Nie war Axel Prahls und Jan Josef Liefers’ Drahtseilakt aufregender als in „Erkläre Chimäre“. Der neue Tatort aus Münster läuft an diesem Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.
Münster - Noble Kreise tun Gutes. Vor Ort, gerne aber auch in größerem Zusammenhang in Ländern mit unterstellt geringeren sozialen Chancen. Gerne bestätigt man hin und wieder eine gute Tat – ohne sie allzu sehr zu propagieren. Das eigentliche Motiv der Hilfe bleibt so in der Schwebe. Ein Zustand, in dem sich im jüngsten Münster-„Tatort“ ziemlich viel befindet.
Dabei beginnt alles recht eindeutig: Hauptkommissar Thiel (Axel Prahl) und sein weltgewandter Pathologieprofessor Börne (Jan Josef Liefers) feiern. Nadeshda (Friederike Kempter) wird befördert. Auf Druck der Medien, könnte man böse sagen – lief doch die Meinungsmaschine in Sachen „Kempter als Assistentin war gestern, Kempter als Kommissarin ist heute“ seit Monaten auf Hochtouren. Innerhalb der „Tatort“-Begleitmusik eher eine Luxusdiskussion. Eine Warnung vielleicht auch an Liefers und Prahl, es mit dem Tanz auf dem selbst aufgezogenen Hochseil zwischen den Podesten Komödie und Tragödie nicht zu übertreiben.
Die geborene Stuttgarterin Kempter zeigt sich von den Medienspielen unbeeindruckt. Assistentin oder Kommissarin – sie hat längst ihren ganz eigenen Part im Münsteraner Team. Dazu passt, dass auch Christine Urspruch als Boernes Assistentin (in Stuttgart in der Vorabendserie „Dr. Klein“ aktiv) nicht mehr nur kontern muss. Was aber die Drehbuchautoren Stefan Cantz und Jan Hinter in „Erkläre Chimäre“ aus Urspruchs Rolle herausholen, ist so überraschend wie dieser gesamte Fall. Voller Wendungen – das können andere auch. Prall gefüllt mit gebrochenen, erfundenen und doppelbödigen Biografien der Beteiligten – auch das können andere.
Stefan Cantz und Jan Hinter aber zeigen sich als Virtuosen des Details. Hier wird keine dann auch ausgeführte Handlung angekündigt, hier werden keine Versatzstücke mutmaßlicher Ermittlungsarbeit eingeflickt. Nein, „Erkläre Chimäre“ ist feinste Webkunst und ermöglicht damit Börne und Thiel ein doppeltes Coming-out. Einem Erbonkel (Christian Kohlund) spielen sie das frisch verheiratete Paar vor, und wer als Fernsehzuschauer gedacht hatte, das Wort- und Mimik-Feuerwerk der Hauptfiguren ließe sich ernsthaft nicht halten und schon gar nicht steigern, sieht sich aufs Schönste getäuscht.
Weniger Komödie, mehr Krimi – das wird die Wertung zu „Erkläre Chimäre“ bestimmen. Aber eigentlich wagt Regisseur Kaspar Heidelbach anderes. Er kostet das Drehbuch förmlich aus, gibt den Figuren den nötigen Raum – und kann sich dabei auf eine sehr uneitle Bildführung (Kamera: Achim Poulheim) verlassen. Mehr Komödie durch mehr Krimi wäre insofern präziser. Oder anders: Nie war der Drahtseilakt von Liefers und Prahl aufregender.
„Tatort – Erkläre Chimäre“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD