Terézia Mora schließt mit ihrem aktuellen Roman einen Kreis. In unserer Bilder-Galerie führen wir durch ihr Werk. Foto: dpa/Frank Rumpenhorst

Die Schriftstellerin und Büchner-Preisträgerin Terézia Mora vollendet mit dem Buch „Auf dem Seil“ ihre Romantrilogie über das Stehaufmännchen Darius Kopp.

Stuttgart - Darius Kopp, in der DDR aufgewachsen und nach einem Informatikstudium seit der Wende als IT-Fachmann für acht verschiedene Firmen tätig, ist ein „stinknormaler Irgendjemand“. Wir haben ihn 2009 in Terézia Moras Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ kennengelernt, als dem notorischen Optimisten und Stehaufmännchen wieder einmal gekündigt wurde, weil seine Firma mit einer anderen fusioniert und dabei ihren für Mittel- und Osteuropa zuständigen Mitarbeiter eingespart hat. Als zum Jobverlust noch der Selbstmord seiner Frau Flora, der „Liebe seines Lebens“, hinzukommt, wirft ihn das endgültig aus der Bahn.

Im Roman „Das Ungeheuer“, 2013 erschienen, begegnen wir ihm wieder, als er sich in Berlin ins Auto setzt und eine Reise beginnt, die ihn durch Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Albanien, Bulgarien, die Türkei, Georgien und Armenien bis nach Griechenland führt. Bei sich hat er die Urne mit der Asche seiner verstorbenen Frau, die er, so lautet sein Entschluss am Ende des Romans, in Sizilien in den Krater des Ätnas werfen will, um endgültig mit diesem Kapitel seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen.

Wird Darius Kopp im abschließenden Band der Romantrilogie die Rückkehr ins Leben gelingen? Zu Beginn von „Auf dem Seil“ treffen wir ihn in Catania wieder, wo er zuerst als Fahrer Touristen zum Ätna chauffiert und dann als Bäcker in einer Pizzeria arbeitet. Das wäre wahrscheinlich noch lange so weitergegangen, wenn nicht eines Tages plötzlich seine 17-jährige Nichte auf Sizilien aufgetaucht wäre. Sie ist von zu Hause ausgerissen und, so stellt sich allmählich heraus, schwanger; jetzt erwartet sie von ihrem Onkel, dass er ihr in dieser Situation irgendwie weiterhilft.

Spirituelle Reise

Es ist dieser Anstoß von außen, der Darius Kopp zwingt, die sizilianische Idylle zu verlassen und mit dem Mädchen nach Berlin zurückzukehren. Nach drei Jahren Abwesenheit, ohne viel Geld, ohne eine Wohnung, einen Job und mit einem launischen und gesundheitlich angeschlagenen Teenager im Schlepptau, ist es nicht leicht, dort wieder Fuß zu fassen. Das Leben in Berlin, so stellt sich heraus, ist genauso exotisch wie das, was Darius Kopp auf seiner Reise durch Ost- und Südeuropa kennengelernt hat. Doch die alten Kollegen und einstigen Saufkumpane sind noch da und erweisen sich als überraschend hilfsbereit.

Wenn ein Autor an einem mehrbändigen Romanzyklus arbeitet, besteht die Schwierigkeit darin, die Motive und Erzählstränge, die in den früheren Teilen eingeführt wurden, zu einem plausiblen Abschluss zu bringen. Häufig fällt der letzte Band ab, wirkt enttäuschend, weil er die Erwartungen, die bisher geweckt wurden, nicht alle einlösen kann. Das literarische Modell, dem Terézia Moras Darius-Kopp-Trilogie folgt, ist altbekannt. Man könnte es Bildungsroman nennen oder spirituelle Reise: Mitten im Leben fällt der Mann von fünfzig Jahren in eine tiefe Krise, verirrt sich im dunklen Wald, trifft auf wilde Tiere, die ihm den Weg versperren, verliert alles, was ihm bisher wichtig war. Doch erst wenn er den tiefsten Punkt durchschritten hat, kann der Neuanfang, die langsame Heimkehr ins Leben gelingen. Und wenn er sich dabei helfen lässt. Man ist immer auf die Gnade eines anderen angewiesen, sagt einmal einer von Darius Kopps Gefährten auf seiner langen Reise ans Ende der Nacht.

Rüde Flüche

Die Enttäuschung also stellt sich ein, dass man nach dem Durchgang durch Hölle und Fegefeuer nicht wie in Dantes „Göttlicher Komödie“ im Paradies ankommt. Das Berlin, in dem sich Darius Kopp in „Auf dem Seil“ wieder zurechtfinden muss, ist kein Paradies. Es geht dort ruppig zu: auf dem Wohnungsmarkt, in der U-Bahn, auf dem Meldeamt. Auch Moras Sprache hat sich dem angepasst, ist lakonischer als in den beiden früheren Bänden und lässt Darius Kopp bisweilen rüde Flüche ausstoßen, wobei sie ständig zwischen der Er- und der Ich-Perspektive, der Außen- und der Innenwelt ihres Helden wechselt.

Wie schon in ihren bisherigen Büchern sind es die prekären, verlorenen Existenzen, denen Terézia Moras Sympathie auch in dieser Romantrilogie gilt, ohne sie dabei romantisch zu idealisieren: der illegale Immigrant, der orientierungslose Teenager, der schrullige Computer-Nerd. Alles „Loser“, wie Darius Kopp sich selbst eingestehen muss. Aber auf seiner dreijährigen Bildungsreise hat er wie der Märchenheld „Hans im Glück“ gelernt, damit umzugehen: „Halte deine Loserhaftigkeit in einem erträglichen Rahmen, sei keine große Last, sei, im Gegenteil, auch mal zu was zu gebrauchen, sei kein habituelles Arschloch (zumindest kein großes), achte auf Körperpflege, und du wirst nicht gänzlich ohne eine Beziehung zu einem anderen Menschen bleiben müssen“. Berlin ist nicht das wiedergefundene Paradies, aber die Solidarität der Verlorenen macht es zu einem Ort, an dem man überleben kann.

Terézia Mora: Auf dem Seil. Roman. Verlag Luchterhand. 360 Seiten, 24 Euro.