Nachrichtendienste überwachen Mails und soziale Netzwerke Foto: dpa/AP

Der Karlsruher Professor Jörn Müller-Quade warnt davor, dass US-Nachrichtendienste über E-Mail-Konten mehr als nur Terroristen jagen und zur Gefahr für den heimischen Mittelstand werden.

Karlsruhe - Der Karlsruher Professor Jörn Müller-Quade warnt davor, dass US-Nachrichtendienste über E-Mail-Konten mehr als nur Terroristen jagen und zur Gefahr für den heimischen Mittelstand werden.


Herr Professor Müller-Quade, hat der amerikanische Geheimdienstes NSA Ihnen schon ein Angebot als Internet-Spion gemacht?
Nein, das hat er nicht. Die Mitarbeiter der amerikanischen Dienste müssen ja auch Staatsbürger der USA sein.

Diese ganze Aufregung jetzt um mitgelesene E-Mails und abgehörte Telefonate – wer nichts zu verbergen hat, den kann das doch nicht aufregen.
Das mag auf den ersten Blick stimmen. Aber es geht ja deutlich darüber hinaus. Was jetzt offenbar wird ist, wie anfällig unsere vernetzte Gesellschaft für derartige Lausch- und Leseaktionen ist. Und die Perspektive, dass dies schon in naher Zukunft zunimmt, wo Kühlschränke, Heizungen und Fensterrollos mit Computern kommunizieren, die von überall auf der Welt zu steuern sind.

Bei aller Liebe: Wie viel Milch ich im Kühlschrank habe oder ob ich Käse kaufen muss, das interessiert amerikanische Spione nun wirklich nicht.
Da mögen Sie recht haben. Aber dieses System funktioniert ja auch bei mittelständischen Unternehmen. Bei Firmen, wie sie gerade hier in Baden-Württemberg angesiedelt sind und das wirtschaftliche Rückgrat bilden. Da macht es schon etwas aus, ob ich Wirtschaftsspionen meine Ideen, Firmenprobleme und Buchhaltung über kostenlose E-Mail-Accounts frei Haus liefere. Genau das tue ich, wenn ich meine Geschäftspost über kostenlose Konten wie beispielsweise von Google abwickele.

Aber Firmen wie Daimler, Porsche oder Bosch geben doch viel Geld dafür aus, dass ihre Netze sicher sind.
Die Frage ist doch auch, wie die Zulieferer solcher Firmen arbeiten. Unternehmen mit 20, 30 Mitarbeitern. Das Problem ist, dass Geheimdienste riesige Mengen von Daten sammeln und diese nutzen, um Profile von Unternehmen und Privatpersonen zu erstellen und mit ihnen zu arbeiten.

Na ja, Daten von einer Firma, die den Rückspiegel für einen Mercedes herstellt. Wie spannend!
Vergessen Sie nicht: Die Daten des Rückspiegelherstellers sind nicht die einzigen. Da kommen noch die des Kopfstützenlieferanten, des Stoßdämpferherstellers und des Tankdeckelproduzenten hinzu. Aus allen diesen Daten lässt sich schnell zusammensetzen, wie es um ein Unternehmen wirtschaftlich bestellt ist, wie viele Aufträge es hat oder an was es gerade entwickelt. Wir müssen uns davon lösen, nur den einzelnen, individuellen Datensatz zu betrachten.

Soviel Schaden wird dadurch schon nicht entstehen.
Das glauben Sie. Eine Studie unter knapp 600 deutschen Unternehmen aus dem vergangenen Jahr zeigte, dass die deutsche Wirtschaft 2012 mit 4,2 Milliarden Euro Schaden durch Wirtschaftsspionage rechnete. Tendenz steigend. Bringen Sie es auf den Nenner: Die Konkurrenz sitzt schon in ihrem Computer, der immer mehr zum Gedächtnis ihres Unternehmens wird.

Gut, bei Unternehmen mag das alles ja Schaden anrichten …
… aber doch auch bei Privatpersonen. Wer einmal in den Verdacht gerät, etwas mit Terroristen oder kriminellen Menschen zu tun zu haben, den wird ein solches Profil ein Leben lang begleiten. Dazu reicht es, missverständliche Formulierungen in einer E-Mail zu verwenden. So ein Profil wird man nicht los, selbst wenn sich diese Vorwürfe als unbegründet und haltlos erweisen.

Da geht es doch nun auch um Terroristen. Geht es darum, Anschläge zu verhindern.
Ginge es darum allein, wäre ich selbst deutlich beruhigter. Wenn solche Maßnahmen dazu beitragen, Bomber dingfest zu machen, finde ich das natürlich gut. Aber die gesammelten Daten werden leider für mehr genutzt, als zur bloßen Terrorabwehr.

Was regen Sie an, um sich selbst zu schützen?
Jeder muss selbst entscheiden, ob und wie er kostenlose Angebote von Goggle, Yahoo oder web.de nutzt, um seine E-Mails zu schreiben oder Daten in der Cloud zu sichern. Wer dies tut, dem muss bewusst sein: Zumindest die Firmen können jederzeit mitlesen, -hören und –sehen. Und bei vielen solchen Anbietern weiß niemand, wem die überhaupt genau gehören. Geschweige denn, wer dort alles die Daten liest und verwertet.

Was muss sich denn in Zukunft ändern?
Ich würde mir wünschen, dass nicht nur Privatleute und Firmen Konsequenzen ziehen, sondern auch die Politik. Wir haben uns zu abhängig von fremden Herstellern und Diensteanbietern gemacht. Schon ein Umsteigen auf Linux, beispielsweise bei Behörden, könnte ein erster Schritt sein. Langfristig müssen wir aber Forschung und Entwicklung dahin gehend fördern, dass wir in der Lage sind, unsere Daten und unsere Wirtschaft zu schützen.