Vor dem Mercedes-Benz-Werk in Sindelfingen haben am Montagvormittag etwa 10 000 Warnstreikende lautstark auf die Tarifrunde aufmerksam gemacht. Foto: DPA

Die Tarifrunde der Metaller ist in ihrer entscheidenden Phase. Eine Entscheidung vor Pfingsten wird immer wahrscheinlicher. Nordrhein-Westfalen gerät als Pilotbezirk immer mehr in die Favoritenrolle. Die geplante vierte Verhandlungsrunde in Ludwigsburg steht auf der Kippe.

Stuttgart - Nicht als „Schlussspurt“, sondern als „Warmlaufen“ will IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger die weiteren Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie verstanden wissen. 140 000 Teilnehmer hat die Gewerkschaft bisher in Baden-Württemberg gezählt – allein 10 000 am Montag bei Mercedes in Sindelfingen, wo in der Folge ein halber Produktionstag ausfiel. Bundesweit sollen seit Ende der Friedenspflicht 393 000 Beschäftigte an Kundgebungen und Warnstreiks teilgenommen haben. Die Botschaft an die Arbeitgeber lautet: Wir können noch deutlich zulegen, wenn es sein muss.

Dennoch geht die Tarifrunde offenbar in ihre Endphase. Die Vorlage dazu bot eine Verhandlung bis zum späten Montagabend in Neuss, wo die nordrhein-westfälischen Kontrahenten die gegenseitigen Grenzen ausloteten. Nachdem IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und Bezirksleiter Zitzelsberger schon im Vorfeld die Erwartungen an diesen Termin gesenkt hatten, konnte zwangsläufig nur ein Zwischenstand herauskommen. Man sei für einen Durchbruch noch viel zu weit auseinander, hieß es vorher.

Die Erkenntnisse von Neuss mit einer womöglich beiderseits erhöhten Kompromissbereitschaft will an diesem Dienstag der IG-Metall-Vorstand in Frankfurt beraten. Am Dienstagnachmittag tagt dann die Große Tarifkommission der IG Metall Baden-Württemberg in Sindelfingen, um aus ihrer Sicht den weiteren Fortgang zu diskutierten. Ähnlich wollen die Arbeitgeber den Stand der Verhandlungen bewerten.

Beide Seiten befürworten Abweichungen für einzelne Unternehmen

Die große Frage ist also, ob die Gespräche in Neuss die Aussicht auf einen baldigen Erfolg bieten. Im Zentrum stand vor allem die Struktur eines Abschlusses. Sowohl Zitzelsberger als auch Metall NRW hatten sich zuvor für eine Differenzierungsklausel ausgesprochen – ein entscheidender Weg zur Befriedung. Damit sollen einzelne Betriebe, die wirtschaftlich nicht so toll dastehen, vom Tarifabschluss abweichen dürfen. Das ist für die IG Metall ein gewichtiger Schritt – denn an der Gewerkschaftsbasis sind diese Klauseln nicht besonders beliebt. Deswegen sollen die Betriebsräte auch nicht in die Zwangslage gebracht werden, über derlei Abweichungen selbst verhandeln zu müssen. Dies sollen den Tarifparteien vorbehalten bleiben, verlangt Zitzelsberger.

Nun tun sich drei Szenarien auf: Entweder die Unterhändler in Nordrhein-Westfalen gewinnen so viel Zuversicht, dass sie dort alsbald den Abschluss suchen. Genau danach sieht es infolge der, wie es heißt, „sehr konstruktiven Gespräche“ am Montagabend auch aus. Auf eine Frage nach dem möglichen Pilotbezirk sagte der Verhandlungsführer der NRW-Arbeitgeber, Arndt Kirchhoff: „Wir sind dazu bereit.“

Dennoch könnte speziell die IG-Metall-Führung noch eine zweite Variante entscheiden: nämlich einen Anlauf in Baden-Württemberg zu wagen. Dann käme das geplante Treffen am Mittwoch in Ludwigsburg zur Geltung. Beide Seiten halten an dem Tag ihre wichtigen Gremien vor. Die notwendige Zahl an Räumen und Hotelzimmern wurde offenbar auch schon gebucht – für alle Fälle. Der Termin würde allerdings kurzfristig abgesagt, sollte es keine Aussicht auf ernsthafte Verhandlungen geben. Scheingespräche will die IG Metall partout verhindern. Damit hatte sie 2013 schlechte Erfahrungen gemacht, als schon klar war, dass es in Bayern zum Pilotabschluss kommen sollte. Prompt erntete die Gewerkschaftsführung von den betrieblichen Vertretern im Südwesten den Vorwurf, dass man sich verschaukelt fühle.

Ein Abbruch ist derzeit unwahrscheinlich

Das dritte Szenario wäre ein Abbruch mit der Perspektive, nach Pfingsten weiter zu machen. Dann würde die IG Metall wohl auf ihr neues Instrument der Tagesstreiks zurückgreifen, und die Tarifrunde könnte noch erhebliche Wucht entfalten. Allerdings ist diese Variante die unwahrscheinlichste. Aus beiden Lagern kam zuletzt die Ansage, dass man einen zügigen Kompromiss anstrebe. Insofern sind die aktuellen Warnstreiks – wie an diesem Dienstag bei Bosch in Feuerbach, in Esslingen sowie Nürtingen – wohl doch der Schlussspurt.