Polizisten des Spezialeinsatzkommandos Südhessen üben in Mainz den Ernstfall. Foto: dpa

Terrorexperten befürchten, dass Islamisten entweder als Einzeltäter oder mit zahlreichen Angreifern gleichzeitig an mehreren Punkten einer Stadt besonders Zivilisten attackieren.

Den Haag - Die Ermittler sind sich einig: Innerhalb der Europäischen Union (EU) steigt die Gefahr von Terroranschlägen weiter. In ihrer aktuellen Analyse hat sich die europäische Polizeibehörde Europol mit den Attentaten beschäftigt, die im vergangenen Jahr in der EU verübt wurden. Aus dieser Bewertung ziehen die Polizisten die Schlussfolgerung, dass besonders islamistisch motivierte Anschläge die größte Bedrohung für die Menschen in der EU darstellen.

„Das hängt auch damit zusammen, das in den vergangenen Jahren viele Muslime in die Kampfgebiete Syriens und des Irak gereist sind, dort Kampferfahrung sammelten und viele sich jetzt auf den Rückweg machen“, schreiben die Analysten. Etwa 5000 Dschihadreisende haben die Kriminalen gezählt; vor allem aus Belgien, Frankreich, Deutschland und England. Militärisch verliert die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ derzeit besonders in Syrien an Boden: Vor zehn Tagen schlossen Truppen des syrischen Diktators Baschar al-Assad einen Belagerungsring um die Metropole Aleppo und schnitten so etwa 300 000 Zivilisten von Nahrung und medizinischer Versorgung ab.

Anschläge nach dem „Mumbai“-Szenario

Bei den 17 islamistisch motivierten Anschlägen in der EU im vergangenen Jahr beobachteten die Experten, dass die Terroristen ihre Operationsführung verändern: Zum einen „teilte sich am 13. November in Paris eine Gruppe in drei Teams auf, die sorgfältig ausgewählte Ziele“ mit Sturmgewehren und Sprengstoff nahezu gleichzeitig angriffen. 130 Menschen wurden getötet, 368 verwundet. Eine Taktik, die Terroristen auch im November 2008 bei ihrem Anschlag in der indischen Millionenstadt Mumbai anwandten. Bei ihrer Untersuchung hatte die Analysten das Pariser Novemberattentat in 13 Einzelanschläge unterteilt. Die beiden Attacken in der französischen Hauptstadt im Januar und die 15 im Herbst werden so zu 17 Einzelanschlägen.

Zu anderen registrieren die Europol-Analytiker spontane Angriffe einzelner Täter wie jetzt in Nizza und Würzburg. „Viele dieser Täter haben nie zuvor eine Konfliktzone bereist“, schreiben die Polizisten. Sie seien aber durch „gewaltverherrlichendes Propagandamaterial des IS, das auch Enthauptungsfilme einschließt“ erheblich beeinflusst worden. Solche „einsame Wölfe“ radikalisierten sich binnen Wochen. Zudem würden sie in Ansprachen und Videobotschaften dazu ermuntert, auf eigene Faust zuzuschlagen. Auch deshalb halten „viele EU-Mitgliedstaaten das Risiko für Attacken durch einzelne Islamisten oder kleine Gruppen für hoch“, heißt es in dem Bericht.

Angriffe auf „weiche Ziele“

Bei ihren Attentaten konzentrierten sich die Täter darauf, „weiche Ziele zu treffen“ – also Menschen zu töten oder zumindest zu verletzen. Angriffe, die so vor allem das Ziel verfolgen, Angst in der Bevölkerung zu schüren. Dies sei bei Anschlägen auf Sicherheitsbehörden und deren Mitarbeiter, auf Streitkräfte oder Kraftwerke nicht so erfolgversprechend.

Die Europol-Analysten machen deutlich, dass jeder dritte Einzeltäter psychische Probleme hatte. Als Grundlage für diese Bewertung untersuchten die Polizisten alle Terroranschläge in der EU zwischen 2000 und 2015. Auch bei den in den Dschihad gereisten Islamisten seien bei etwa 35 Prozent der Ausgereisten zuvor psychische Störungen diagnostiziert worden.

Keine Beweise habe die europäischen Fahnder dafür gefunden, dass Terrorgruppen wie der IS oder al-Kaida systematisch ihre Mitglieder zu Angriffen mit den inzwischen versiegten Flüchtlingsströme in die EU einschleusten. Fest stehe aber auch, das mindestens zwei der Paris-Attentäter über die Balkanroute nach Frankreich kamen. Zudem ermitteln die Sicherheitsbehörden in den EU-Mitgliedsstaaten inzwischen in 17 Fällen gegen mutmaßliche frühere IS-Kämpfer.

Besonders Flüchtlinge sind gefährdet

Besonders Flüchtlinge sind nach Einschätzung der EU-Ermittler besonders durch die Propaganda der Dschihadgruppen in Syrien und dem Irak gefährdet. „Werber versuchen, soziale, wirtschaftliche und persönliche Probleme auszunützen und Flüchtlinge so für ihre Radikalisierung empfänglich zu machen“. Genau das beobachteten in den vergangenen Monaten auch in Baden-Württemberg mehrfach Staats- und Verfassungsschützer.

Nach wie vor sei die Türkei das „primäre Transitland, durch das Dschihadisten nach Syrien und in den Irak reisen oder von dort zurückkehren“, schreiben die Analysten. In den Kriegsgebieten schlössen sich die europäischen Islamisten besonders dem IS und dem al-Kaida-Ableger Jabhat al Nusra an.

Eine besondere Bedeutung messen die Europol-Ermittler Frauen bei, die in ihren Heiligen Krieg in den Mittleren Osten zögen oder dazu aufriefen. Diese Sympathisantinnen der Terrorgruppen seien oft sehr erfolgreich darin, neue Unterstützter zu rekrutieren. Zudem seien die Frauen wichtig bei der Erziehung der Kinder in Syrien und dem Irak. Videos belegten, dass die Terroristen „Minderjährige ausbilden, die die nächste Generation ausländischer Terrorkämpfer werden“.