Ein Wind-Surfer mit Skateboard auf dem Tempelhofer Feld, im Hintergrund das Flughafen-Gebäude mit Radarturm. Foto: StN

Am 25. Mai sind zweieinhalb Millionen Berliner dazu aufgerufen, über die Zukunft des Tempelhofer Felds zu entscheiden. Die Auseinandersetzung erinnert an Stuttgart 21.

Am 25. Mai sind zweieinhalb Millionen Berliner dazu aufgerufen, über die Zukunft des Tempelhofer Felds zu entscheiden. Die Auseinandersetzung erinnert an Stuttgart 21.

 

Berlin - Es ist eine Brachfläche beinahe so groß wie Stuttgart-Mitte, die der Flughafen Tempelhof mitten in Berlin hinterlassen hat.

Hier landeten 1948 und 1949 die Rosinenbomber während der sowjetischen Blockade im anderthalb-Minuten-Takt. Seit 2010 ist es ruhig geworden. Der Flugbetrieb wurde eingestellt. Das Zwitschern der Feldlerchen wird nur gestört vom Rauschen der Fahrzeuge auf der nahen Stadtautobahn.

Jetzt ziehen hier Kite-Surfer und Spaziergänger ihre Kreise. Tempelhof liegt im Süden der Hauptstadt, im Norden grenzt es an Kreuzberg, im Osten an Neukölln. Beide Stadtviertel gehören mittlerweile zu den angesagten Stadtteilen in Berlin, die auch Künstler und das Partyvolk anziehen. Die Mietpreise steigen stetig.

Ohnehin wächst die Hauptstadt seit Jahren. Deswegen will der Senat nun bauen, auch auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens. Doch dagegen formiert sich heftiger Widerstand. Die Bürgerinitiative „100 % Tempelhofer Feld“ hat einen Volksentscheid erzwungen, der am 25. Mai stattfinden wird. Sie hat dafür über 220 000 Unterschriften gesammelt.

Angst vor den Immobilien-Spekulanten

Dabei will der Senat nur einen Teil des Geländes bebauen. Übrig bliebe immer noch eine Fläche, die größer ist als der Berliner Tiergarten. Die Gegner wollen aber mit ihrer Gesetzesinitiative erreichen, dass überhaupt nicht gebaut wird. Sie befürchten, dass sonst Immobilienspekulanten Tür und Tor geöffnet sind. „Wenn einmal angefangen wird zu bauen, dann machen die immer weiter“, sagt der 54-jährige Fliesenleger Lech Glogowski.

Er kommt regelmäßig auf Tempelhofer Feld um zu surfen. Er hat sich dafür ein Segel auf sein Skateboard montiert. Den Argumenten des Senats, hier würden günstige Mietwohnungen entstehen und höhere Kosten, wenn weiter außerhalb gebaut werde müsste, lässt er nicht gelten. „Ich glaube, dass hier vor allem wegen der Luxus-Wohnungen gebaut werden soll - und was für eine Rolle spielen ein paar Millionen, wenn man sich den Flughafen-Neubau in Schönefeld anschaut?“

Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) beschwichtigt die Ängste der Baugegner: „Kein Stück vom Tempelhof wird privatisiert“, sagte er in einem Interview mit der Berliner Morgenpost Ausschließlich städtische Wohnungsbaugesellschaften sollen am Tempelhofer Feld zum Zug kommen.

Geht es nach ihm, sollen 4700 Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld entstehen und ein Neubau für die Landesbibliothek. Mindestens die Hälfte der Wohnungen soll für sechs bis acht Euro pro Quadratmeter vermietet werden. Zehn Euro wären ein normaler Mietpreis in Berlin. 2016 könnten die Bauarbeiten beginnen. Doch ob es wirklich soweit kommt, ist noch nicht ausgemacht.

Ähnlich wie bei S 21 verlaufen die Fronten beim Streit um das Tempelhofer Feld nicht unbedingt zwischen Links und Rechts. Das Abgeordnetenhaus ist zwischen Regierung und Opposition gespalten. Die Regierungsparteien SPD und CDU dafür, die Grünen, Piraten und Linken dagegen. Doch gerade bei den Grünen hatte es lange gedauert, bis sie sich auf eine Seite geschlagen haben. In einer eher linksorientierten Partei, ist es nicht einfach sich gegen Wohnungsbau zu stellen. Der Berliner SPD-Chef Jan Stöß wirft den Bebauungs-Gegnern vor, eine „zutiefst konservative Bewegung“ zu sein,

Das Tübinger Loretto-Viertel als Vorbild?

