Vor den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst liegen die Gewerkschaften im Clinch mit Rathauschefs wie Esslingens Matthias Klopfer. Der Streit dreht sich um die Frage, was schwerer wiegt: die klamme Finanzlage der Kommunen oder die Attraktivität der Arbeitsplätze?
Die Forderungen von Verdi und dem Deutschen Beamtenbund haben es in sich. Für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen wollen sie vor der anstehenden Tarifrunde acht Prozent mehr Einkommen – mindestens aber 350 Euro pro Monat – sowie drei zusätzliche Urlaubstage aushandeln. Das bundesweite Thema schlägt auch regional hohe Wellen. So überreichten Verdi-Mitglieder Esslingens Oberbürgermeister Matthias Klopfer vor dem städtischen Neujahrsempfang am Montag eine Liste ihrer Forderungen. Die Gewerkschaft nennt das von mehr als 6800 Beschäftigten im Bezirk Fils-Neckar-Alb unterschriebene Papier einen Stärketest.
Doch scheinen die Fronten in der größten Stadt des Kreises verhärtet. So zeigte sich Klopfer unbeeindruckt von den Signaturen und bezeichnete die Lohnforderungen beim Empfang als „absolut unrealistisch und nicht von dieser Welt“. In einem längeren Statement verweist der Rathauschef auf die finanziell angespannte Situation vieler Kommunen. Er sagt: „Sollten wir als kommunaler Arbeitgeber eine Entgelterhöhung von acht Prozent stemmen müssen, wären wir möglicherweise gezwungen, Personal abzubauen oder gewisse Leistungen zu kürzen – von denen einige auch spürbar bei unseren Bürgerinnen und Bürgern ankommen würden.“
Verdi-Geschäftsführer: „Beschäftigte unterbezahlt“
In der anderen Ecke des rhetorischen Ringkampfs steht Benjamin Stein, der Bezirksgeschäftsführer von Verdi Fils-Neckar-Alb. Er wählt ebenfalls klare Worte und sagt: „Beschäftigte im öffentlichen Dienst von Bund und Gemeinden sind unterbezahlt im Vergleich zum Rest der Republik.“ Für diese Aussage stützt er sich auf die tarifliche Entwicklung der Branche. Nach Angaben des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts sind die Tariflöhne im öffentlichen Dienst seit 2000 um 72 Prozent gestiegen, im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt dagegen um 76 Prozent und in Teilen der Industrie sogar um bis zu 87 Prozent.
Stein widerspricht der These, die Angestellten im öffentlichen Dienst hätten mehr Arbeitsplatzsicherheit als viele Mitarbeiter in der freien Wirtschaft. Das gelte zwar in Teilen für Beamte – „wobei man auch mit A8 als Polizist nicht reich wird“ –, der überwiegende Teil der kommunalen Beschäftigten sei allerdings nicht verbeamtet. Auch die Vorstellung des „lockeren und leichten Arbeitens“ im öffentlichen Dienst entspreche nicht mehr der Realität. „Der Arbeitsaufwand ist aufgrund des Fachkräftemangels erheblich gestiegen“, sagt Stein. Das zeige sich darin, dass viele Vorgänge länger dauerten als früher und beispielsweise Kitas und Krankenhäuser stark überlastet seien.
Nürtinger OB sieht Grenze bei Work-Life-Balance
Im Gegensatz zu Esslingens OB Klopfer hat Ostfilderns Erster Bürgermeister Andreas Rommel durchaus Verständnis für die Argumente der Gewerkschaft und sagt: „Aus Sicht der Kolleginnen und Kollegen, die tagtäglich ihre Leistung bringen, sind dies angesichts der Preisentwicklungen der vergangenen Jahre berechtigte Forderungen.“ In Zeiten des Fachkräftemangels seien attraktive Arbeitsbedingungen umso wichtiger.
Das sieht Nürtingens Oberbürgermeister Johannes Fridrich grundsätzlich ähnlich. Er sagt: „Aufgrund der hohen Inflation war der Anstieg bei der vergangenen Tarifverhandlung aus meiner Sicht richtig.“ 2023 stand am Ende eine Lohnsteigerung von 5,5 Prozent. Fridrich schränkt jedoch ein: „Nun sollten sich die Erhöhungen wieder am Inflationsausgleich orientieren.“ Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes betrug die Inflationsrate im Dezember 2024 durchschnittlich 2,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Weniger konziliant äußert sich Fridrich indes zur Forderung, den Urlaubsanspruch zu erweitern. Er hält die bisher festgeschriebenen 30 Urlaubstage für ausreichend und sagt: „Bei allem Verständnis für eine attraktive Work-Life-Balance – hier ist nun eine Grenze erreicht.“
Klamme Kassen vor Tarifrunde
Stein verteidigt dagegen auch diese Forderung. „Wir wollen Entlastungsfaktoren schaffen“, sagt der Verdi-Mann. Die Idee sei es, sich freie Tage auf einem Langzeitkonto ansparen zu können, zum Beispiel für ein Sabbatical oder die Pflege von Angehörigen. Außerdem argumentiert Stein: „Wenn wir dadurch mehr Teilzeitbeschäftigte zur Vollzeitarbeit bewegen können, ist das für die Kommunen ein Nullsummenspiel, weil sie dann voll einzahlen.“
Immerhin: Mit Blick auf die strukturellen Ursachen für die klammen Kassen sind sich Stein und Fridrich einig. Der Nürtinger OB sagt: „Das Grundproblem ist, dass Kommunen mehr als 25 Prozent des öffentlichen Gesamthaushalts tragen, aber nur 14 Prozent des Steueraufkommens erhalten.“ Zusätzliche Ausgaben wie Lohnerhöhungen für Beschäftigte seien deshalb nur durch Schulden zu stemmen. „Dies sollte aber nicht zu Lasten unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen“, stellt Fridrich klar. Auch Stein sagt zur Finanzlage von Städten und Gemeinden: „Daran sind nicht die Beschäftigten schuld, sondern Bund und Länder, die immer mehr Aufgaben auf die Kommunen abwälzen.“
Streiken bald die städtischen Angestellten?
Verhandlungen
Die Tarifrunde für den Öffentlichen Dienst startet am 24. Januar. Verdi vertritt die Beschäftigten von Bund und Kommunen darin zusammen mit dem Deutschen Beamtenbund, einem Dachverband verschiedener Gewerkschaften. Neben der Entgelterhöhung und dem erweiterten Urlaubsanspruch fordern sie einen zusätzlichen freien Tag für die Mitglieder de vertragsschließenden Gewerkschaften.
Vorgehen
Verdi-Bezirksgeschäftsführer Benjamin Stein hat angekündigt, in der kommenden Woche eine Pressekonferenz zu möglichen Schritten im Arbeitskampf abzuhalten. Dabei soll auch das Thema Streik zur Sprache kommen.
Beamte
Die verbeamteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kommunen werden nach den Regeln des Landes besoldet. Die für sie relevante Tarifrunde beginnt im Oktober. In den Kommunen stellen Beamte eine Minderheit da. So sind es beispielsweise in Nürtingen nur 52 von insgesamt rund 1000 Beschäftigten.