Augenblick der Muße: Mit einer Tasse Tee in der Geschäftigkeit des Alltags einen Moment innehalten. Foto: Mauritius images

Tee ist das nach Wasser das am meisten konsumierte Getränk und für echte Genießer die höchste Vollkommenheit auf Erden.

Stuttgart - Trinken ist lebensnotwenig. Der Mensch trinkt, um seinen Durst zu löschen. Ärzte empfehlen mindestens zwei bis drei Liter pro Tag zu trinken – abhängig vom Klima und Körpergewicht, von der Tätigkeit und gesundheitlichen Verfassung. Eigentlich ist Trinken eine recht banale Angelegenheit. Man nimmt Flüssigkeit zu sich bis man meint genug zu haben. Wem das nicht genügt und wer dem Alltag entfliehen will, trinkt Hochprozentiges über den Durst und gibt sich die Kante. „He drinks like a fish.“ – Er säuft wie ein Loch, sagt der Engländer.

„Die Menschheit hat sich in der Teeschale gefunden.“

Mit alledem haben passionierte Tee-Trinker nicht das Geringste zu tun. Stellvertretend für die zahllosen Liebhaber dieses den Geist erfrischenden Gebräus sei der englische Schriftsteller und Pfarrer Sydney Smith (1771-1845) zitiert: „Gott, ich danke Dir für den Tee. Was wäre die Welt ohne Tee.“ Für den Japaner Kakuzo Okakura (1862-1913) beginnt die Kulturgeschichte erst mit der Entdeckung des Tees. „Die Menschheit hat sich in der Teeschale gefunden.“

Der Legende nach soll Chinas mythischer Kaiser Shen Nung 2373 v. Chr. unter einem wilden Teebaum geruht haben. Als eine Brise frische Blätter in das sprudelnde Wasser wehte und er davon kostete, war er entzückt. Shen Nung wird auch der Satz zugeschrieben: „Der Tee weckt den guten Geist und die weisen Gedanken. Er erfrischt Deinen Körper und beruhigt Dein Gemüt. Bist Du niedergeschlagen, so wird Tee Dich ermutigen.“

„Chá“ oder „tê“, wie er in China genannt wird, ist ein heißes Aufgussgetränk aus Pflanzenteilen der „Camellia sinensis“ aus der Familie der Teestrauchgewächse. Ungesüßt schmeckt Tee umso bitterer je länger er zieht, ein wenig erdig, strohig oder fischig.

„Tee bags“ für eilige Tee-Trinker

Wer Tee genießen will, muss Zeit haben und ein Faible für Zeremonielles haben. Nichts gegen „Tea bags“. Wer in Eile oder abseits der Zivilisation unterwegs ist, für den sind die praktischen Beutel oft die einzige Möglichkeit, an eine heiß ersehnte Tasse Tee heranzukommen. Aber mal ehrlich: Einen Beutel in einen Pot mit heißem Wasser zu hängen, hat nichts mit altehrwürdigen Ritualen zu tun, die Achtsamkeit, Ruhe und Inspiration vermitteln.

Zum Tee-Trinken gehört zudem Stil. Einen Assam aus Indien mit malziger Note und bernsteinfarbenem Aufguss, einen Yunnan mit feiner erdiger Note und einen Keemun aus China mit vollem, blumigem Flavour und rötlich-goldener Farbe aus einem Plastikbecher zu trinken wäre genauso unverzeihlich wie einen edlen französischen Rotwein aus einem Limoglas zu verkosten.

Die großen Teetrinkernationen haben den Genuss dieses „Kunstwerks“ (so nennt Kakuzo Okakura Tee, der die Hand eines Meisters braucht, um seine edelsten Eigenschaften zu offenbaren) zu ausgefeilten Zeremonien verfeinert, in denen Ästhetik und Lebenkunst, Genuss und Sinnenfreude aufs Höchste miteinander vereint sind. Beispiele hierfür sind die Tee-Zeremonien in Japan („Chado“ oder „Sado“), China („Pinyin cháyì“), Großbritannien („Tea Time“, „Five O’Clock Tea“) und Ostfriesland (Tee-Stunde mit Kluntje – weißem Kandiszucker –, und einem Sahnewölkchen in einer zierlichen Porzellantasse; den Tee nie Umrühren, für Ostfriesen ist das sträflich).

