Wer ist der kriminellste Flecken im Sprengel? Nach dem Esslinger Bahnhof wird nun der Tatort Plochingen in einem Aufkleber gewürdigt.
Kommt einem bekannt vor: eine Zielscheibe, weiß auf blauem Grund, graphisch leicht abstrahiert, darin in Kleinbuchstaben das Wort – nein, in diesem Fall nicht „tatort“, sondern „plochingen“. Abgesehen davon eine recht exakte Replik des TV-Serienlogos. Selbst das Einserle rechts oben – im Original steht’s fürs Erste Programm, die ARD – darf nicht fehlen: Plochingen first? In der ersten Reihe der Kriminalitätsstatistik? Aber, aber, so schlimm geht es in der Stadt am Neckarknie denn doch nicht zu – trotz der Schießereien in der jüngsten Vergangenheit, auf die der Spott-Bepper anspielen dürfte.
Plochingen ist kein Spitzenreiter in der Kriminalstatistik
Die Häufigkeit von Straftaten, um- oder hochgerechnet auf 100 000 Einwohner, lag für Plochingen laut Zahlen der Polizei von 2022 bei 5778. Da ist noch Luft nach oben zum deutschen Spitzenreiter Frankfurt mit 14 363 Straftaten gemäß dieser Kennzahl. Im Landkreis liegt man allerdings vor der Stadt Esslingen (4502) und über dem Durchschnitt (3946), aber deutlich hinter der Nummer eins, nämlich Leinfelden-Echterdingen mit einer Straftaten-Häufigkeitszahl von 8913.
Jedenfalls hat auch Plochingen seinen Kriminalkleber, ebenso wie der Esslinger Bahnhof, für den zwei prügelnde Jungs sarkastisch Schlägerreklame machen – mit dem Sticker „Nett hier. Aber waren Sie schon mal am Esslinger Bahnhof?“ Man darf also – ebenso sarkastisch – konstatieren: Die Kleber-Challenge um den kriminellsten Flecken im Kreis Esslingen geht weiter. Der Leser, der uns auf den Plochingen-Kleber aufmerksam machte, sieht darin denn auch eine ironische Form des „Stadtmarketing“ – wie man sie auch aus dem Esslinger Spott-Sticker herausdeuten kann: True Crime, live und gleich vor der Haustür.
Der Hintergrund ist freilich wenig lustig, weder im Fall des Esslinger öffentlichen Angstorts, erst recht nicht in jenem der Plochinger Schießereien, die sich vor dem Hintergrund rivalisierender Jungmänner-Banden in eine lange Serie des Schusswaffengebrauchs in der Region einreihen. Am 25. Februar wurde in der Plochinger Markstraße vor einem Barbershop geschossen, ein Gastwirt wurde schwer verletzt. Am 2. April knallte es in einer Shisha-Bar in der Eisenbahnstraße. Obendrein wurde im März einer der mutmaßlichen Ballermänner nach einer Schießerei in Stuttgart-Zuffenhausen in Plochingen festgenommen.
Warum macht man sich einen Jux aus Straftaten, die Verletzte und – am 8. April in Asperg (Kreis Ludwigsburg) – einen Toten zur Folge hatten? Und die zu einem Blutbad hätten führen können, wenn die Handgranaten-Attacke im Juni auf dem Altbacher Friedhof nicht gescheitert wäre? Der Grund für Spott und Sarkasmus dürfte in ihrer psychischen Entlastungsfunktion liegen: Sie bewältigen nicht das Problem, erleichtern aber das Leben mit ihm. Im Unterschied zur Totenstarre von Furcht und Schrecken.