Telemedizinischen Angebot Docdirekt. Dr. Klaus Heinicke. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Seit April läuft das Modellprojekt Docdirekt zur Telemedizin in Stuttgart und Tuttlingen. Bisher eher schleppend. Noch dieses Jahr soll es aufs Land ausgedehnt werden – vom Frühjahr an mit elektronischen Rezepten.

Stuttgart - Plötzlich war er da, dieser Schmerz im Rücken. Erst ging es noch einigermaßen. Musste ja. Einen Termin beim Hausarzt oder beim Orthopäden bekam Guelay Kaya so schnell nicht. „Die waren voll“, sagt die 48-Jährige. Im Lauf der Woche wurde es immer schlimmer. Selbst ihre Schmerztabletten halfen der zweifachen Mutter nicht mehr. „Eine sehr angespannte Situation“, erinnert sich die Frau aus Feuerbach. „Da ist mir Docdirekt eingefallen, Freundinnen hatten davon erzählt.“

Guelay Kaya lud die App des telemedizinischen Modellprojekts herunter und rief dort an. „Ich dachte, dass ich wenigstens mal mit einem Arzt reden kann“, sagt die Patienten. Dann ging alles recht schnell. Am Morgen hatte sie sich bei Docdirekt gemeldet, nach zehn Minuten bekam sie über die App die Nachricht, dass sich um 13 Uhr eine Ärztin melden werde. „Das hatte ich nicht erwartet“, sagt die 48-Jährige. Die Medizinerin forderte sie auf, bestimmte Bewegungen zu machen, wollte wissen, wo es weh tue. „Ich hab’ mich gefühlt, als ob ich vor der Ärztin stehe“, sagt Guelay Kaya.

Patienten bis jetzt zufrieden

Die besorgte ihr schon für 16 Uhr am Nachmittgag einen Termin bei einem Orthopäden auf dem Pragsattel, „wegen des Verdachts auf Bandscheibenvorfall“. Der hat der Patientin dann Tabletten verschrieben, die auch geholfen haben, und gab ihr Verhaltenstipps. Nach einer Woche ging es der 48-Jährigen schon besser. „Jetzt bin ich schmerzfrei“, sagt Guelay Kaya. Ihr Fazit der Erfahrung mit Docdirekt: „Das war wirklich toll – ich bin begeistert.“

Gestartet wurde das Projekt von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg Anfang April. Es soll ein Beitrag sein gegen überfüllte Arztpraxen und überlaufende Notaufnahmen und ein professionelles Angebot bieten für die wachsende Zahl von Menschen – in der Republik sind es jedes Jahr Zigmillionen –, die sich im Internet über medizinische Fragen informieren. Wohlgemerkt nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zum klassischen Kontakt zwischen Arzt und Patient.

Ausweitung nach einem langsamen Start

Bis jetzt ist die Zahl der Anrufe, die zentral im Callcenter der KV eingehen, überschaubar. „Mal sind es 30 Anrufer am Tag, mal keiner“, sagt Kai Sonntag, der Pressesprecher der KV. Für eine Auswertung sei es noch zu früh. Die etwa 45 Haus- und Kinderärzte, die sich beteiligen und die über das ganze Land verteilt sind, können die Nachfrage offenbar noch gut bewältigen. Ebenso die rund 30 nachgelagerten Facharztpraxen verschiedener Disziplinen (zehn in Tuttlingen, 20 in Stuttgart), an die Patienten wie Guelay Kaya bei Bedarf zügig überwiesen werden können.

Bis jetzt hat die KV wenig Werbung für das neue Projekt gemacht, das soll sich nun etwas ändern. „Es sollten am Anfang nicht zu viele Leute anrufen, dass wir das Angebot in Ruhe aufbauen konnten“, erklärt der KV-Sprecher. Bei jedem Patienten, der das Angebot in Anspruch genommen hat, wurde nachgefasst, wie das Befinden ist und ob alles geklappt hat. „Bis jetzt fanden das alle klasse“, so Kai Sonntag.

