In den kommenden Wochen werden wieder viele Tausende Metaller protestieren – wie hier schon vor der zweiten Verhandlungsrunde in Ludwigsburg. Foto: dpa

Der Verband Südwestmetall hält einen Entgeltzuschuss für die von der Gegenseite erhoffte Verkürzung der Arbeitszeit für nicht verhandelbar – er sei diskriminierend. IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger tut die Rechtsgutachten als „Rauchbombe“ ab.

Stuttgart - Noch vor der großen Protestwelle in der Metall- und Elektroindustrie treten Beschäftigte von Stuttgarter Betrieben an diesem Donnerstag in den Warnstreik. Im Fokus steht Porsche. So könnte die Tarifrunde ihren üblichen Verlauf nehmen – wenn da nicht die Arbeitgeber wären, die sich mit einem (unserer Zeitung vorliegenden) 72-seitigen Rechtsgutachten gegen einen Teil der IG-Metall-Forderung gewappnet haben. Diese sei rechtswidrig, lautet die Schlussfolgerung von Clemens Höpfner, dem Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht an der Universität Münster.

Die IG Metall will einen individuellen Anspruch auf eine kürzere Wochenarbeitszeit durchsetzen. Demnach können die Beschäftigten für zwei Jahre von 35 auf bis zu 28 Stunden in der Woche reduzieren. Beschäftigte, die dabei Kinder unter 14 Jahren im Haushalt betreuen oder Familienangehörige pflegen, sollen einen monatlichen Zuschuss von 200 Euro erhalten, wenn sie um mindestens 3,5 Stunden oder mehr reduzieren. Beschäftigte in Schichtarbeit oder anderen gesundheitlich belastenden Arbeitszeitmodellen sollen bei der Wahloption einen Zuschuss von 750 Euro pro Jahr erhalten.

Der Gutachter sieht eine „unzulässige Diskriminierung“

Der Gutachter stellt fest, dass die von der IG Metall geforderte „kurze Vollzeit“ „zu einer unzulässigen Diskriminierung“ führt – und zwar „der Gruppe Teilzeitbeschäftigter, die bereits derzeit wegen der Betreuung von Kindern oder der Pflege von Angehörigen ihre Arbeitszeit so weit reduziert haben, dass sie die Voraussetzungen des Anspruchs auf Entgeltzuschuss nicht erfüllen können und auch kein Rückkehrrecht zu einer höheren Arbeitszeit haben“. Unter anderem würden Arbeitnehmerinnen innerhalb dieser Gruppe gegenüber männlichen Kollegen benachteiligt, ohne dass für die höhere Vergütung von Männern, die im Rahmen der „kurzen Vollzeit“ einen Entgeltzuschuss erhalten, eine sachliche Rechtfertigung ersichtlich sei. „Die Benachteiligung ist weder aus Gründen der Verringerung der Arbeitslosigkeit noch der Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Gesundheit gerechtfertigt“, so Höpfner.

Diese Rechtssicht könnte gravierende Folgen haben: „Wir können über eine rechtswidrige Forderung nicht konkret verhandeln“, betont ein Südwestmetall-Sprecher. Sonst müsste man zum Beispiel fürchten, dass ein Mitgliedsunternehmen von einer Arbeitnehmerin, die sich diskriminiert fühle, verklagt werde. Die Arbeitgeber wollten die Tarifrunde nicht vor Gericht austragen, heißt es – bei einer Eskalation könne man dies aber nicht ausschließen.

Auch ein Modellwechsel ändert nichts an der Einschätzung

Die juristische Sicht tangiert auch die Streiks: „Ein Arbeitskampf, der die Durchsetzung sowohl von rechtmäßigen als auch von rechtswidrigen Tarifforderungen zum Ziel hat, ist nach der vom Bundesarbeitsgericht vertretenen ,Rührei-Theorie’ insgesamt unzulässig“, schreibt Höpfner. „Ein solcher Arbeitskampf kann im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durch Erlass einer einstweiligen Verfügung verhindert werden.“ Die Theorie, auch „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ genannt, sieht den Arbeitskampf als „einheitlichen Handlungsakt“ an, auch wenn er der Durchsetzung diverser Forderungen dient.

In einem 22-seitigen Ergänzungsgutachten geht der Münsteraner Lehrstuhlinhaber auch auf eine von der IG Metall nachgeschobene Forderung ein, um der Diskriminierung entgegenzuwirken. Demnach will die Gewerkschaft allen Beschäftigten, die bisher einer Teilzeitbeschäftigung von unter 28 Stunden nachgehen, einen Anspruch auf eine befristete Arbeitszeiterhöhung mit 28 bis 35 Wochenstunden ermöglichen – also einen Modellwechsel. Höpfner zufolge bleibt die Einschätzung der Rechtswidrigkeit allerdings bestehen.

Zitzelsberger reagiert genervt

IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger reagiert genervt auf die Gutachten: „Das ist die Meinung eines Juristen“, sagte er unserer Zeitung. Die Experten der Gewerkschaft würden sich das nun näher ansehen. „Wir halten es aber für eine Rauchbombe – ein Ablenkungsmanöver, um nicht mit uns über diese Fragen verhandeln zu müssen.“ Eine Tarifrunde werde nicht mit der Verbreitung von Gutachten gelöst. Dies wäre „ein gewagtes Spiel, weil es eher zur Eskalation führt“, warnt der Verhandlungsführer.

„Unsere Forderung ist rechtmäßig“, betont er. „Sie kann gar nicht diskriminieren.“ Dies könne allenfalls das Ergebnis. Auch sei eine Ungleichbehandlung von Beschäftigten nicht automatisch diskriminierend – „zumal wir wieder wie schon häufiger in der Vergangenheit einen Standard setzen wollen, den es noch gar nicht gibt“. Folglich sollten die Arbeitgeber im Falle von juristischen Bedenken nun konstruktive Vorschläge machen, wie man das Problem in den Verhandlungen lösen könne.