Setzt auf einen Wallner-Schlitten: Johannes Lochner vom Bob-Club Stuttgart-Solitude mit seinem Partner Christopher Weber. Foto: AP

Eine Nation, zwei Schlittenhersteller – im Bob- und Schlittenverband Deutschland (BSD) ist ein kleiner Spionagethriller ausgebrochen, bei dem es um einen internen Technologie-Wettstreit geht.

Pyeongchang - In der Formel 1 gehört sie dazu, diese Geheimniskrämerei. In den Garagen gilt absolutes Fotografierverbot, manchmal werden sogar große Tücher vor die Autos gehalten, damit nicht einmal von der Zuschauertribüne aus zu sehen ist, was sich unter der Motorabdeckung verbirgt. Alles top secret im Duell Mercedes gegen Ferrari gegen Red Bull. Wie in der Champions League des Motorsports, so geht es auch im Bob-Sport um Tausendstelsekunden, auch im Eiskanal spielt die Aerodynamik eine Rolle, die Art der Federung oder die Steifigkeit der Bobhülle – und deshalb ist im deutschen Lager im vergangenen Winter ein kleiner Spionagethriller angebrochen.

Die Ingenieure der Forschungsstelle für die Entwicklung von Sportgeräten (FES) aus Berlin befürchteten, die Techniker aus der kleinen, feinen Bob-Schmiede von Johannes Wallner in Volders in Tirol könnten Ideen oder Konstruktionsdaten stehlen. Und umgekehrt. „Letzten Winter gab es zwischen beiden Lagern Unstimmigkeiten, da jeder einen Technologietransfer zum anderen befürchtete, vor allem die FES“, sagt Thomas Schwab, der erste Mann im Bob- und Schlittenverband Deutschland (BSD), „allmählich hat es sich eingespielt.“ Soll heißen: Beide Seiten haben sich mit der verzwickten Lage arrangiert, aber froh darüber ist weder FES noch Wallner.

Die Piloten haben freie Wahl, wem sie vertrauen

Eine Nation, zwei Schlittenhersteller. In der Bob-Szene setzen Verband und Piloten auf die deutsche Teilung. Wenn an diesem Sonntag die Zweierbob-Wettkämpfe in Pyeongchang beginnen, sitzt Johannes Lochner vom BC Stuttgart-Solitude in einem Wallner-Schlitten, Francesco Friedrich und Nico Walther sowie die Pilotinnen Mariama Jamanka und Stephanie Schneider (erster Lauf am Dienstag) an in einem FES-Fahrzeug. Wenn es im Vierer ab dem 24. Februar um Olympia-Medaillen geht, steigt Friedrich wieder um in ein österreichisches Fabrikat. Die Piloten haben freie Wahl, wem sie bei der Jagd durch den Eiskanal vertrauen. „Ich habe nach den Tests entschieden, auf Wallner zu setzen“, sagt Vierer-Weltmeister Lochner, „ich bin damit besser zurecht gekommen. Ich weiß genau, wie ich ihn lenken kann, ohne dass die Vorderkufen schieben.“ 2017 war der BSD mit einigen Tonnen Gepäck zum Weltcup-Finale im März nach Südkorea geflogen, beide Bob-Varianten wurden nach Pyeongchang verfrachtet – damit die Piloten im olympischen Eiskanal ihren Favoriten herausfinden konnten.

Rückblende zu den Winterspielen in Sotschi. Die deutschen Bob-Piloten gehen erstmals bei Olympia vollkommen leer aus, keine einzige Medaille für eine Nation, die legendäre Fahrer wie Wolfgang Zimmerer, André Langen und Wolfgang Hoppe hervorgebracht hat. Die einstige Dominanz liegt in Trümmern, Stunde null in Bob-Deutschland. Der schnelle Wiederaufbau ist Pflicht, und so mancher aus dem BSD sah die Schuld für die unzureichende Entwicklung bei FES. Die Berliner sind nicht nur für die Technik bei den Winterspielen, sondern auch für die bei den Sommerspielen zuständig. Sie bauen nicht nur Bobs, sie kümmern sich auch um Ruderboote, Kanus oder Rennräder. Folglich arbeiten die Ingenieure in einem Zwei-Jahres-Zyklus, auf die Entwicklungen für Sommerspiele folgen die für Winterspiele, danach werden wieder die Bedürfnisse der Sommersportler befriedigt und so weiter.

Hightech-Werkstatt in Tirol

Das behagte Thomas Schwab nicht, und weil Konkurrenz immer das Geschäft belebt, blickte er über den deutschen Tellerrand hinaus nach Tirol. „Wallner hatte nach der Trennung vom russischen Verband Kapazitäten frei“, sagt der ehemalige Rennrodler, „also haben wir uns geeinigt – davon profitieren am Ende alle.“ Der BSD ließ sich vertraglich zusichern, dass die kleine Hightech-Werkstatt in Tirol, die auch für Kanada und Lettland die Fahrzeuge herstellt, einige Extras einbauen, die auf die deutschen Piloten zugeschnitten sind. Dritter Partner im deutschen Olympia-Bob 2018 ist Automobil-Konzern BMW, der Ingenieure für Forschung und Entwicklung sowie den Windkanal bereitstellt. Die Münchner stellen Technik und Know-how im Gegenwert von 100 000 Euro zur Verfügung, der BSD steuert weitere 50 000 Euro vorbei. Ein Bob selbst ist unter 110 000 Euro zudem nicht zu haben. Weil Wallner bei jedem Weltcup-Rennen einen Techniker zur Verfügung stellt, hat die FES (die dies davor nicht tat) entsprechend nachgezogen. Das kostet alles viel Geld, deshalb entbrannte vor der Liaison mit Wallner ein Kampf um die Finanzierung – schließlich ist FES eine staatliche Einrichtung, wird also von Steuergeldern bezahlt, wohingegen der Österreicher für seine Dienste entlohnt werden muss. Nach einigem Hickhack lenkte Innenminister Thomas de Maiziere ein. Auch die Zusammenarbeit mit dem Zwei-Mann-Betrieb in Tirol wird in diesem Winter vom Bund gefördert. So bestellte Schwab für die Olympia-Saison je zwei Vierer- und Zweierbobs.

007 Lochner gegen Dr. Walther

Nun folgt bei Olympia der Showdown im Agententhriller Bob Deutschland FES gegen Bob Deutschland Wallner. 007 Lochner gegen Dr. Walther. Es geht nicht nur gegen die internationale Konkurrenz aus Kanada, den USA, der Schweiz und Lettland. Es geht auch gegen den internen Technologie-Mitstreiter. Nach Pyeongchang wird abgerechnet, der Vertrag mit Wallner endet nach den Spielen. „Ich könnte mir dieses Szenario so weiter vorstellen“, sagt BSD-Chef Thomas Schwab. Vielleicht aber macht Johannes Wallner einen Abflug nach China, vom dortigen Bob-Verband hat der 51 Jahre alte Tiroler ein sehr lukratives Angebot erhalten. 2022 sind die Winterspiele in Peking, die Gastgeber benötigen dringend einen Experten.