Hauptsache, jemand am Ohr: viele Senioren nutzen den Telefonservice. Foto: Patricia Sigerist

Alt, alleine und schlecht zu Fuß: das ist die Zielgruppe eines ganz speziellen Telefondienstes des städtischen Seniorenbüros. Betagte Bürger können dort anrufen, um einfach nur mal zu reden. Dabei lernen auch die Telefonistinnen etwas.

Ludwigsburg - Von der einen Wand leuchtet der gerahmte Mohn, von der anderen stahlen die Tulpen aus Aquarell, das schnurlose Telefon liegt auf dem Tisch, Anja Sickert sitzt auf ihrem Stuhl – es kann losgehen. Wer wohl anrufen wird? Eine Dame, der die Zeit allein daheim sehr lange ist vielleicht. Oder ein Herr, der von früher erzählen will. Vielleicht meldet sich ja die Frau wieder, die Anja Sickert und ihre Kolleginnen alle zum Kaffee einladen möchte. Oder die andere, die glaubt, beim Senioren-Kontakttelefon handle es sich um eine Partnerbörse – was nicht stimmt. Vielleicht meldet sich auch gar niemand. Es gibt Sprechstunden des Ludwigsburger Seniorenbüros, die vergehen, ohne dass etwas gesprochen wird. Dass manchmal keiner anruft, heißt allerdings nicht, dass das Senioren-Kontakttelefon nicht ankommt. Wer es kennt, ist dankbar für das Angebot.

Wetter und Hobbies sind gute Themen

Wahrscheinlich ist es eher so, dass noch nicht so sehr bekannt ist, was das Seniorenbüro seit etwa einem Jahr drei Mal die Woche ehrenamtlich bietet: Einen Dienst, bei dem man anrufen kann, um einfach über irgendwas zu reden, über Sorgen, auch Freuden, oder was einem sonst so im Kopf rumgeht und was sonst keiner hören will. Oder besser: keiner hören kann. Weil der Partner gestorben ist, die Kinder arbeiten oder in die Ferne gezogen sind. „Bei Senioren läuft viel übers Telefon“, sagt Christine Becker, deren Eltern so weit weg leben, dass sie den Kontakt zu ihnen meist selbst nur fernmündlich halten kann. Immerhin kam Christine Becker, die das städtische Seniorenbüro leitet, so überhaupt auf die Idee für das Senioren-Kontakttelefon, kurz: SKT.

Das Thema Wetter geht immer: Freuen Sie sich, dass jetzt der Frühling kommt? Bleibt es warm, wissen Sie das? Essen ist auch beliebt. Kochen Sie gerne? Was planen Sie fürs Abendbrot? Und über Hobbies kann man eigentlich auch gut reden. Wobei, man sollte besser sagen, über diese Themen kann man unverfänglich reden. Es ist ja nicht so einfach, ein Gespräch mit jemandem zu führen, der nichts Bestimmtes will. Normalerweise ruft man jemand Fremdes nur an, wenn eine Information möchte oder Hilfe benötigt. Aber ein Kontakttelefon anzurufen und der unbekannten Person am anderen Ende der Leitung zu sagen: „Fragen Sie mich bitte mal, wie es mir geht“ – schwierig.

Ein Telefon als Rettungsanker

Darum gibt es einen Leitfaden, mit dem sich die Telefonistinnen durch ein Gespräch plaudern können, falls das Gegenüber schüchtern ist. Oder falls das Gegenüber ein Problem hat, bei dem das SKT nicht helfen kann. Bei psychischen oder medizinischen Problemen etwa. Dann vermittelt das Seniorenbüro einen Kontakt mit Profis vom Fach. Ein Standardgespräch beim SKT dauert 20 Minuten.

Die meisten Anrufer können ihre Wohnung nicht verlassen, weil sie schlecht zu Fuß sind. Und fast alle sind weiblich. Menschen wie Günter Grunert sind die Ausnahme. Als er zum ersten Mal die Nummer des Telefons tippte, war er in einem „furchtbaren Zustand“. Im Dezember 2015 ist das gewesen, er sehnte sich danach, einfach „mal wieder eine menschliche Stimme zu hören“. Grunert erzählte, dass kurz zuvor seine Partnerin gestorben war. Ganz überraschend. Ebenso drei Freunde, mit denen er viel Zeit verbracht hatte. Plötzlich war er einsam, er hatte niemandem mehr zum Reden, und keinen, dem er zuhören konnte. Er dachte: „Das Alter ist eine Strafe.“ Heute, viele Gespräche später, sagt er: „Das Telefon war mein Rettungsanker.“

Alt hilft Jung

Der 91-Jährige hat mit den ihm unbekannten Damen über den Krieg gesprochen, in den er als 16-Jähriger gezogen wurde. Er hat von seinen weiten Reisen mit dem Wohnmobil erzählt und den Auftritten als Zauberer auf der ganzen Welt. Wenn er manchmal heute noch anruft, ganz ohne Sorge, dann berichtet er von seinen wohltuenden Besuchen in der Sauna, bei der Wassergymnastik und beim Seniorensport.

„Aus diesem Mann spricht so viel Lebenserfahrung“, schwärmt Anja Sickert, der die Telefonate selbst viel bringen. Wie wichtig es ist, Freundschaften zu pflegen, ist ihr bewusst geworden. Dass man aktiv bleiben sollte. Und dass es nicht schaden kann, mit Jüngeren Kontakt zu haben.

Über einen Ausbau wird bereits nachgedacht

Von den rund 93 000 Einwohnern Ludwigsburgs sind aktuell 24 000 Menschen 60 Jahre oder älter. In den kommenden Jahren werden es mehr werden. Anno 2014 machte der Anteil der Ludwigsburger zwischen 65 und 79 Jahren 14,2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, im Jahr 2030 werden es 15,5 Prozent sein. Der Anteil der über 80-Jährigen steigt in dieser Zeit von 5,2 Prozent auf 7,5 Prozent. Der demografische Wandel beschäftigt natürlich nicht nur Ludwigsburg, und er hat viele Facetten. Eine, die man eher nicht sieht, ist das Senioren-Kontakttelefon. Wenn es mehr ältere und auch mehr einsame Menschen gibt, gibt es womöglich auch mehr Menschen, die einfach mal mit jemandem reden möchten. Fünf ehrenamtliche Telefoniererinnen werden vielleicht nicht genügen.

Im Seniorenbüro denken Christine Becker und Anja Sickert, die inzwischen fest angestellt ist, über den Ausbau des Telefondienstes nach. Und über die verstärkte Vermittlung von Telefonfreundschaften. So eine, wie sie Günter Gruner inzwischen mit einem Gleichaltrigem pflegt, und von der er sagt: „Das tut sehr gut.“

Angebote in der Region

Ludwigsburg
Das Seniorentelefon ist montags und freitags von 10 bis 12 Uhr besetzt, dienstags von 14 bis 16 Uhr. Die Gesprächspartnerinnen unterliegen der Schweigepflicht. Die Rufnummer lautet: 0 71 41 / 9 10 42 62.

Böblingen
Zu den Angeboten des Kreisseniorenrats Böblingen gehört die Vermittlung „seniorenfreundlicher Handwerker“. Diese Spezialisten können dabei behilflich sein, möglichst lange in der gewohnten Umgebung wohnen zu bleiben. Außerdem veranstaltet der Rat seit 25 Jahren einen Schreibwettbewerb. Dieses Jahr lautet das Thema „Freundschaft“.

Esslingen
Zusammen mit der Polizei hat der Esslinger Kreisseniorenrat bereits 1999 eine Sicherheitsberatung initiiert. Die ehrenamtlichen Berater, von denen viele Polizisten im Ruhestand sind, warnen bei Vorträgen Senioren etwa vor dem Enkeltrick und erklären, wie Türen und Fenster gesichert werden können.

Göppingen
In Süßen, im Kreis Göppingen, gibt es einen Stadtspaziergang für besonders Betagte. Sie dauern maximal 20 Minuten, finden einmal im Monat statt und führen zu markanten Punkten in der Stadt. Die Angebote sind so beliebt, dass auch Fast-100-Jährige und Rollatornutzer mitkommen.

Rems-Murr
In Winnenden gibt es am Georg-Büchner-Gymnasium seit mehr als 30 Jahren eine Senioren-AG. Dort unterrichten Schüler ältere Menschen etwa im Umgang mit Computern oder beim Lernen einer Sprache.

Stuttgart
Zu den Besonderheiten des Stadtseniorenrats Stuttgart gehört die Beschwerde- und Beratungsstelle. Betroffene oder Angehörige können sich dort beraten lassen oder unbürokratisch Hilfe holen, wenn es Probleme mit oder bei der Pflege gibt.