Die Lage der terrassierten Weinberge entlang des Neckars war Thema einer Expertenrunde. „Eine Katastrophe“, „ein Horrorszenario“, „ein Tsunami“, so die einhellige Meinung: Die Jahrtausende alte Kulturlandschaft ist wohl nicht mehr zu retten.
Im Mittelpunkt der Tagung in der Aula der Georg-Hager-Schule sollte laut Einladung eigentlich der „Digitale Zwilling Neckarterrassen“ stehen, ein dreidimensionales, virtuell begehbares Landschaftsmodell der Terrassenweinberge von Mundelsheim, Hessigheim und Besigheim, erstellt vom Höchstleistungsrechenzentrum (HLRS) der Universität Stuttgart. Doch angesichts der im Laufe des Jahres durch die Aufgabe zahlreicher Weinberge dramatisch verschlechterten Situation draußen an den Hängen der Neckarschleifen schrumpfte die Vorstellung des Projektes zu einer Fußnote, die die sich abzeichnende „Katastrophe“ nurmehr unterstreichen konnte.
Wer bis dahin noch Hoffnung gehabt haben sollte, dass der „digitale Zwilling“ eventuell groß beitragen könnte zur Rettung des Weinbaus in den Steillagen, dem muss es während der zweieinhalb Stunden wie Schuppen von den Augen gefallen sein: Wenn überhaupt, so die einhellige Analyse, dann ist Weinbau in den Steillagen nur noch an „Hotspots“ und in „besonderen Lagen mit gutem Ertrag“ zu retten. Und das auch nur, wenn massenhaft brachfallende Weinberg-Grundstücke rasch gerodet und dann auch nachhaltig gepflegt werden. Tatsächlich geht es inzwischen um ein weit darüber hinausgreifendes Thema: Um die Rettung und die Erhaltung einer tausend Jahre alten Kulturlandschaft. Und im Kern darum, „die Landschaft irgendwie offen zu halten, damit wir hier nicht in naher Zukunft durch Wald spazierengehen“, wie ein Teilnehmer formulierte.
So räumte der Landrat Dietmar Allgaier, der den digitalen Zwilling als weiteren Baustein im Kampf um den Steillagen-Weinbau angeregt hatte, in seinem zugespielten Beitrag ein, dass man „von der Geschwindigkeit der dramatischen Veränderungen überrascht worden“ sei. Das Bild, das dieses Model ergebe, sei „ernüchternd und ein Weckruf hinsichtlich der zu befürchtenden Landschaftsveränderung“. Gleichwohl wolle man „nicht tatenlos zusehen“.
Eher schleichend, aber partiell durchaus schon sichtbar war der Niedergang des Steillagen-Weinbaus in den vergangenen Jahren, teils gebremst von Initiativen wie der WeinKultur in Kirchberg oder Wengerter auf Zeit in Benningen. Neu ist nun „die dramatische Dynamik“ dieses Prozesses, was Herbert Müller von der Hessigheimer Weinmanufaktur ExNicrum beispielhaft an den Terrassen zwischen Besigheim und Mundelsheim deutlich machte, wo zuletzt besonders viele Weinberge aufgegeben wurden – „und zwar innerhalb eines Jahres“, wie Müller betonte.
In Besigheim betrage der Verlust „etwa 50 Prozent“, am Mühlberg in Richtung Besigheim grenze „das Desaster an hundert Prozent“. Der Wurmberg bestehe „nur noch aus einem Flickenteppich von bewirtschafteten und aufgegeben Weinbergen“. Laut Müller „ein Dammbruch und ein Horrorszenario, das man sich vor einem Jahr noch nicht vorstellen konnte“. Und weil aufgegebene Rebflächen nicht gerodet werden, sei auch die Arbeit noch aktiver Wengerter bedroht: „Wenn links und rechts Weinberge verbrachen, gehen infolge des von dort ausgehenden Schädlingsdrucks auch dazwischen liegende Weinberge kaputt.“ Just dies ist Müller dieses Jahr in einem Weinberg der Manufaktur „mit hochwertigen Trauben“ widerfahren.
Claus-Peter Hutter, Präsident von Naturelife-International und Moderator der Veranstaltung, befand, dass dieser „Tsunami absehbar war“ und verglich die Sache mit „unserem Umgang mit dem Klimawandel“: „Wir wollten es nicht wissen. Auch bei den Steillagen wissen wir schon lange alles.“ Für die jüngere Generation sei diese Kulturlandschaft „nur noch eine Freizeitkulisse“, die nun „wie im Zeitraffer verkommt“. Nun gelte es, „bei einem nur kleinen Zeitfenster die Herausforderungen konkret und sofort anzugehen“.
Akut heißt das: in den aufgegebenen Weinbergen für schnelle Beseitigung der Rebstöcke zu sorgen. Genau das will Hessigheim angehen, wie Bürgermeister Günther Pilz berichtete: „Konkret geht es vor allem um die Wengert entlang dem Wurmbergweg. Das ist der Top-Touristen-Spazierweg und das Aushängeschild von Hessigheim. Sinnvoll wäre das gleiche am Mühlberg entlang des Pfads zum Käsbergweg, dem Verbindungsstück von Mundelsheim nach Hessigheim.“
Sollten Eigentümer der Aufforderung zur Rodung nicht nachkommen, sei eine „kollektive Rodungsaktion“ angedacht. Nur so könne man „zumindest die kommenden Jahre überstehen“. Perspektivisch gehe es aber um etwas Anders: „Um Landschaftsschutz. Und das kann nicht Aufgabe der Kommunen sein.“ Dann machte Pilz noch eine Anmerkung, die ihm halb im Halse stecken blieb: Lange habe man Förderung betrieben, nun leiste man „Beihilfe zum Sterben.“ Sterben sprach er nicht aus, aber alle in der Aula wussten, welches Wort er ausgespart hatte.
Die Steillagen haben für den Kreis Ludwigsburg eine besondere Bedeutung
Tradition
Der Weinbau hat im Kreis Ludwigsburg seit Jahrhunderten eine große Bedeutung. Laut Landratsamt gibt es heute mehr als 192 Weinausbaubetriebe, sieben Weingärtnergenossenschaften und mehr als 2000 Hektar bestockte Rebfläche. Der Kreis verfüge somit über einen Anteil von rund 18 Prozent des Anbaugebiets Württemberg.
Kulturlandschaft
Besonders die Steillagen prägen die Kulturlandschaft im Kreis. Mehr als 60 Prozent der Steillagenfläche im Regierungsbezirk Stuttgart befinden sich hier. Die bekanntesten Rebsorten sind Trollinger, Lemberger, Spätburgunder, Samtrot, Riesling und Silvaner. Das Geheimnis der guten Weine liegt in den extremen Muschelkalklagen und der Landschaft, die geschützte, sonnenzugewandte Hanglagen bietet.