Die Arbeitgeber des baden-württembergischen Einzelhandels haben schon zum Auftakt der Tarifverhandlungen ein Angebot vorgelegt. Die Gewerkschaft sieht sich dennoch veranlasst, zu ersten Protestaktionen aufzurufen.
In der Tarifrunde des baden-württembergischen Einzelhandels haben die Arbeitgeber der Gewerkschaft Verdi überraschend schon beim ersten Treffen ein Angebot gemacht. Demnach sollen die Gehälter von 490 000 Beschäftigten über zwei Jahre um insgesamt fünf Prozent steigen – im ersten Jahr um drei Prozent und im zweiten Jahr um weitere zwei Prozent.
Zudem wollen sie eine steuer- und sozialabgabenfreie Inflationsausgleichsprämie von 1000 Euro zahlen – 750 Euro im ersten Jahr und 250 Euro im zweiten Jahr. Prämien, die bereits von Arbeitgebern an ihre Beschäftigten ausgezahlt wurden, sollen anrechenbar sein. Für Unternehmen in kritischen finanziellen Lagen soll es eine tarifliche Notfallklausel geben.
Arbeitgeber: Schnellstes und höchstes Angebot
„Wir sind uns unserer Verantwortung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einzelhandel bewusst und steigen daher mit dem schnellsten und höchsten Angebot seit Jahrzehnten in die Tarifrunde ein“, betonte Philip Merten, der Vorsitzende der Tarifkommission auf Arbeitgeberseite. Das Angebot habe in der Kombination von Grundlohnerhöhung und Inflationsausgleichsprämie ein Gesamtvolumen, das höher sei als jeder einzelne Tarifabschluss der vergangenen Dekade. „Wir zeigen damit, dass wir ernsthaft nach einer Lösung suchen, die die Bedürfnisse der Beschäftigten und die wirtschaftlichen Zwänge von Unternehmen in unserer Branche zum Ausgleich bringt.“
Allein mit tariflichen Mitteln werde man die Folgen der Inflation aber nicht auffangen können, sagte der Verhandlungsführer. Nur im Zusammenwirken von Staat, Unternehmen und Tarifpolitik ließen sich die Folgen des Kaufkraftverlustes für die Beschäftigten bewältigen – würde man allein auf höhere Löhne setzen, würde dies die Inflation erheblich anheizen.
Handelsverband: Preissteigerungen von Verbrauchern ferngehalten
Zudem hätten viele Handelsunternehmen seit Beginn der Krise die enorm gestiegenen Erzeugerpreise, soweit sie dazu in der Lage seien, von den Verbrauchern ferngehalten, behauptet Merten. Dies sei bereits deutlich auf Kosten ihrer Ertragskraft gegangen. „Wir sehen darin einen gesellschaftlichen Beitrag der Branche, der allen zugutekommt.“
In einer Zeit, in der relativ viele prominente Unternehmen wie Peek&Cloppenburg oder der Biomarkt Basic von den gestiegenen Kosten überrollt worden seien und Insolvenz anmelden müssten, sei Besonnenheit und verantwortliches Handeln das Gebot der Stunde, heißt es aus dem Handelsverband. Dass die Lage des Einzelhandels äußerst prekär sei, ließe sich an zahlreichen Kennzahlen ablesen. So berichte das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) von steigenden Gesamtzahlen an Insolvenzen – vermehrt seien Arbeitsplätze im Einzelhandel von dem Trend betroffen.
Durch die explodierenden Kosten habe sich die Situation beim Eigenkapital in den vergangenen zwölf Monaten weiter zugespitzt. „Die Handelsunternehmen stehen schlechter da als vor der Krise“, betont der Handelsverband. Hinzu komme, dass die Verbraucherstimmung weit vom Vorkrisenniveau entfernt sei, sodass eine grundsätzliche Entspannung der prekären Lage des Einzelhandels nicht absehbar sei.
Arbeitgeber: Forderung deutlich über der Inflation
„Bei Lohnforderungen ist also Augenmaß gefragt und ein Interessensausgleich zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite wichtig“, mahnt Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg. „Eine Forderung von 15 Prozent, wie sie Verdi für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im baden-württembergischen Einzelhandel aufstellt, ist davon weit entfernt und übersteigt die prognostizierte Inflation deutlich.“
Verdi: Unternehmen haben Preise ihrerseits erhöht
Die Gewerkschaft ging in den Verhandlungen nicht nur auf die hohen finanziellen Belastungen der Beschäftigten durch den Anstieg der Konsumentenpreise ein. Auch wurde die Umsatzentwicklung im Einzelhandel im vergangenen und bisherigen Jahr insgesamt als weitgehend stabil bezeichnet. „Dies ist eine gute Voraussetzung für kräftige und nachhaltige Entgelterhöhungen“, befand Verhandlungsführer Wolfgang Krüger am Donnerstagabend.
Die Arbeitgeber hätten die positiven Beschreibungen der Umsatz- und Ertragssituation des Einzelhandels bestritten und einen massiven Arbeitsplatzabbau in Aussicht gestellt, falls die Tarifforderung von 15 Prozent ohne Abstriche umgesetzt werden müsse.
Aufruf zu ersten Meinungsbekundungen
Die Verdi-Verhandlungskommission bewertete das Angebot der Arbeitgeber als völlig unzureichend und lehnte es einstimmig ab. Daraufhin wurde die Verhandlung beendet. Die Gewerkschaft will nun die Beschäftigten in den Betrieben informieren und sie „zu ersten Meinungsbekundungen gegenüber ihrem Arbeitgeber aufrufen“. Weil die Friedenspflicht Ende März abgelaufen ist, sind auch bereits Warnstreiks möglich.