Polizeieinsatz in Brüssel nach den Terroranschlägen von Paris Foto: EPA

Für ihre Terrorserie, die bislang 132 Tote und 350 Verletzte gefordert hat, haben sich die Täter wohl nicht zufällig das quirligste Viertel von Paris ausgesucht. Die Stadt wirkt wie gelähmt. Und eine Spur führt nach Belgien.

Paris/Brüssel - Nur wenige Stunden nach den Terroranschlägen in Paris rücken in Belgien Anti-Terror-Einheiten in der 95 000 Einwohner großen Gemeinde Molenbeek ein. Sieben Personen seien festgenommen worden, heißt es. Zumindest zwei der getöteten Attentäter hätten zuvor in dem Ort gelebt, der zur Hauptstadtregion Brüssel gehört.

Bis zum Sonntagabend war noch unklar, ob es sich bei den in Molenbeek verhafteten Personen ebenfalls um Attentäter aus Paris oder nur um Helfer oder Sympathisanten handelt. Große Sorgen bereitet den Behörden aber einmal mehr die Spur nach Belgien. Die zentrale Lage mitten in Europa nannte Premierminister Charles Michel am Sonntag als Grund dafür, dass viele Terroristen in dem elf Millionen Einwohner großen Land Unterschlupf suchen.

Belgien als Keimzelle für Dschihadisten

In keinem anderen EU-Mitgliedstaat ist der Anteil von Dschihadisten in Bezug auf die Gesamtbevölkerung so hoch wie in Belgien. Rund 500 junge Männer und Frauen sollen es sein, die nach Syrien in den Krieg zogen und wieder zurückgekehrt sind.

Erst vor einigen Monaten wurde in Antwerpen der 46 Mann starken Gruppe Sharia4Belgium der Prozess gemacht. Ihre Mitglieder hatten junge Menschen fast schon professionell für den IS angeworben. Viele von ihnen gelten nach ihrer Rückkehr als mögliche Schläfer.

Mehrere Großveranstaltungen abgesagt

Vor diesem Hintergrund wurden auch in dem kleinen belgischen Königreich am Wochenende gleich mehrere Großveranstaltungen abgesagt und die Kontrollen auf Flughäfen und Bahnhöfen, an denen sich große internationale Linien nach Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien kreuzen, verschärft.

Am kommenden Freitag, genau eine Woche nach den Anschlägen, werden sich in der belgischen Hauptstadt die EU-Innenminister zu einer Sonderkonferenz treffen.

„Gestorben für nichts“

Paris ist weiterhin wie gelähmt. Viele trauern um Verwandte oder Freunde unter den Toten. Die Einladung zum Konzert der US-Band Eagles of Death Metal war das Geschenk eines Freundes, mit dem Vincent einen fröhlichen Abend verbringen wollte. Tatsächlich wurde der junge Architekt dann von fanatischen Mördern erschossen. In die rockigen Töne mischten sich nach rund einer Stunde Schüsse, dann Schreie. „Erst dachten wir, der Lärm gehört irgendwie zur Show. Aber wir haben schnell verstanden, dass das nicht so war“, erzählte einer, der überlebt hat.

Anders als Vincent, der zu den – bislang – 89 Menschen gehört, die am Freitag im Bataclan ihr Leben verloren haben. Er hinterlässt eine Frau und zwei kleine Töchter. Seine Angehörigen und Freunde sind erschüttert. Fassungslos. „Es macht keinen Sinn. Er ist gestorben für nichts, für den Wahn von ein paar Extremisten“, sagt ein Freund. „Es ist so bitter.“

Wut und Fassungslosigkeit in Paris

Auch wer keines der Opfer persönlich gekannt hat, empfindet nach der Horrornacht wütende Fassungslosigkeit darüber, dass Paris zehn Monate nach den Anschlägen auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt mit insgesamt 17 Todesopfern erneut Zielscheibe islamistischer Terroristen geworden ist.

Doch während die Menschen damals – getrieben von einem enormen Bedürfnis, Solidarität und Zusammenhalten auszudrücken – hinausströmten und sich zu Tausenden auf dem Platz der Republik versammelten, bleiben diesmal viele zu Hause. Die Straßen wirken ungewöhnlich leer und ruhig.

Die Lage scheint noch unübersichtlich

Dass die Massen nicht auf die Straße gehen, entspricht der Empfehlung der Behörden während des dreitägigen Ausnahmezustands, den Präsident François Hollande ausgerufen hat. Ein Gefühl der Angst schwebt über der Stadt. Noch immer erscheint die Lage unübersichtlich. Staatsanwalt François Molins hat klargemacht, dass die Terroraktionen, die zeitgleich an sechs verschiedenen Orten ausbrachen, professionell geplant und auf drei Gruppen aufgeteilt waren. Verhindern ließen sie sich trotz aller Sicherheitsmaßnahmen nicht.

Seit Januar gibt es in Frankreich eine verstärkte Polizeipräsenz und neue Anti-Terror-Gesetze, die den Geheimdiensten weitreichende Freiräume geben. Die Schockwirkung hat sich auch deshalb potenziert, weil es sich nicht um gezielt ausgewählte „Feinde“ handelte, um Karikaturisten und Juden als Symbole der Meinungsfreiheit und Vertreter einer Religion, die die Islamisten bekämpfen. Sondern um eine Anschlagsserie, die maximalen Schaden anrichten wollte.

Weil sich die Attacken gegen einen Lebensstil richteten – gegen Menschen, die in Bars und Restaurants saßen, die unbeschwert feiern, das Leben genießen wollten. Paris, diese leuchtende Stadt der Liebe und der Freude, wurde in einer Nacht zur Stadt der Trauer und des Schmerzes. „Der Islamismus wollte das Glück töten“, schreibt die Zeitung „Libération“.