Alle Augen auf Angie: Angelique Kerber führt das Teilnehmerfeld in Stuttgart an Foto:  

Trotz ihrer Aufgabe beim Turnier in Charleston ist ein Start von Angelique Kerber beim Porsche Tennis Grand Prix vom 16. bis 24. April nicht gefährdet. „Ich fühle mich schon wieder besser“, sagt die Grand-Slam-Siegerin im Interview.

Frau Kerber, Sie mussten am Wochenende im Halbfinale des WTA-Turniers in Charleston aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Wie geht es Ihnen?
Ich fühle mich gut. Ich bin am Sonntag aus Charleston zurückgeflogen, und mir geht es schon wieder etwas besser. Ich bin froh, dass ich vor der wichtigen Fed-Cup-Begegnung am Wochenende in Rumänien noch etwas Zeit habe, mich zu erholen. Und dann steht ja der Porsche-Tennis-Grand-Prix in Stuttgart auf dem Programm. Ich freue mich sehr auf dieses Turnier und hoffe, dass ich bis dahin wieder fit und gut in Form bin.
Müssen Sie sich nach Ihrem Triumph in Melbourne eigentlich manchmal kneifen?
(Lacht.) Anfangs schon, aber mittlerweile habe ich begriffen, dass ich Grand-Slam-Siegerin bin.
Sie sind längst wieder im Alltag angekommen. Wie sehr hat sich der Alltag seit dem Triumph in Melbourne für Sie verändert?
Natürlich merke ich, dass vieles anders geworden ist. Bei den Turnieren habe ich zum Beispiel viel mehr zu tun als vorher – insbesondere außerhalb des Tennisplatzes. Sponsorentermine, Verpflichtungen gegenüber der WTA, Interviewanfragen. Mein Alltag ist viel stressiger geworden.
Sie werden nun aber auch von Ihren Konkurrentinnen anders wahrgenommen.
Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, dass sie mir mit noch mehr Respekt gegenübertreten. Zwar war das vorher auch schon so, weil ich ja in den vergangenen Jahren immer in den Top Ten war, aber mit mir wird nun anders umgegangen. Viele gratulieren mir beispielsweise immer noch nachträglich. So eine Situation habe ich noch nicht erlebt.
Und jede Spielerin auf der Tour will nun die amtierende Australian-Open-Siegerin bezwingen. Spüren Sie mehr Druck?
Anderen Druck. Grundsätzlich ist der Druck ja von mir selbst gewachsen, weil ich auch von mir mehr verlange. Denn 2016 soll mein Jahr werden. Und natürlich bemerke ich auch, dass jetzt jeder mehr von mir erwartet. Jeder denkt jetzt, dass die Australian Open der ganz große Durchbruch für mich waren und ich nun jede Spielerin 6:1, 6:1 vom Platz fegen könnte. Dabei ist das gar nicht meine Art zu spielen. Ich mag ja vor allem die langen Matches, in denen ich meine Fähigkeiten zeigen kann. Wichtig ist, dass ich weiterhin entspannt an die Sache rangehe. Der Stress und der Druck haben mich auch schon einige Matches gekostet. Wie beim Masters in Singapur Ende des vergangenen Jahres. Deshalb muss ich lernen, meine Mitte zu finden – die richtige Balance.
Direkt nach Melbourne ist Ihnen das aber nicht gelungen. Bei den Auftaktniederlagen in Doha und Indian Wells hatte man das Gefühl, dass Sie in ein Spannungsloch gefallen sind. Trügt der Eindruck?
Gar nicht. Ich war nach dem ganzen Trubel, nach der Ankunft in Deutschland und Polen sowie nach dem Fed Cup nicht nur körperlich leicht angeschlagen, sondern vor allem eines: müde. Auch mental war da eine gewisse Leere. Ich hatte nicht damit gerechnet, was mich alles erwartet: dieses riesige Medieninteresse, diese Aufmerksamkeit auf den Straßen und auf Flughäfen. Auf einmal erkennen mich viel mehr Menschen.
Stört Sie das?
Nein, ich gebe gerne Autogramme oder mache Fotos. Aber es hat sich eben einiges verändert. Viele Sportler, die schon mal einen großen Erfolg gefeiert haben, wissen, wovon ich rede. Es dauert eben seine Zeit, das alles sacken zu lassen.
Mittlerweile sind Sie auch wieder in der Erfolgsspur. Zuletzt haben Sie ein Sondertraining mit Steffi Graf und Andre Agassi in Las Vegas absolviert. Hat Ihnen das geholfen, wieder die Kurve zu bekommen?
Unter anderem. Genauso wichtig war aber, dass ich gelernt habe, wie ich mit meiner Situation umgehen muss. Das war ein Lernprozess. Und seitdem ich mich wieder voll auf den Sport fokussiere, mehr auf die Arbeit auf dem Platz und die Pflichten außerhalb etwas reduziert habe, fühle ich mich auch wieder befreiter und lockerer – alles ist irgendwie entspannter. Entscheidend ist allerdings auch, dass ich wieder mit viel Selbstvertrauen auftrete, weil ich weiß, dass ich es kann – auch wenn mein Aufschlag immer noch verbesserungswürdig ist.
Um Ihr Spiel zu perfektionieren, haben Sie auch Ihr Team professioneller aufgestellt.
