Kontrabass, auf der gegenüberliegenden Bühnenseite sorgt Stefan „Russ T. Rocket“ Buehler mit jeder Menge scharfkantiger Gitarrensoli für rockigen Drive, zwischendrin knüppeln zwei Schlagzeuger schwergewichtige Beats. Lediglich Multiinstrumentalist Malcolm Arison fällt mit angelsächsischem Trilby optisch etwas aus der Reihe, erweist sich mit bluesigem Mundharmonikaspiel, Waschbrett und allerlei Saitensounds aber als substanzieller Bestandteil des Gruppenklangs.

Die Kulisse dazu liefert die aktuelle Platte „Black is beautiful“ mit drei im Look des Albums gehaltenen Deckenelementen, im Hintergrund ergänzt eine Bar die Szenerie. Etwas sehr dunkel wirkt dieses Bühnenbild zunächst, wird aber von einer üppigen Lightshow alsbald ausreichend aufgehellt; außerdem darf ein halbes Dutzend Flammenwerfer etliche Gallonen Flüssiggas abfackeln. Unbedingter Bestandteil dieses archaischen Gesamtpakets: ein paar kernige Männerposen und die Bosshoss-typischen Outlaw-Fantasien. Schließlich verkauft diese Themenwelt auch das dazugehörige Lebensgefühl: die Sehnsucht nach Freiheit, Unabhängigkeit und Abenteuer, entsprechende weibliche Begleitung inklusive.

Breitbeiniger und breitwandiger Gitarrenrock

Vor allem Alec Völkel zeigt ein ausgeprägtes Bedürfnis in Sachen Selbstinszenierung und absolviert fast das komplette Schlussdrittel des gut zweistündigen Abends mit entblößtem Oberkörper; der sorgsam trainierte und tätowierte Body muss schließlich ausgeführt werden. Lohn der Mühen: ein roter BH, der aus dem Publikum auf die Bühne gereicht und fortan als Trophäe im Tresenbereich ausgestellt wird. Denn „die Damen behandeln wir wie Göttinnen“, versichert Hoss Power – lässt aber immerhin anklingen, dass die Männerwelt bekanntlich viele Göttinnen kennt.

Breitbeinig und breitwandig gibt sich die Musik dazu. 2019 stehen The Bosshoss für einen wummsigen Gitarrenrock, der sich zunehmend von seinen einstigen Country-Wurzeln entfernt und auf ziemlich explizitem Lautstärkepegel unterwegs ist. Sogar Dolly Partons „Jolene“, im Original ein gemütlicher Schunkler, walzt sich hier mit schwerem Beat und fetter Gitarre kompromisslos Richtung Dancefloor voran. Und eine andere Gangart als den „volle Kraft voraus“-Modus kennt diese Musik in der Schleyerhalle nicht, kraftmeierisch rauschen The Bosshoss durch Hits wie „Dos Bros“, „Don’t Gimme That“ und „Bull Power“.

Tijuana Wonderbrass und Seasick Steve sorgen für Stimmung

So sind es letztlich die Jungs von Tijuana Wonderbrass und das amerikanische Blues-Urgestein Seasick Steve als Tourneegast, die diesem sich im Verlauf des Abends immer stärker abnutzenden Sound mit Bläserwucht beziehungsweise selbstgebastelter E-Gitarre die nötigen südstaatlichen Stimmungen einimpfen. Für „Word up“ als Rausschmeißer und letzter von vier Zugaben widmen sich die beiden Hauptstadt-Desperados Boss Burns und Hoss Power schließlich nochmals ihren persönlichen Göttinnen und bitten – oder soll man sagen: nötigen? – rund fünfundzwanzig Frauen aus dem Publikum auf die Bühne; auf der Videowand im Hintergrund räkeln sich dazu die Silhouetten von Damen aus der Rotlichtbranche in den entsprechenden Posen: letzte, sinnbildliche Szene für ein Milieu, in dem die Geschlechterrollen noch in ziemlich dinosaurierartiger Manier verteilt sind.