Rafael Nadal war lange Zeit das Maß aller Dinge im Profitennis. Foto: AFP/William West

Rafael Nadal sagt seine Teilnahme an den French Open ab. Und kündigt sein Karriereende für 2024 an. Damit verlässt einer der ganz Großen den Centre-Court.

Letzten September saß Rafael Nadal in der Londoner O2-Arena zusammen mit Roger Federer am Rand des Centre-Court. Es war das letzte Hurra für Federer, die große, emotionale Abschiedsgala des Schweizers beim Laver-Cup. Ein ikonisches Foto ging dann um die Welt. Das Foto, wie sich Federer und Nadal an den Händen hielten, als bräuchten sie gegenseitig Trost und Zuspruch. Die beiden Superstars, die fast 20 Jahre lang erbittert um die schönsten und verlockendsten Titel gekämpft hatten, rund um den Erdball. Praktisch ein ganzes Tennisleben lang.

Federer ging damals als Erster der großen drei in den Ruhestand, am Ende zermürbt von den Verletzungen, die ihn spät in seiner Karriere bedrängten. Nun ist das nächste Goodbye nah, der Rückzug von Nadal, des größten Kämpfers, den das Tennis je gekannt hat. Als der 36-Jährige am Donnerstag in seiner Tennisakademie daheim in Mallorca die Bühne betrat, sah er in seinem weißen Poloshirt und der Bluejeans ganz wie der drahtige Athlet in gewohnter Statur aus. Aber was Nadal dann zu sagen hatte, klang ganz anders, nämlich wie die Beschreibung einer schattigeren, dunkleren Gegenwart.

Sein Körper habe ihm „die Entscheidung abgenommen“

Nadals Botschaften waren unmissverständlich, so präzise und kompromisslos wie sein Centre-Court-Spiel: Bei den French Open werde er nicht antreten können, der Körper habe ihm „die Entscheidung abgenommen“, sagte er. Eine längere Pause, ein Zwangsstopp sei zudem nötig, danach werde es im Idealfall 2024 auf eine Art Abschiedsreise rund um die Welt gehen. „Versprechen kann ich aber nichts. Ob das klappt, steht in den Sternen.“ Vielleicht gelinge es auch, bei den Olympischen Spielen anzutreten, in Paris, auf der Roland-Garros-Anlage.

Nach seinem frühen Abgang bei den Australian Open im Januar – dort hatte er sich bei der Zweitrundenniederlage gegen den Amerikaner McDonald an der Hüfte verletzt – hatte sich Nadal einmal mehr an einem Comeback versucht, aber die Mission ernüchtert aufgeben müssen. Während der Wanderzirkus aktuell in Rom seine Zelte aufschlug, sah man Paparazzi-Videos, die Nadal schmerzverzerrt beim Trainingsbetrieb in seiner Akademie zeigten: ein Bild des Jammers, der gramgebeugte Nadal, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, umringt von seiner Entourage.

Sein Onkel Toni, der Entdecker seiner Talente und langjährige Förderer und Trainer, hatte Nadal einmal den „Weltmeister der Schmerzen“ genannt. Er kenne niemanden, „der Schmerzen so wegstecken kann wie Rafa“. Oft ging Nadal an die Grenzen, ließ sich mit Spritzen über ganze Grand-Slam-Turniere lang behandeln. Komplett unvernünftig handelte Nadal dennoch nie, er sagte auch Majors ab, wenn es notwendig war.

Von den ehrenwerten Gentlemen, die über zwei Dekaden die Tenniswelt im eisernen Griff hatten, blieb so vorerst nur noch Novak Djokovic im Einsatz – allerdings plagten den Serben zuletzt auch diverse Zipperlein. In Rom verlor er gerade gegen den 15 Jahre jüngeren Dänen Holger Rune. Djokovic gehört gleichwohl zum Favoritenkreis für das Pariser Major-Turnier, bei dem nun erstmals seit 2004 Nadal nicht antreten kann. Die French Open ohne ihn – sie werden zweifelsfrei ein anderes Turnier sein, eines mit Möglichkeiten für knapp ein Dutzend Weltklassespieler. Und nicht mehr eines, bei dem der Champion irgendwie vom ersten Ballwechsel an festzustehen scheint.

Eine Naturgewalt auf dem roten Platz

Nadal hatte in Paris ein Herrschaftssystem etabliert, das seinesgleichen im Tennis sucht. Seit er 2005 zum ersten Mal als 19-Jähriger antrat, war er stets der Mann, den es zu schlagen galt. 112 seiner 115 Matches gewann er, nur Robin Söderling (2009) und Novak Djokovic (2015 und 2021) konnten ihn schlagen. Im Umkehrschluss war er für ganze Generationen von Kollegen der Spielverderber, der Traumzerstörer. Auch und vor allem der von Roger Federer, den er allein in den frühen Karrierejahren regelmäßig besiegte, von 2006 bis 2008 dreimal hintereinander im Finale. Nadal war eine Naturgewalt auf dem roten Platz, der Gladiator, der mit dem Element Sand verschmolz.

Als er 2022 den Norweger Ruud im Finale haushoch distanzierte, war sein vierzehnter Erfolg unterm Eiffelturm perfekt. Vierzehn Grand-Slam-Siege – es waren so viele, wie sie der einstige Major-Rekordhalter Pete Sampras auf allen Schauplätzen in seiner gesamten Karriere geholt hatte. Paris, sagte Nadal immer, sei „der wichtigste und emotionalste Ort“ für ihn, der Ort, „an dem alles begonnen hat für mich“. Aber aufgehört hatte sein Ehrgeiz nicht an der wiederholten Thronbesteigung in Roland Garros, Nadal wurde rasch zum großen Allrounder. Er gewann auch gegen Federer in Wimbledon oder gegen Djokovic in New York, er beendete fünfmal als Nummer 1 die Tennissaison.

Spieler kommen und gehen, sagt Nadal

Nadal blieb in alledem immer eines: ein bodenständiger Charakter, ein Vernunftmensch. Einer, der sich nicht verrannte mit seinen Ambitionen. Als er nun bei seinem Pressegespräch gefragt wurde, wie schwer die Entscheidungen gefallen seien, sagte Nadal, tatsächlich sei das „alles hart und enttäuschend“. Aber dann rückte er die Verhältnisse schnell gerade, bemüht, aus dem Ganzen bloß kein Drama werden zu lassen. „Alles hat ein Ende in deinem Leben. Und dann kommen neue Ziele, neue Pläne. Man muss die Dinge so nehmen, wie sie sind. Und nicht lange jammern.“ Auch in Paris werde es ohne ihn ein großartiges Turnier werden: „Die French Open sind ewig. Spieler aber kommen und gehen“, sagte Nadal. Ob einer dabei sein wird, der sich auch nur halbwegs mit Nadals Größe und Erfolgen messen kann, ist fraglich. Wenn auch nicht unmöglich.