In einem Stahlschrank lagert Stephanie Rudorf Konservierungsmittel. Foto: Michael Käfer

Recht, Anatomie, Mikrobiologie und Chemie – die Thanatopraktikerin Stephanie Rudorf ist auf vielen Gebieten spezialisiert. Wegen Corona muss die Angestellte des Fellbacher Bestattungsinstituts Paul Hofmeister außerdem etliche Besonderheiten beachten.

Fellbach - Der Vorher-nachher-Effekt ist phänomenal: Weil ein älterer Mann vor seinem Tod an einer Gelbsucht litt, ist sein Gesicht dunkelgelb verfärbt. Seine Angehörigen möchten sich aber am offenen Sarg von ihm verabschieden und ihn so in Erinnerung behalten, wie er zu Lebzeiten war. Das ist ein typischer Fall, in dem Stephanie Rudorf zum Einsatz kommt: Die 26-jährige Frau ist Thanatopraktikerin.

In Corona-Zeiten gibt es für Thanatopraktiker etliche Besonderheiten zu beachten

Hinter der etwas sperrigen Bezeichnung verbergen sich spezielle Kenntnisse, die es ihr ermöglichen, Verstorbene einerseits für einen begrenzten Zeitraum zu konservieren und andererseits das äußere Erscheinungsbild eines Verstorbenen wieder herzustellen. Typischerweise ist die beim Fellbacher Bestattungsinstitut Paul Hofmeister Angestellte immer dann gefragt, wenn sich Trauernde vom Verstorbenen am offenen Sarg verabschieden wollen und ihren Angehörigen trotz eines Unfalls oder einer entstellenden Krankheit so in Erinnerung behalten möchten, wie er zu Lebzeiten ausgesehen hat. Aus infektionsschutzrechtlichen Gründen ist außerdem in den meisten Ländern vor der Überführung eines Verstorbenen ins Ausland ebenfalls eine Konservierung vorgeschrieben.

In Corona-Zeiten gibt es für Thanatopraktiker etliche Besonderheiten zu beachten: „Ein Corona-Opfer darf ich nicht einbalsamieren“, sagt Stephanie Rudorf. Bei anderen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose ist das jedoch häufig möglich. Aktuelle Informationen zum Vorgehen holt sich die Expertin beim Robert-Koch-Institut. Als durch die Pandemie die Einschränkungen für Trauerfeiern noch stärker waren als aktuell, verschoben manche Familien eine Beisetzung, und die Fertigkeiten von Stephanie Rudorf waren vermehrt gefragt. Auch generell steigt die Nachfrage nach den Dienstleistungen von Thanatopraktikern. Das gilt vor allem für die westlichen Bundesländer. „In den vergangenen zehn Jahren hat sich unheimlich viel getan“, sagt Stephanie Rudorf über das sich ständig erweiternde Wissen in ihrem Beruf.

Rein praktisch kommen bei Einbalsamierungen neben verschiedenen Kosmetika zur optischen Wiederherstellung auch größere Mengen von Konservierungsmitteln zum Einsatz

Vor der dreiteiligen Theorieprüfung und ihrem praktischen Examen musste sie sich umfangreiche rechtliche, geschichtliche, anatomische, mikrobiologische und chemische Fachkenntnisse aneignen. Letztere sind ein Interessenschwerpunkt der aus Nordhausen im thüringischen Teil des Harz stammenden Frau, die ursprünglich mit einem Chemiestudium geliebäugelt hatte. Der parallel zum Abitur ausgeübte Nebenjob bei einem Bestatter fand jedoch ihr Gefallen. In ihrer Heimat waren Ausbildungsplätze zur Bestattungsfachkraft jedoch Mangelware, zumal nicht jeder Chef der zierlichen Frau den Transport von schwergewichtigen Verstorbenen zutraute. In Frankfurt am Main war das offenbar kein Problem, und bereits vor dem Start ihrer Berufsausbildung stand für Stephanie Rudorf fest, dass sie sich zur Thanatopraktikerin weiterbilden lassen wollte.

Rein praktisch kommen bei Einbalsamierungen neben verschiedenen Kosmetika zur optischen Wiederherstellung auch größere Mengen von Konservierungsmitteln zum Einsatz. „Die Einbalsamierung geschieht über einen Flüssigkeitsaustausch“, erklärt Stephanie Rudorf, die bereits mehrere Hundert Tote behandelt hat. Zuvor müssen Blut und andere Körperflüssigkeiten entfernt werden.

Zudem gibt es Mittel, um etwa die unschöne Verfärbung eines Gelbsuchtpatienten rückgängig zu machen. Dazu nutzt Rudorf die Adern des Körpers. Bei Unfallopfern kann eine niedrige zweistellige Zahl an Zugängen nötig sein, manchmal reicht ein einziger aus. In allen Fällen handelt es sich um eine Kurzzeitkonservierung, die lediglich Wochen oder Monate überbrücken soll. Eine dauerhafte Erhaltung des Körpers ist nicht gewünscht und würde auch heutigen Gesetzen widersprechen.

Vom Nutzen ihrer nicht ganz alltäglichen Arbeit ist Stephanie Rudorf überzeugt, ermöglicht sie den Hinterbliebenen doch einen würdevollen Abschied am offenen Sarg. „Trauerpsychologisch ist das ganz wichtig“, sagt die Thanatopraktikerin. Im Fall des älteren Herrn mit der Gelbsucht ist das gelungen. Er hatte einen wie zu Lebzeiten frischen Teint, als sich seine Angehörigen verabschiedeten.

Einbalsamierung und Mumifizierung

Der Wunsch, das Aussehen Verstorbener aus religiösen, politischen oder anderen Gründen zu bewahren, besteht bereits seit Jahrtausenden. Von Einbalsamierung ist die Rede, wenn es um eine übergangsweise Konservierung des Verstorbenen geht. Vieles deutet darauf hin, dass sich der Begriff von der Praxis ableitet, Körper verstorbener Menschen mit ätherischen Ölen oder Balsamen in Kombination mit Harzen zu behandeln. Vor allem im Orient war im Altertum der Gebrauch von Balsam bei Toten weit verbreitet. Im Neuen Testament ist im Zusammenhang mit der Grablegung Jesu Christi ebenfalls die Rede von der Salbung Verstorbener. Die Gründe dafür dürften den heutigen – der hygienischen Totenversorgung durch den Bestatter – sehr ähnlich gewesen sein.

Diese Form der Einbalsamierung eines Verstorbenen hat jedoch nichts zu tun mit der langfristigen Konservierung der Toten wie beispielsweise im Alten Ägypten. Dort wurde die Mumifizierung angestrebt, dies ist nicht das Anliegen der Thanatopraxie. Die Maßnahmen des Thanatopraktikers stellen dagegen sicher, dass sich der Zustand des Leichnams nicht verändert. Dadurch ist ein pietätvolles, persönliches Abschiednehmen am offenen Sarg möglich. Die Form der endgültigen Bestattung ist davon unabhängig und kann entweder durch Begräbnis oder Kremation erfolgen