Der Griff in fremde Geldbeutel: Letztes Jahr gab es so viele Taschendiebstähle wie nie in Stuttgart. Foto: dpa

Opfer von Taschendieben haben den Schaden und müssen aufwendig für Ausweise und Telefone Ersatz schaffen. Letztes Jahr gab es so viele Fälle wie nie. Dass erwischte Täter oft billig davonkommen, sorgt für Unverständnis.

Stuttgart - Große Aufregung in einer Lokalität an der Eberhardstraße in der Innenstadt: Ein Duo stiehlt einer 20-jährigen Besucherin das Mobiltelefon aus der Handtasche und versucht zu flüchten. Aufmerksame Gäste greifen ein, halten einen Verdächtigen fest und alarmieren die Polizei. Eine Streife kann den Komplizen in der Nähe dingfest machen und das Handy sicherstellen. Die beiden Tatverdächtigen können bald darauf wieder gehen.

Einer von zwölf Taschendiebstählen an diesem Wochenende in Stuttgart. Der einzige mit einem Ermittlungserfolg – doch mit welchen Konsequenzen für die Verdächtigen? Ein offenbar eingespieltes Team ging da ins Netz – zwei 25 und 33 Jahre alte Männer, die ihre Unterkünfte im Raum Heilbronn und im Nordschwarzwald haben und aus Nordafrika stammen. Für Ermittler nichts Neues: Unter erwischten Taschendieben in Discotheken seien überwiegend Personen aus dem Maghreb zu finden, heißt es.

Für Haft braucht es die richtigen Gründe

Einen Haftgrund gibt es wohl nicht: Fester Wohnsitz, kaum Voreintragungen, keine Fluchtgefahr. Außerdem: „Taschendiebstahl ist ein einfacher Diebstahl“, sagt Staatsanwalts-Sprecherin Claudia Krauth, „und da wird es mit Haftgründen schwierig.“ Selbst wenn man mehrfach als Langfinger aufgefallen sei: Bei einfachem Diebstahl kann auch eine befürchtete Wiederholungsgefahr nicht als Begründung dienen. „Man müsste dem Beschuldigten schon ein gewerbsmäßiges Handeln nachweisen“, so Staatsanwältin Krauth.

Freilich: In den Vorkommnissen der letzten Wochen und Monate häufen sich die Fälle, bei denen die Polizei nach erfolgreicher Festnahme zu Protokoll gibt: „Der Verdächtige wurde nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen auf freien Fuß gesetzt.“

Allerdings sind die Beschuldigten nicht immer unbeschriebene Blätter. Mitte August etwa nahm die Bundespolizei in der S-Bahn-Station des Stuttgarter Hauptbahnhofs einen Verdächtigen fest, der einem Betrunkenen die Halskette gestohlen hatte. Die Beamten stellten dabei fest, dass gegen nach dem algerischen Staatsangehörigen gefahndet wurde – die Staatsanwaltschaft Essen wollte seinen Aufenthaltsort wissen. Gegen ihn wird dort wegen schweren Diebstahls ermittelt. Dies war aber kein Grund, den Mann dauerhaft festzusetzen. Der zuständige Stuttgarter Staatsanwalt ließ ihn noch in der Nacht auf freien Fuß setzen.

Für Staatsanwalt auch Frage der Verhältnismäßigkeit

Ähnlich kam vor zwei Wochen ein gleichaltriger Landsmann davon, der sich in Stuttgart in einen ICE nach Ulm gesetzt und dort einem schlafenden Reisenden das Handy gestohlen hatte. Bei zwei weiteren scheiterte er, weil diese rechtzeitig aufwachten.

Ein Zugbegleiter verständigte die Bundespolizei, die den Verdächtigen nach kurzer Flucht auf einem Bahnsteig des Ulmer Hauptbahnhofs festnahm. Die Beute wurde sichergestellt. Der 27-Jährige war mehrfach wegen Taschendiebstahls polizeibekannt, einen Haftbefehl wollte der Staatsanwalt aber nicht beantragen.

„Generell ist das auch eine Frage der Verhältnismäßigkeit“, sagt Michael Bischofberger von der Staatsanwaltschaft Ulm. Oft sei ein Strafbefehl, der als Sicherheitsleistung an Ort und Stelle beglichen werden müsse oder an den zuständigen Gerichtsbezirk geschickt werde, die wirksamere Sanktion. Es muss nicht immer Haft sein. Letzte Woche für einen 26-Jährigen aber doch. Der notorische Dieb hatte neben vier Telefonen auch noch Haschisch in der Tasche.