8: Der Anschlag am Berliner Breitscheidplatz hat viele Schwächen der Sicherheitsbehörden offenbart. Foto: dpa

Vor einem Jahr hat Anis Amri auf einem Berliner Weihnachtsmarkt zwölf Menschen getötet. Inzwischen ist klar: Die Behörden hätten das verhindern können. Was wurde bereits ermittelt – und welche Untersuchungen sind noch geplant?

Stuttgart - Es hat lange gedauert. Erst kurz vor dem Jahrestag des blutigsten islamistischen Terroranschlags in der deutschen Geschichte wurde klar, dass ein Untersuchungsausschuss des Bundestages die Behördenpannen im Vorfeld der Tat aufarbeiten wird. In den Ländern Berlin und Nordrhein-Westfalen, wo sich der Attentäter Anis Amri die meiste Zeit aufgehalten hat, untersuchen die Parlamentarier bereits seit geraumer Zeit die Versäumnisse. Was dabei zutage gefördert wurde, hat Union und SPD im Bund nun dazu bewogen, es nicht mehr bei der Bewertung durch das geheim tagende parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) zu belassen. Dessen Ende März entstandener Bericht wurde allein auf Basis von Akten der Bundesbehörden erstellt, die zuständigen Länder überließen den Bundestagsabgeordneten ihre Dokumente jedoch nicht. Ein echter U-Ausschuss wird nun das Recht haben, alle nötigen Unterlagen anzufordern – das ist der Hauptgrund für den Sinneswandel.

Gegenstand der Untersuchung wird nicht sein, ob Fehler gemacht wurden – sondern wie es passieren konnte, dass es so viele gravierende Fehler waren. Von „organisierter Nicht-Verantwortung“ im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern sprach das grüne PKGr-Mitglied Hans-Christian Ströbele schon im März, weil der Anschlag mit klaren behördlichen Absprachen hätte verhindert werden können: „Die Sicherheitsbehörden haben versagt.“ So stand es in seinem Sondervotum, und auch die mehrheitlich getragene Version ließ keine Zweifel daran, dass sehr vieles schiefgelaufen ist.

Nachdem Armis Herkunft geklärt war, hätte er in Abschiebehaft kommen können

Zum Beispiel bei der Bedrohungsanalyse. „Amri als sehr gefährlich einzuschätzen war auf Basis der vielfältigen vorliegenden Informationen zwingend“, war da etwa zu lesen – obwohl seine Handybilder oder belastenden Telefonüberwachungsdaten in dieses Bild noch nicht einmal eingeflossen waren. „Umso unverständlicher ist, dass seine Handlungsspielräume insbesondere nach Einstellung der Überwachungsmaßnahmen ab dem 21. September 2016 nicht konsequenter eingeschränkt wurden.“

Bemängelt haben die Geheimdienstkontrolleure schon damals, dass der Tunesier, selbst als seine „Staatsangehörigkeit am 24. Oktober 2016 zweifelsfrei festgestellt wurde, nicht in Abschiebehaft genommen“ worden ist. Die mangelnde Einbindung des Bundesnachrichtendienstes löste kaum weniger Kopfschütteln aus: „Der BND wurde nicht mit allen auslandsbezogenen Sachverhalten zu Amri befasst, weshalb Informationsmöglichkeiten ungenutzt blieben.“

Die unterschätzte Gefährlichkeit ist das eine, die mangelnde Nutzung ausländerrechtlicher Instrumente das andere. So hätte etwa schon vor der Identifizierung aus Tunesien „ein Antrag auf Abschiebehaft zumindest gestellt werden können, zumal Amri selbst durch seine Identitätstäuschungen die Beschaffung von Passersatzpapieren erschwert hat“.

Die Berliner Behörden frisierten Akten

Erst recht hätte das geschehen können, als der spätere Attentäter Ende Juli 2016 auf seinem Weg Richtung Schweiz in Friedrichshafen festgenommen wurde und in Ravensburger Sicherungshaft kam. Drogendelikte, Sozialhilfebetrug und die Nutzung verschiedener Identitäten konnten Amri zu diesem Zeitpunkt bereits angelastet werden. „Ich möchte mehr darüber wissen“, sagt Armin Schuster, das CDU-Mitglied im Kontrollgremium, „warum die nordrhein-westfälischen Behörden mit ihrem Wissen damals nicht dafür sorgten, dass Amri im Haft blieb, sondern wieder auf freien Fuß kam.“

Mit der Aufklärung schon weit gediehen ist die Berliner Polizei. Sie hatte zunächst – statt einen Untersuchungsausschuss einzurichten – den ehemaligen Bundesanwalt Bruno Jost als Sonderermittler eingesetzt, weil sie sich davon eine effektivere Aufklärung erhoffte. In der Tat wurde Jost schnell fündig und entdeckte schon im Mai einen handfesten Skandal: Entgegen den Erkenntnissen der Ermittler wurde Amri bis zu seiner Tat lediglich als Kleindealer geführt – und das, obwohl vermutlich ausreichend Beweise dafür vorlagen, ihn wegen des Verdacht des gewerbs- und bandenmäßigen Handels in Untersuchungshaft zu nehmen. Auf Basis auch dieser Ermittlungen hätte Anis Amri zur Tatzeit also womöglich in Haft sitzen und der Anschlag verhindert werden können. Im Mai fiel dann auch noch auf, dass entsprechende Dokumente verborgen und die Akten nach dem Anschlag vermutlich frisiert und rückdatiert wurden, um dieses Versagen zu vertuschten. Berlins Innensenator Andreas Geisel stellte Strafanzeige gegen unbekannt in den eigenen Reihen.