Fühlt sich auf dem Tennisplatz wieder frei: Rafael Nadal genießt sogar das Spiel in der Halle. Foto: Getty Images

Er hat ein Seuchenjahr hinter sich, stürzte bis auf Rang zehn der Tennis-Weltrangliste ab. Nun ist Rafael Nadal (29) zurück – mit einer neuen Qualität: Plötzlich läuft es sogar in der ungeliebten Halle.

London - Es sah so aus, als passten nicht nur die Farben seines Hemdes, der Hose und der Schuhe perfekt zum blauen Boden der spektakulären O2-Arena. Als Rafael Nadal nach seinem überzeugenden Sieg gegen Andy Murray (6:4, 6:1) und dem vorzeitigen Einzug ins Halbfinale beim ATP-Saisonfinale in London gefragt wurde, in welchen Aspekten des Spiels seine wiedergewonnene Zuversicht zu erkennen sei, da erklärte er die Sache in verblüffender Offenheit: „Normalerweise ist Tennis ja nicht so kompliziert. Aber für mich sind es gute Neuigkeiten, wenn ich nicht darüber nachdenke, wie ich den Ball schlagen soll, sondern nur, wohin. In diesem Jahr habe ich mehr Probleme mit mir selbst als mit meinen Gegnern gehabt.“

Länger als ein halbes Jahr stand zu befürchten, der nimmermüde Kämpfer sei mitsamt seines furchteinflößenden Spiels leise durch den Nebenausgang verschwunden. In Doha war er mit einer Niederlage gegen den Stuttgarter Michael Berrer in die Saison gestartet, auf seinem geliebten Sand gewann er zwar zwei Titel – im März in Buenos Aires und Anfang August in Hamburg –, aber selbst bei diesen Siegen überzeugte er nicht. Er sei einfach in vielen Momenten zu nervös, zu angespannt, klagte der Spanier im Frühjahr. „Früher war ich vielleicht mal für ein, zwei Punkte nervös“, meinte er, „dann hatte ich das wieder im Griff.“

Die Halbfinal-Niederlage gegen Novak Djokovic bei seinem Lieblingsturnier, den French Open in Paris, traf ihn zutiefst. Danach holte Nadal zwar den Titel bei der Rasenpremiere in Stuttgart, schockte sich und die Welt des Tennis aber mit seiner Hilflosigkeit bei der Pleite in Wimbledon gegen Dustin Brown. Er brauche dringend einen neuen Trainer, meinten manche Experten, von seinem Onkel Toni kämen nicht mehr die richtigen Impulse. Dass er das nicht tun würde, war keine Überraschung – zu eng sind die Familienbande bei den Nadals, einen solchen Schritt hätte er als Verrat empfunden. Nicht der Onkel sei das Problem, sagte er, der Einzige, der ihm helfen könne, sei er selbst.

Onkel Toni hat es schon früher gewusst

Doch die überzeugende Art, in der er in dieser Woche in London zuerst gegen Stan Wawrinka und dann gegen Andy Murray gewann, deutet schwer darauf hin, dass der richtige Rafael Nadal in Kürze durch den Haupteingang wieder die Bühne betreten könnte – sofern er das nicht schon längst getan hat. Bei der kostenlosen Trainerstunde für den indisponiert wirkenden Murray feierte Nadal seinen ersten Erfolg gegen einen Konkurrenten von den ersten beiden Plätzen der Weltrangliste seit fast anderthalb Jahren. Er bestätigte damit den Eindruck, der zuletzt schon bei den Turnieren in Asien und in Basel entstanden war. In der Schweiz hatte Onkel Toni gesagt: „Wenn wir weiterhin so gut wie jetzt trainieren können, wird Rafa in einigen Monaten wieder sehr stark sein. Ich erwarte, dass wir wieder an die Spitze zurückkehren.“

Der Neffe lehnt sich nicht gern aus dem Fenster, allzu optimistische Darstellungen der eigenen Fähigkeiten waren noch nie sein Ding. Umso erstaunlicher ist, dass er nun in London sagte: „Ich fühle mich wieder frei, wenn ich spiele, auch wenn das nicht heißt, dass ich in jedem Match gut spielen werde. Es heißt, dass ich glücklich bin.“

Die ATP-Finals hat Nadal noch nie gewonnen

Irgendwie mutet es kurios an, dass die Wiederentdeckung des alten, des echten Rafael Nadal ausgerechnet bei den ATP-Finals stattfindet – bei einem Turnier, das er noch nie gewonnen hat. Verglichen mit dem Kollegen Roger Federer, der beim Treffen der acht Besten des Jahres fünfmal den Titel holte und weitere zweimal das Finale erreichte, tat sich Nadal selbst zu besten Zeiten immer schwer. Zweimal landete er im Finale (2010 und 2013), das war’s. Hallentennis war lange Zeit nicht sein Ding, und auch diesmal hatte er vorher gesagt, dass er es im Sinne der Chancengleichheit fairer fände, wenn um den letzten Titel des Jahres auf Sand gespielt werden würde.

Aber vielleicht wird es auch so gehen. Es sei offensichtlich, dass der Spanier wieder deutlich besser spiele als vor ein paar Monaten, meinte Andy Murray. Der Brite hat trotz der Niederlage noch eine Chance, im Halbfinale zu landen – dazu muss er an diesem Freitag Stan Wawrinka schlagen. Vielleicht kommt er dann ja ohne die kleine Schere aus, mit der in der Partie gegen Nadal beim Seitenwechsel seine Stirnhaare kürzte. Das, fand Nadal, hätte Murray durchaus vorher machen können. Auch damit lag er richtig.