Auch die Ausgaben der Krankenversicherung steigen. Foto: dpa

In Deutschland sind 2015 so viele Sozialleistungen wie noch nie gezahlt worden. Auch die Sozialabgabenlast steigt. Sie dürfte 2017 wieder über die 40-Prozent-Marke klettern. Die Wirtschaft zeigt sich alarmiert, manche Vertreter der Politik ebenfalls.

Stuttgart/Berlin - Deutschland hat es gut. Die Arbeitslosigkeit befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit 1991. Halb Europa beneidet uns darum. Die hohe Erwerbsquote spielt über die Sozialbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern viel frisches Geld in unsere Sozialversicherungssysteme. Allerdings – und das ist die weniger gute Nachricht – korrespondieren die hohen Einnahmen mit steigenden Ausgaben.

Im vergangenen Jahr sind hier zu Lande nämlich so viele Sozialleistungen wie noch nie gezahlt worden. Das sogenannte Sozialbudget lag bei 888,2 Milliarden Euro und damit 4,5 Prozent höher als 2014 (849,8 Milliarden), wie das Bundessozialministerium am Donnerstag in Berlin bestätigte.

Die höchsten Einzelposten waren demnach die Rente mit 282,4 Milliarden Euro, die Krankenversicherung mit 211,9 Milliarden Euro sowie die Beamten-Pensionen mit 52,9 Milliarden Euro. Den Angaben zufolge überstiegen die Ausgaben für die Pflegeversicherung mit 28,9 Milliarden Euro erstmals die der Arbeitslosenversicherung (27,4 Milliarden).

Das Ministerium versuchte, die Zahlen einzuordnen. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung seien die Ausgaben nur wenig gestiegen, sagte ein Sprecher. Die Sozialleistungsquote, die das Verhältnis der Sozialleistungen zum Bruttoinlandsprodukt beschreibt, habe 2015 bei 29,4 Prozent gelegen, 2014 bei 29,1 Prozent. Seit 2009 bewege sich die Quote zwischen 28 und gut 30 Prozent.

Reformen treiben das Sozialbudget

Der Sprecher verwies zudem darauf, dass die Höhe des Sozialbudgets von verschiedenen Faktoren abhänge, unter anderem von der Wirtschaftsleistung. So zögen steigende Löhne höhere Rentenzahlungen nach sich, was sich gerade im laufenden Jahr stark bemerkbar mache. Zudem spiele die Demografie eine wachsende Rolle. In einer alternden Bevölkerung steige einerseits die Zahl der Rentner, andererseits nähmen die Gesundheitsausgaben zu.

Das ist alles zutreffend, aber die ganze Wahrheit ist es nicht. In einer aktuellen Analyse der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) wird detailliert aufgeschlüsselt, wie die jüngsten Reformen der schwarz-roten Bundesregierung das Sozialbudget in die Höhe treiben. So bringen die seit 2014 abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren allein bis 2019 Leistungsausweitungen in Höhe von knapp 86,8 Milliarden Euro. Und längst nicht alle Reformen sind demografisch gut zu begründen.

Arbeitnehmer und Arbeitgeber bekommen den Reformeifer im kommenden Jahr zu spüren. Zum 1. Januar dürfte die Sozialabgabenlast, die derzeit noch bei 39,8 Prozent vom Bruttoentgelt liegt (siehe Grafik), mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder die 40-Prozent-Marke reißen. Der Pflegebeitragssatz steigt um weitere 0,2 Prozentpunkte. Zudem scheint sich abzuzeichnen, dass der Zusatzbeitrag in der Krankenversicherung, der allein zu Lasten der Arbeitnehmer geht, nochmals um 0,1 bis 0,2 Punkte zulegt. Weil Beitragssenkungen in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung nicht in Sicht sind, wären damit 40,2 Prozent erreicht. Der Faktor Arbeit würde sich entsprechend verteuern.

Von Stetten: Alle Alarmglocken müssen läuten

„Die große Koalition hat sich von der guten Finanzlage der Sozialversicherung zu einer teuren und zum Teil rückwärtsgewandten Sozialpolitik verleiten lassen“, heißt es in der BDA-Analyse. Verwiesen wird etwa auf die Mütterrente sowie auf die abschlagsfreie Rente mit 63.

Mit Christian Freiherr von Stetten kritisiert auch ein Unionspolitiker den Kurs von Schwarz-Rot. „Wenn in wirtschaftlich starken Zeiten die Sozialabgabenlast auf über 40 Prozent steigt, müssen alle Alarmglocken läuten“, sagte er unserer Zeitung. „Definitiv“ habe die Große Koalition durch ihre Beschlüsse die Sozialkosten „unsinnig aufgebläht“. Nicht zuletzt das „Rentengeschenk Rente mit 63“ werde für die Beitragszahler noch sehr teuer.

FDP-Chef Christian Lindner findet ebenfalls klare Worte. „Nach drei Viertel der Legislaturperiode kommt die Rechnung für die Happy Hour der Großen Koalition. Es wurden Wahlgeschenke verteilt und Leistungen ausgedehnt, als gäbe es kein Morgen mehr“, sagte er unserer Zeitung. Im Ergebnis bedeute das weniger Investitionen in die Zukunft und zusätzliche Belastungen für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. „Notwendig wäre eine Schubumkehr“, forderte der Liberale.