Das stimmt. Ich habe in Dominik Labonté einen Fitnesscoach mit in die USA genommen. Ansonsten begleiten mich weiterhin mein Trainer Torben Beltz und Physiotherapeut Simon Iden. Nach dem Triumph in Melbourne war es mir wichtig, mein Team noch mal zu verbessern, um mein Spiel noch mehr zu optimieren.
Apropos Torben Beltz: Welchen Anteil hat Ihr Coach am Erfolg?
Er ist ein wichtiges Puzzlestück auf dem Weg zum Erfolg. Torben kennt mich in- und auswendig – seit Beginn meiner Karriere. Er weiß, wann er mich in Ruhe lassen und wann er mich motivieren muss. Er hat das Gespür dafür, wie ich ticke. Ihm gelingt es, den perfekten Mix zu finden aus harter Arbeit auf dem Court und relaxten Momenten.
Der Arme muss jetzt auch noch aus dem Flugzeug springen. Das war eine Wette, falls Sie in Melbourne gewinnen.
Ja, im Sommer werden wir irgendwo in Deutschland den Fallschirmsprung wagen. Aber nicht nur ihm, auch mir schlottern schon die Knie.
Demnächst geht’s wieder nach Deutschland. Beim Porsche-Grand-Prix vom 16. bis zum 24. April sind Sie in Stuttgart Titelverteidigerin.
Da freue ich mich wie verrückt drauf. Es ist mein Lieblingsturnier.
Dabei ist es von der Papierform nur ein kleines Turnier, eines der Premier-700er-Kategorie.
Ja, aber hier spielen die besten Spielerinnen der Welt. Und das Besondere ist für mich, dass ich vor Heimpublikum spiele, meine Familie wird wieder da sein. Allein deshalb will ich meinen Titel verteidigen.
Was haben Sie eigentlich mit dem Porsche Cabrio gemacht, das Sie im vergangenen Jahr gewonnen haben?
Noch gar nicht viel. Es ist erst kurz bevor ich auf die US-Tour gegangen bin, geliefert worden. Dementsprechend bin ich noch keinen einzigen Kilometer damit gefahren.
Aber der Porsche passt in Ihr Portfolio schneller Autos.
Genau. Deshalb werde ich ihn nicht verkaufen, sondern auf jeden Fall behalten.
Wie geht es nach Stuttgart für Sie weiter?
Die Olympischen Spiele in Rio sind für mich der Höhepunkt des Jahres. Vor vier Jahren hat es in London für das Viertelfinale gereicht. Ich war knapp an einer Medaille dran, die will ich dieses Mal holen. Ansonsten werde ich mich mehr auf die großen Turniere und die Grand Slams konzentrieren.
Was fehlt Ihnen noch zur Nummer eins?
Punkte. Sogar noch ziemlich viele. Aber ich glaube daran, dass ich es schaffen kann. Ich habe alle Top-Spielerinnen inzwischen schon mal geschlagen. Trotz des großen Abstands zu Serena Williams dürfte mir nicht mehr viel fehlen.
Sie hat sich nach der Endspielniederlage in Melbourne vorbildlich verhalten. Es schien, als ob sie Ihnen den Titel von ganzem Herzen gönnt. Hat Sie das überrascht?
Nein, Serena ist eine sehr faire Sportsfrau. Wer sie kennt, weiß das. Und wir verstehen uns ja schon seit Jahren sehr gut.
Glauben Sie, dass in Deutschland nach Ihrem Erfolg nun ein kleiner Tennisboom ausgelöst werden könnte?
Ich hoffe es. Aber es wird extrem schwer. Nach Steffi Graf und Boris Becker kann ich mir kaum vorstellen, dass es noch einmal so eine Entwicklung geben kann. Aber nach meinem Sieg sind vielleicht einige erwacht und greifen jetzt wieder öfter zum Schläger. Ich habe zuletzt jedenfalls so häufig gehört, dass viele Menschen mein Finale im TV angeschaut haben – erstmals wieder seit Boris und Steffi. Dadurch, glaube ich, ist Tennis wieder mehr in den Vordergrund getreten. Ob das dauerhaft so bleibt, wird man sehen.
Sie haben Boris Becker und Steffi Graf angesprochen – nervt Sie manchmal der Vergleich mit den Legenden?
Nein, die beiden haben Unglaubliches für das Tennis hierzulande geleistet. Es ist für mich daher eher eine Ehre, jetzt mit Steffi verglichen zu werden, obwohl sie so viele Grand Slams gewonnen hat.
Der Tennissport schreibt gerade negative Schlagzeilen. Erst der groß angelegte Wettbetrug, jetzt die Dopingbeichte von Maria Scharapowa. Wie ordnen Sie das ein?
Anfangs wusste ich gar nicht, was ich davon halten soll. Marias Beichte hat mich wie viele andere völlig überrascht. Am Ende des Tages gelten aber die gleichen Regeln für alle.
Noch mal zurück zu Ihrem Melbourne-Erfolg. Der Pokal ist inzwischen bei Ihnen eingetroffen. Hat er einen Ehrenplatz erhalten?
Noch nicht. Er steht bei mir zu Hause im Wohnzimmer. Mitten auf dem Tisch. Wenn ich mal wieder daheim bin, werde ich einen geeigneten Platz suchen und ihn immer wieder anschauen. Es ist eine so schöne Trophäe.