Zwei volle Tage lang ist der Fahrplan der Deutschen Bahn wohl hinfällig. Foto: dpa/Jens Büttner

Die Gewerkschaft EVG will den 50-stündigen Warnstreik bei der Deutschen Bahn durchziehen – ein Ultimatum bis Freitagmittag verstrich ohne Annäherung. Dabei scheint der aktuelle Knackpunkt der Verhandlungen gelöst zu sein.

Vergeblich haben die Deutsche Bahn (DB) und die Gewerkschaft EVG noch am Freitag darum gerungen, die Eskalation im Bahntarifkonflikt abzuwenden. Zwar hat bei dem aktuellen Knackpunkt – der Aufnahme des gesetzlichen Mindestlohns in die Tariflohntabelle – zumindest aus Arbeitgebersicht am Donnerstagabend eine Annäherung stattgefunden. Dennoch will die Gewerkschaft nun den bisher längsten Streik in dieser Auseinandersetzung beginnen.

Somit ruft die EVG ihre Mitglieder dazu auf, die Arbeit von Sonntagabend, 22 Uhr bis Dienstagnacht, 24 Uhr für 50 Stunden niederzulegen. Die Bahn will den Fernverkehr von ICE- und IC-Zügen einstellen – größtenteils auch den Regionalverkehr.

DB-Management sieht die EVG-Forderungen erfüllt

Bei den neuerlichen Einigungsversuchen hat das DB-Management nach eigenen Angaben zugesagt, die EVG-Forderung zur Integration des gesetzlichen Mindestlohns in den Tarifvertrag zu akzeptieren. „Das heißt, dass vom ersten Tag des Tarifabschlusses an alle Entgelttabellen zwölf Euro ausweisen werden“, heißt es. „Keine Entgelttabelle wird weniger als den Mindestlohn beinhalten.“ Die generell angebotene Lohnerhöhung von zehn Prozent wirke dann zusätzlich.

Auch sei klargestellt worden, dass es keine Begrenzung von 13 Euro – also nicht den von der EVG beklagten „Deckel“ – geben werde, da sich bereits das vorliegende Angebot auf 13,20 Euro belaufe. Ferner will die DB vertraglich festschreiben, dass die Beschäftigten bei künftigen Anpassungen des gesetzlichen Mindestlohns fünf Prozent darüber verdienen. „Wir haben die Forderung zum Mindestlohn erfüllt, jetzt steht die EVG im Wort“, sagte DB-Personalvorstand Martin Seiler. „Sie muss nun ihre Zusage einhalten und den 50-stündigen Warnstreik absagen.“

Die Gewerkschaft lehnte „Scheinangebote“ und „Tricksereien“ ab – die DB sei nicht zur dauerhaften Lösung bereit und täusche die Öffentlichkeit, heißt es. Auch in dem neuen Vorschlag verlange sie, „die jetzt angekündigte Lohnerhöhung beim nächsten Abschluss wieder zu verrechnen“. Am Freitagvormittag stellte sie ein Ultimatum bis zum Mittag, 12 Uhr. Doch erfolgte in der Frist keine erkennbare Nachbesserung.

Schon zuvor hatte die EVG kritisiert, dass nach den Arbeitgeberplänen die Stundenlöhne die in der Branche als Mindestmaß festgelegten Branchenmindestlöhne nicht übersteigen sollen, was einem Deckel von 13 Euro gleichkomme. „Dass es für die, die am wenigstens verdienen, Einschränkungen geben soll, ist für Niemanden zu verstehen.“

Die zwölf Euro sollen die Basis für weitere Lohnerhöhungen sein

Der Streit geht zurück auf die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Oktober 2022. Kurz zuvor hatte die EVG mit der Bahn vereinbart, dass für die untersten Einkommensgruppen übergangsweise ein Stundenlohn von 12,62 Euro gewährt wird. Davon sind rund 2000 der 220 000 Konzernbeschäftigten in Deutschland betroffen – sie arbeiten etwa im Sicherheitsbereich oder in der Vegetationspflege. Dieses Hilfskonstrukt mit Zulagen sollte bis zum Abschluss des aktuell verhandelten Tarifvertrags gelten.

Eben dort will die EVG den Mindestlohn nun fest verankert wissen, bevor sie über die allgemeinen Gehaltszuwächse ringt. Die zwölf Euro sollen einen Sockel darstellen, auf dem jede weitere Lohnerhöhung addiert werden soll. Die Bahn stimmt zwar prinzipiell zu, will aber erst später in den Verhandlungen klären, ob sämtliche Tarifergebnisse bei diesen Beschäftigten in die Lohntabellen eingehen oder weiterhin teilweise über Zulagen gezahlt werden. Vermeiden will sie damit, bei Sicherheits- oder Reinigungspersonal weit mehr als die branchenüblichen Löhne zu zahlen.

GDL-Chef Weselsky kritisiert Einstellung des Fernverkehrs

Auch die Konkurrenz von der Lokführergewerkschaft meldet sich – mit Kritik an der Arbeitgeberseite, der GDL-Chef Claus Weselsky eine „verantwortungslose“ Überreaktion bei der Einstellung des Fernverkehrs vorhält. Es sei „in höchstem Maße unglaubhaft, dass der Konzern nicht in der Lage sein soll, den Grundbedarf an Personen- und Güterverkehr über Notfallpläne abzusichern“. Offenkundig bestehe bei der DB wenig oder kein Interesse, den nicht von den Arbeitskampfmaßnahmen betroffenen Unternehmen im Sinne des Systems Eisenbahn und ihrer Kunden auch nur ein Mindestmaß an Eisenbahnverkehr zu ermöglichen.

Aus Weselskys Warte hat auch die EVG kein Interesse an einer zügigen Lösung, weil sie befürchte, dass die GDL bessere Tarifbedingungen aushandeln werde. Er sei sich sicher, „dass es keinen Abschluss geben wird, bevor wir unsere Forderungen aufgestellt haben“. Die GDL will ihre Vorstellungen für die bei ihr organisierten Lokomotivführer und das Zugpersonal am 5. Juni verkünden; verhandelt wird erst von Spätsommer an.