Tesla-Chef Elon Musk und Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Eröffnung der Tesla-Fabrik in Grünheide Foto: AFP/Patrick Pleul

Deutschland kann ein attraktiver Industriestandort bleiben – wenn es denn will, kommentiert Thorsten Knuf.

Für Regierungschefs und Minister gibt es unangenehmere Termine, als der Eröffnung einer neuen Fabrik beizuwohnen. Das gilt allemal in Zeiten, in denen Krieg in Europa herrscht und sich die Politik im Krisenmodus befindet.

Also fuhren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstag raus aus Berlin in den Vorort Grünheide, um an der Seite von Firmenchef Elon Musk den Betriebsbeginn im ersten europäischen Großwerk des amerikanischen Elektroautoherstellers Tesla zu feiern. Rund zwei Jahre hat der Bau der Fabrik gedauert. 12 000 Menschen sollen hier arbeiten, auf mittlere Sicht sollen bis zu 500 000 Autos pro Jahr vom Band laufen. Eine gigantische Batteriefabrik entsteht nebenan. Der Automobilbau in Deutschland hat ein weiteres Zentrum bekommen. Und es liegt nicht in Süddeutschland oder Niedersachsen. Sondern im Osten, in Brandenburg, zwischen Hauptstadt, Wäldern und Seen.

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Als Elon Musk Ende 2019 bei einem Termin in Berlin ankündigte, ganz in der Nähe eine „Gigafactory“ errichten zu wollen, war das eine Sensation: Um die Fabrik hatten sich etliche Standorte in Europa beworben. Und nun fiel die Wahl ausgerechnet auf die Region Berlin-Brandenburg, wo man seit der Wiedervereinigung noch zuverlässig jedes Großprojekt in den märkischen Sand gesetzt hatte. Für Branchenexperten war schon damals klar, dass der Bau der Elektroautofabrik einer Kampfansage an VW, Daimler und BMW gleichkam: Musk ging nicht nach Deutschland, obwohl es hierzulande bereits eine starke Automobilwirtschaft gibt. Sondern gerade deshalb. Rückblickend hat sich die Standortentscheidung als Treiber für den Umstieg der gesamten Branche vom Verbrenner auf den Elektromotor erwiesen.

Wichtig ist, dass die richtigen industriepolitischen Schlüsse aus der Tesla-Story gezogen werden. Der erste Schluss lautet: Der Elektromobilität gehört die Zukunft. Nur mit ihr wird auf absehbare Zeit wirkungsvoller Klimaschutz im Verkehrssektor möglich sein. Und nur mit ihr können Deutschland und Europa ihre Abhängigkeit von Erdöllieferungen aus autokratischen Ländern wie Russland wirkungsvoll reduzieren. Wenn Politiker „Technologieoffenheit“ im Autobau fordern, schüren sie die Illusion, dass sich die Verbrennertechnologie auf ewig wird konservieren lassen und der Strukturwandel nicht stattzufinden braucht.

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Der zweite Schluss lautet: Deutschland kann, wenn es denn unbedingt will, auch Großprojekte – und zwar schnell. Nur etwas mehr als zwei Jahre vergingen bei Tesla zwischen Ankündigung und Eröffnung. Was dort funktionierte, muss auch anderswo möglich sein: beim Ausbau der Stromtrassen etwa, bei den erneuerbaren Energien, bei Bahnprojekten oder jetzt beim Bau von Flüssiggasterminals. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren hierzulande müssen dringend kürzer werden – und es ist gut, dass die Bundesregierung daran arbeitet.

Der dritte Schluss lautet: Die Verfügbarkeit von Ökostrom ist für Industrieunternehmen zum zentralen Kriterium bei Standortentscheidungen geworden. Das war 2019 bei Tesla so. Und so es war zuletzt, als sich der US-Konzern Intel für Magdeburg als Standort einer riesigen neuen Chipfabrik entschied, und der schwedische Batteriespezialist Northvolt ankündigte, ein großes Werk in Schleswig-Holstein zu bauen. Auch die Wasserstoffwirtschaft dürfte vorrangig dort entstehen, wo es Windparks gibt. Diejenigen Gegenden in Deutschland, die beim Ökostromausbau bislang hinterherhinkten, sollten zusehen, dass sie schleunigst Anschluss finden. Auch im eigenen Interesse.