Die linke Tageszeitung „Taz“ veröffentlichte vor Kurzem einen Beitrag des Architekten und Stadtplaners Roland Stimpel. Er fordert, den alten Flugplatz komplett zu überbauen. Statt einer sterilen Trabantenstadt und Brachlandschaft, möchte er ein zweites Kreuzberg entstehen sehen. Als Vorbild schwebt ihm das Loretto-Viertel in Tübingen vor. Wohnungen, Büros und Läden sind dort gemischt. Eintönige Wohnsilos wurden vermieden.

Doch das ist von der Realität weit entfernt. Schon im Sommer 2012 hatte Lothar Köster, der Gründer von „100 Prozent Tempelhofer Feld“, die Initiative verlassen. Seine Mitstreiter wollten den Bau von Toiletten auf dem Tempelhofer Feld zulassen, das war für ihn zu viel.

Neben dem Freizeit-Aspekt spielen bei den Gegnern einer Bebauung, wie auch bei S  21, Umweltaspekte eine große Rolle. Die Feldlerche ist der Juchtenkäfer vom Tempelhofer Feld. Dabei ist der Vogel, der auf den Wiesen im Tempelhofer Feld brütet, keineswegs vom Aussterben bedroht. Immerhin kann man die Vögel, anders als den Juchtenkäfer, auch einmal zu Gesicht bekommen.

Bäume gibt es auf dem Tempelhofer Feld im Gegensatz zum Stuttgarter Schlossgarten kaum. Dafür ist die Rede vom Wiesenmeer. Grundwasser ist auch nicht in Gefahr, aber die große Brachfläche sei ein Reservoir für kalte Luft, wichtig für die im Sommer in den Straßenschluchten aufgeheizte Stadt, heißt es. Doch für alle Argumente gilt: Beide Seiten führen Experten ins Feld, die jeweils zu entgegengesetzten Ergebnissen kommen.

Eine weitere Parallele zu S 21: Auch bei dem Berliner Volksentscheid besteht die Gefahr, dass manch einer sein Kreuz an der falschen Stelle macht. Bei der baden-württembergischen Volksabstimmung im November 2011 hatte für Verwirrung gesorgt, dass die Gegner des Bahnhofprojekts mit „Ja“ stimmen mussten, um ihr Ziel zu erreichen. In Berlin liegt die Schwierigkeit darin, dass sich die beiden Gesetzesvorlagen stark ähneln. Sie firmieren jeweils unter den Namen „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“ und „Gesetz zum Erhalt der Freifläche des Tempelhofer Feldes“. Der erste Gesetzesentwurf stammt von den Gegnern der Bebauung.

Zerwürfnissen zwischen Hardlinern und Gemäßigten

Wie auch bei den S 21-Gegnern kommt es immer wieder zu Zerwürfnissen zwischen Hardlinern und gemäßigten Gegnern. Inzwischen haben die Hardliner das Ruder übernommen, Das bisherige Gesicht und Vorstand des Vereins „100 % Tempelhofer Feld“, Felix Herzog, wurde im März abgewählt. Er klagt inzwischen gegen die in seinen Augen nicht rechtmäßig zustande gekommene Abstimmung. Innerhalb kurzer zeit waren dem Verein 50 neue Mitglieder beigetreten, und hatten geputscht.

Felix Herzog ist der Matthias von Herrmann, des Tempelhofer Felds. Von Herrmann wurde als Sprecher der Parkschützer zu einem der prominentesten Vertreter des Widerstands gegen den Stuttgarter Bahnhofsneubau. Ihm wurden immer wieder auch persönliche Ambitionen nachgesagt. Ähnlich ist es bei Herzog.

Der Berliner Zeitschrift Tip sagte er, die Volksabstimmung sei für ihn eine Art Übung. Herzogs neuestes Projekt ist, ein Volksbegehren zur Neuwahl des Abgeordnetenhauses. Das Ziel: Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zu stürzen . Doch der Erfolg hält sich in Grenzen. Bisher hat die Initiative gerade einmal 2000 Unterschriften gesammelt. Benötigt werden 50 000.

Die größte Ähnlichkeit zwischen Stuttgart 21 und dem Tempelhofer Feld könnte sein, dass Lautstärke nicht auch gleich Masse ist: Wie in Stuttgart glauben viele, dass der Widerstand nur von einer engagierten Minderheit der Berliner getragen wird. Der Volksentscheid am 25. Mai wird es zeigen.