„Der Tee-Kult gründet auf der Bewunderung des Schönen“

Im Jahr 1906 veröffentlichte Kakuro Okakura ein schmales, auf englisch geschriebenes Bändchen mit dem Titel: „The Book of Tea“ – Das Buch vom Tee –, ein Klassiker der Tee-Zeremonie. „Der Tee-Kult gründet auf der Bewunderung des Schönen inmitten der nüchternen Tatsachen des alltäglichen Lebens. Er beinhaltet Reinheit und Harmonie, das Geheimnis gegenseitiger Fürsorge, eine romantische Idee der sozialen Ordnung.“

Im japanischen Zen-Buddhismus ist die Kunst des Tee-Trinkens zu einem zentralen Weg der rechten Lebensführung kultiviert worden. Die Teilnehmer einer Tee-Zeremonie treffen sich an einem ruhigen Ort – traditionell in einem schlichten Teehaus aus Holz und Bambus. Die bis ins kleinste Detail formalisierten Handlungen des Wasserkochens und Schlagens von Matcha (pulverisierter Grüntee mit Hilfe eines kleinen Bambuslöffels), des Aufbrühens und Trinkens aus Schalen und schließlich die dabei gepflegte Konversation folgen vier grundlegenden philosophischen Prinzipien: der Harmonie zwischen den Menschen und mit der Natur, dem Respekt für den Nächsten, der Reinheit des Herzens und Verstandes und als viertes schließlich dem Verständnis der Vergänglichkeit allen Daseins.

„Der Tee-Kult ist eine Religion der Lebenskunst“

„Chado“ – der japanische Weg des Tees – ist die Krönung aller Tee-Zeremonien. „Der Tee-Kult ist mehr als die Idealisierung einer bestimmten Art zu trinken. Er ist eine Religion der Lebenskunst“, sagt Kakuzo Okakura. Er gründe sich „auf die Huldigung an das Schöne unter den dürftigen Fakten des alltäglichen Lebens“ und schärfe „das Empfinden für Reinheit und Harmonie, das Geheimnis wechselseitiger Güte und Milde“.

Solche Momente geistiger und körperlicher Erfrischung sowie der Harmonie zwischen Mensch und Universum sind nur außergewöhnlichen zeremoniellen Momenten vorbehalten. Der Alltag des Tee-Trinkens ist deutlich profaner. Selbst dann, wenn man einen vorzüglichen Darjeeling First Flush, Assam Mangalam Second Flush, Gyokuru (Japans edelster Grüntee) oder Lung Ching (grüner Tee aus China mit zarten, blumigen Flavour) genießt.

Tee-Trinker und Tee-Zubereitung

„Man trinkt Tee, um den Lärm der Welt zu vergessen“

Passionierte Liebhaber der getrockneten Blätter von „Camellia sinensis“, dem chinesischen Teestrauch und seiner Hybriden, gelten als stille Genießer und tolerante Zeitgenossen. „Man trinkt Tee, um den Lärm der Welt zu vergessen“, schreibt der chinesische Gelehrte T’ien Yi-Heng.

Im Sprichwort „Abwarten und Tee trinken“ klingt diese Haltung der Achtsamkeit, Gelassenheit und Inspiration an. Eine Tasse mit weißem, grünem, schwarzem oder halbfermentiertem Oolong-Tee schenkt einen Augenblick der Muße und Ruhe in der Geschäftigkeit und Umtriebigkeit des Lebens. Der Raum, in dem man sie genießt, wird zu einer „Oase inmitten der düsteren Öde des Daseins“, schreibt Kakuzo Okakura.

Tee ist nach Wasser das beliebteste Getränk der Welt. 2013 wurden 535 Milliarden Liter getrunken, was 3,6 Billionen Tassen oder dem zweifachen Inhalt des Tegernsees entspricht, wie der Deutsche Teeverband in Hamburg berechnet hat. Jeder der rund 7,3 Milliarden Erdenbürger konsumiert statistisch gesehen circa 500 Tassen pro Jahr.

