Die Gewerkschaft Verdi drängt im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes zur Eile: Der erste Streiktag erfolgt im Stuttgarter Jugendamt. Die hohe Beteiligung der Erzieherinnen und Erzieher hat gewichtige Gründe.
Die Gewerkschaft Verdi fackelt nicht lange – zügig will sie in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes Druck aufbauen. So schickt sie in Stuttgart eine ihre mitgliederstärksten Berufsgruppen am ersten Streiktag ins Feld, die Erzieherinnen und Erzieher. Offenbar mit Erfolg aus der Sicht der Initiatoren: das Jugendamt zählt 1638 Streikende und 127 geschlossene Kitas sowie Schülerhäuser; 36 Einrichtungen bleiben an diesem Mittwoch teilweise und 34 ganz geöffnet. Und rasch wird an diesem Tag klar: Schon bald wird es – sicher zum Unmut vieler Eltern – den nächsten Ausstand in den Stuttgarter Kitas geben.
Tags zuvor hat das Jugendamt per Mail eine Order herausgegeben, man möge nicht mit Medienvertretern reden. Also muss die erfahrene Erzieherin, die am Rande der morgendlichen Streikversammlung im DGB-Haus nicht schweigen will, an dieser Stelle namenlos bleiben. Warum gestreikt wird – darauf hat die Kita-Leiterin zunächst eine einfache Antwort: „Ich denke, ein Großteil des Personals ist erschöpft.“
Es geht weniger ums Geld als mehr um Arbeitsbedingungen
Zu wenig Beschäftigte wegen unbesetzter Stellen, das ständige Stopfen von Personallücken, eine teils nicht mehr zu bewältigende Arbeit mit den Kindern, die zunehmend das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit hätten – ferner die psychischen und physischen Nachwirkungen der Pandemie. „Corona hat was mit uns gemacht“, sagt sie.
All dies belastet oder überfordert nach ihren Worten viele Erzieherinnen. Auch sie selbst sei – nach 40 Jahren in diesem „schönen und verantwortungsvollen Beruf“ – schon ziemlich ermüdet, zumal sie in ihrer leitenden Position auch noch mit viel Bürokratie belastet wird. Dass die Einkommen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen seien, verkennt sie nicht.
So beträgt das Einstiegsgehalt einer Erzieherin laut der Gewerkschaft seit vorigem Jahr 3656 Euro im Monat – das Endgehalt 4539 Euro. Eine Kita-Leiterin kommt, je nach Größe ihres Verantwortungsbereichs, auf 4642 bis 5669 Euro. Doch gehe es den meisten Erzieherinnen nichts um das Geld, sondern um gute Arbeitsbedingungen, sagt die Erzieherin. Und beim Werben um Nachwuchs spiele die Attraktivität des Gehaltsniveaus in einer teuren Stadt wie Stuttgart durchaus eine Rolle.
Auf der Streikversammlung bejubelt die Gewerkschaftssekretärin Ariane Raad den ersten Streikerfolg im „größten Jugendamt bundesweit“: 80 Prozent der Einrichtungen blieben an diesem Tag geschlossen. Und es werde „definitiv nicht der letzte Streiktag vor der zweiten Verhandlungsrunde“ sein. Diese ist am 17./18. Februar geplant. Die Verantwortung für die weitere Mobilisierung der Beschäftigten schiebt sie den kommunalen Arbeitgebern zu, die sich am Verhandlungstisch in Potsdam nicht bewegten.
Eine Schlichtung wird nicht angestrebt
Tatsächlich hofft Verdi auf ein zügiges Angebot der Gegenseite, um bei der dritten Runde vom 14. bis 16. März eine realistische Chance auf eine Einigung zu haben. Eine danach mögliche Schlichtung, so heißt es am Rande, sei nicht im Sinne der Gewerkschaft. Vielmehr sollten die Sozialpartner in Zeiten wachsenden Misstrauens in staatliche Institutionen ihre Handlungsfähigkeit beweisen. Auch erscheint es nicht verlockend, dass der von den Arbeitgebern nominierte Schlichter diesmal das Stimmrecht hat: der frühere Ministerpräsident Roland Koch (CDU).
Kundgebung auf dem Marktplatz
Nach der Streikversammlung folgt ein Demozug von einigen hundert Streikenden über die Theodor-Heuss-Straße zur Kundgebung auf dem Marktplatz. Dort werden viele grüne und orangefarbene Flaggen geschwungen, damit auch im Rathaus deutlich wird, wie viele Bewegung in diesem Tarifstreit steckt.
Die stellvertretende Verdi-Landesbezirksleiterin Hanna Binder rechtfertigt die Forderung nach mehr Einkommen ein Volumen von acht Prozent, mindestens aber 350 Euro mehr im Monat – nachdem es schon in vorigen Tarifrunden spürbar mehr Geld gegeben hatte: „Jahre und Jahrzehnte lang ist diese Arbeit nicht ernst genommen worden“, sagt sie über mangelnde Wertschätzung für die Erziehungsarbeit in den Kitas. Daher seien die überproportionalen Lohnerhöhung gerechtfertigt gewesen.