Viele jüngere Patienten schnell verunsichert

Die Symptome, mit denen die Patienten sich an Docdirekt wenden, reichen von der Erkältung, von Magen-Darm-Problemen und Fieber oder Nasenbluten bis zu Rückenschmerzen. „Alles quer durch den Acker“, sagt der KV-Sprecher. Auch ein Patient mit einem Herzinfarkt war darunter. Wegen der Symptome haben die besonders geschulten medizinischen Fachangestellten im Callcenter den Anrufer „gleich an die Rettungsleitstelle weitergeleitet“, berichtet Kai Sonntag. Genutzt werde durchaus auch schon die Chatfunktion der App und die Möglichkeit der Bildtelefonie, vorwiegend aber wird zwischen Arzt und Patienten konventionell telefoniert.

Zu den teilnehmenden Ärzten gehört der in Stuttgart-Münster seit 30 Jahren praktizierende Hausarzt Klaus Heinicke. Der technikafine Mediziner findet gut, Patienten diese zusätzliche Kontaktmöglichkeit zu bieten. „Ich werde das intensivieren“, sagt Heinicke, der eine gut ausgelastete Praxis führt. „Das ist Teil der modernen Kommunikation, das wird mehr werden. Die Jungen von heute sind die Alten von morgen.“ Während Ältere eher einmal abwarten, bevor sie zum Arzt gehen, wenn sie Krankheitssymptome haben, sei dies für Jüngere sehr viel selbstverständlicher, schnell zu handeln und sich auch im Internet zu informieren. „Der Patient weiß dann aber doch nicht, was er machen soll“, sagt der Hausarzt. „Er ist in einer Entscheidungsnot, er weiß nicht, ob er warten kann, er hat Angst, das Falsche zu tun.“

Apotheker schon früh in Projekt eingebunden

Ganz praktisch seien die Abläufe gut in die alltägliche Arbeit zu integrieren, sagt der Mediziner. „Ich mache das parallel.“ Die Anrufer landen in einem „virtuellen Wartezimmer“, in das er sich als Arzt je nach aktueller Kapazität einloggen könne. Bisher seien es auch nur zwei oder drei Patienten die Woche gewesen. „Bis jetzt läuft das eher schleppend“, sagt der hausärztliche Internist. „Viele wissen davon noch gar nichts.“ Er schätzt aber, dass es „mit der Grippezeit losgehen wird“.

Mehr Anrufe wird es schon deshalb geben, weil die KV Docdirekt bis zum Jahresende auf ganz Baden-Württemberg ausweiten wird. „Die Technik funktioniert“, sagt Kai Sonntag, die Kapazität sei vorhanden. Man könne auch weitere Ärzte gewinnen, wenn die Nachfrage stark steigen würde. Sonntag: „Es gibt keinen Grund, das Angebot auf zwei Gebiete zu beschränken.“ Ein „Manko“ aber gebe es noch, räumt der KV-Sprecher ein: Rezepte müssen noch wie bisher ausgestellt werden, ohne einen Arztbesuch geht das nicht. Ziel sei aber „ein komplett digitalisierter Prozess“.

Ab Februar elektronische Identität

Daran arbeiten, anknüpfend an Docdirekt, die Landesapothekerkammer und der Landesapothekerverband. Bis im Frühjahr 2019 will man die Voraussetzungen für das elektronische Rezept geschaffen haben. Das E-Rezept sei „der nächste logische Schritt“ nach Docdirekt, sagt Stefan Möbius, der Pressesprecher der Landesapothekerkammer. Das Land unterstützt die Entwicklung mit einer Million Euro. Der Name des bundesweit bisher einmaligen Projekts: GERDA, für Geschützter E-Rezept Dienst der Apotheken.

Dieses knüpft nicht nur an Docdirekt an, es macht sich auch zunutze, dass bundesweit alle Apotheken Anfang Februar im Rahmen des Projekts Securpharm, das dem Schutz gegen Arzneimittelfälschungen dient, eine digitale Identität haben werden. Mit dieser kann sich dann jede Apotheke im elektronischen Rezeptspeicher GERDA ausweisen, wenn ein Patient seinen Abhol-Code vorlegt, den er bei Docdirtekt erhält.

Noch einige Fragen zu klären

Allerdings gibt es noch einiges zutun. „Es gibt noch einige Baustellen“, sagt Stefan Möbius. Es müssten noch juristische Fragen geklärt werden, ebenso die Erstattung durch die Kassen. Und auch GERDA soll zunächst wie Docdirekt mit überschaubaren Fallzahlen im kleinen Rahmen der Testregionen erprobt werden.