Ostfriesen sind Weltmeister im Tee-Trinken

Mit gut 300 Litern pro Kopf und Jahr ist der Volksstamm der Ostfriesen im nordwestlichen Niedersachsen unangefochtener Weltmeister im Teetrinken. Auf den weiteren Plätzen rangieren Kuwaitis (295 Liter), Iren (242 Liter), Afghanen (229 Liter), Türken (221 Liter) und Engländer (213 Liter), die im Ruf stehen, die Tee-Trinker-Nation schlechthin zu sein. Weit abgeschlagen sind die Deutschen mit gerade mal 27,5 Liter.

Trotz dieses im globalen Maßstab mageren Konsums liegt Tee im Land der Kaffee- und Biertrinker (jeder Deutsche trinkt pro Jahr durchschnittlich 165 Liter Kaffee und 106,6, Liter Gerstensaft) durchaus im Trend: Knapp 18,7 Milliarden Tassen Tee nahmen die Bundesbürger im vergangenen Jahr zu sich. Das entspricht nach Angaben des Deutschem Teeverbandes einer Gesamtmenge von 19 176 Tonnen. Mit 71 Prozent ist schwarzer Tee die beliebteste Sorte, gefolgt von grünem Tee mit 29 Prozent. Etwas überraschend ist die Art der Zubereitung: Rund 60 Prozent der Tee-Trinker greifen demnach zu losem Tee, 40 Prozent wählen sogenannte Convenience-Methoden wie Beutel oder Kapseln, um den Tee schnell und bequem zuzubereiten. Was allerdings dem Geist des Tees widerspricht.

Es war der New Yorker Tee-Händler Thomas Sullivan, der Anfang des 20. Jahrhunderts unbeabsichtigt den Tee-Beutel erfand. Anstatt sperrige und teure Blechdosen für den Transport zu verwenden, versandte er den Tee in kleinen, platzsparenden Seidenbeuteln an seine Kunden, die diese dann in Heißwasser tunkten. Die heutigen Aufgussbeutel brachte der in Stuttgart geborene Erfinder Adolf Rambold 1929 auf den Markt.

Die Teekanne sei rund und prall wie der Bauch des sitzenden Buddha“

Teebeutel sind zum Symbol der Globalisierung geworden. Alle 250 Milliarden Teebeutel, die jährlich als Doppelkammerbeutel, Beutel aus Abacá-Fasern oder Pyramidenbeutel aus Biokunststofffasern in den Tassen landen, ergeben aneinandergereiht 100 Mal die Strecke von der Erde zum Mond.

Inzwischen wird Tee in Kapseln, als Instant-Pulver und „Verity“-Tee verkauft. Dahinter verbirgt sich ein flüssiges Konzentrat, das in Aluminium-Cups verpackt ist. Der Press-Mix lässt sich mit heißen oder kalten Flüssigkeiten aufgießen. Was man den zarten Blattspitzen damit allerdings antut, lässt jeden echten Tee-Trinker erschaudern. Guten Tee – von erlesenen ganz zu schweigen – gibt es nicht beim Discounter. Wer beim Genuss keine Abstriche machen will, kauft Markenware oder den Tee gleich in Fachgeschäften oder im Versandhandel von Tee-Kontors.

Ein feiner Zauber liegt im Geschmack des Tees, so Kakuzo Okakura. Damit die Blätter ihre vollendete Magie entfalten und die Sinne verzaubern können, dürfen sie nicht wie in eine Presswurst eingezwängt sein. Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Die Teekanne sei rund und prall wie der Bauch des sitzenden Buddha. Nur so kann das empfindliche Pflänzchen sein volles Aroma entfalten.“

Beim Aufbrühen darf man keine Kompromisse machen. Da die getrockneten Blätter sich beim Aufguss auf die doppelte Größe ausdehnen, müssen sie frei schwimmen und von Wasser umspült werden. Das geht am besten, indem man den Tee in die Kanne gibt oder ein größeres Metallsieb, Baumwollnetz oder einen Papierfilter benutzt.

„Eine Tasse von heißem Wasser mit einem Tropfen Milch“

Wer Tee im Mini-Tee-Ei oder in einer Kapsel wie in einer Gefängniszelle aufbrüht, sollte besser wie Teefax und seine britischen Landsleute im Comic „Asterix bei den Briten“ „eine Tasse von heißem Wasser mit einem Tropfen Milch“ schlürfen.