Die 35-Stunden-Woche ist der IG Metall heilig – daran will sie nicht rütteln lassen. Foto: AP

Die IG Metall setzt das Thema Arbeitszeit auf die Agenda der nächsten Tarifrunde. Da ist in beiden Lagern – der Gewerkschaft wie der Arbeitgeber – noch viel Überzeugungsarbeit notwendig. Denn innovative Regeln erfordern die Abkehr von alten Dogmen, meint Matthias Schiermeyer.

Stuttgart - In der Metall- und Elektroindustrie bahnt sich die interessanteste Tarifrunde seit dem Krisentarifabschluss 2010 an. Wenn Arbeitgeber und Gewerkschaft im Spätherbst konstruktiv in die Verhandlungen gehen, können sie die Arbeitszeitverträge spürbar modernisieren. Zwar traut sich niemand an die 35-Stunden-Woche ran, doch lassen sich viele neue Regelungen denken, die den Unternehmen im globalen Wettbewerb Auftrieb geben. Ausreichend Zeit zur Vorbereitung ist gegeben – sie muss jetzt genutzt werden.

Umfrage als geschickter Schachzug

Die IG Metall schaltet eine umfassende Umfrage vor – ein geschickter Schachzug nach dem Vorbild der seinerzeit schon erfolgreichen Erhebung von 2013. Besser lässt sich Mitgliederbeteiligung kaum realisieren. Die Erkenntnisse werden der Gewerkschaft Rückenwind geben. Somit dürfte das Thema Arbeitszeit die Belegschaften stark mobilisieren, weil viele Beschäftigte sich einen konkreten Gewinn davon versprechen. Daraus folgt, dass die Tarifrunde nicht ohne Konfrontation abgehen wird.

Bisher sind die Vorstellungen beider Seiten noch sehr konträr: Die IG Metall dringt vor allem auf den kompletten Ausgleich der geleisteten Arbeit, mehr freie Zeiteinteilung in straffen Schichtsystemen und eine Optimierung der Zeitkonten – die Unternehmen verlangen etwa die Aufhebung der täglichen Höchstgrenze von zehn Arbeitsstunden und eine gelockerte Ruhephasenregelung. Da ist somit auch die Politik gefragt, die wegen der Bundestagswahlen freilich mehr Zeit bräuchte.

Zwischen Patron und Vorzeigeunternehmen

Selbst im Arbeitgeberlager ist die Bandbreite weit gespannt: Da findet man noch häufiger den Patriarchen, der seinem fleißigen Mitarbeiter großzügig einen halben Ausgleichstag gewährt – und es gibt Vorreiter wie Bosch, Daimler und Trumpf, die in innovativen Regelungen auf die Eigenverantwortung der (mobil tätigen) Angestellten setzen. Somit bräuchte es im Zuge von Digitalisierung und Industrie 4.0 in weiten Teilen des Mittelstands den Kulturwandel, den einige Vorzeigeunternehmen losgelöst vom Flächentarifvertrag schon eingeleitet haben. Was IG Metall und Arbeitgeber in der nächsten Tarifrunde entwickeln, hat Auswirkungen auf die gesamte deutsche Wirtschaft. Wenn sie dieser Herausforderung gerecht werden wollen, statt sich im tarifpolitischen Klein-Klein zu verhaken, müssen sie sich von alten Dogmen lösen.