Nicht nur für operierende Ärzte gilt: Sie sollten ihre Arbeit nicht übermüdet ableisten müssen. Foto: dpa

Die Tarifrunde für die 53 400 Ärzte an den kommunalen Krankenhäusern steht vor der Eskalation. Für Mittwoch plant der Marburger Bund Warnstreiks. Das Besondere an dem Konflikt: Es geht vor allem um die Arbeitsbelastung – weniger ums Geld.

Stuttgart - Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund bereitet den ersten unbefristeten Streik an den bundesweit 500 kommunalen Krankenhäusern seit 2010 vor. „Wenn die Arbeitgeber uns nicht vorher entgegenkommen, wird Mitte April die Urabstimmung starten“, sagte die Geschäftsführerin des Landesverbandes, Sandra Bigge, unserer Zeitung. Dann werde es nach der Bekanntgabe des Resultats Mitte bis Ende Mai zum Streik kommen. Bereits an diesem Mittwoch stehen ein Warnstreik und eine zentrale Kundgebung in Frankfurt an. Vor dem 1. Mai soll es einen weiteren Aktionstag auf Landesebene, also auch an vielen der 80 kommunalen Kliniken in Baden-Württemberg, geben.

Fünf Prozent mehr Gehalt fordert die Gewerkschaft, doch die Entlohnung steht nicht im Vordergrund – Ziel sind vielmehr Arbeitserleichterungen. „Die Belastung hat unglaublich zugenommen“, sagt die zweite Vorsitzende im Land, Sylvia Ottmüller, die als Oberärztin und Personalrätin am Klinikum Stuttgart tätig ist. Es kämen mittlerweile auch viele ältere Kollegen zu ihr mit dem Anliegen, die Arbeitszeit zu reduzieren. „Das machen die nicht wegen der Work-Life-Balance, sondern weil sie am Anschlag des Leistbaren arbeiten und die erhöhte Arbeitsdichte sowie Arbeitsgeschwindigkeit abfangen wollen“, betont sie. „Es geht um die Substanz vieler Kollegen.“

Die Dokumentation frisst jede Menge Zeit

Ärztliche Arbeitszeiten seien kaum planbar, schildert die Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Jeder Tag sei anders. Die Dokumentation mit dem Verfassen von Operationsberichten, Patientenbriefen, Statistiken und die Kommunikation mit anderen Fachbereichen blieben jedoch gleich. „Dabei darf es keinen Verzug geben.“ Sandra Bigge ergänzt: „Die Ärzte flüchten in die Teilzeit, weil sie die Hundert-Prozent-Belastung nicht mehr aushalten.“ Zunehmend sähen sie sich im Zwiespalt zwischen dem Anspruch, den Patienten gut zu versorgen und dem wirtschaftlichen Druck des Arbeitgebers einer möglichst kostengünstigen Versorgung – intern auch „persönliche Optimierung der Effizienz“ genannt. „Das ist auch psychisch für die Ärzte sehr anstrengend.“

Tarifliche Arbeitszeit ist sehr flexibilisiert

40 Stunden beträgt die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit – doch sind viele Abweichungen möglich. Der Marburger Bund fordert vor allem eine „manipulationsfreie, automatisierte Arbeitszeiterfassung“. 47 Prozent der etwa 8000 Ärzte im Südwesten würden laut einer internen Umfrage im Schnitt mindestens 50 Stunden pro Woche arbeiten, etwa 30 Prozent der Arbeitgeber würden die Zeiten nicht erfassen. Ganz unterschiedliche Systeme gibt es dazu in den Krankenhäusern; nur wenige haben eine elektronische Erfassung. Mancherorts wird auch die Zahl der Überstunden automatisch gedeckelt – Mehrarbeit über ein gewisses Maß hinaus verfällt. „Wir tragen unsere Arbeitszeiten per Hand ein“, schildert Oberärztin Ottmüller eigene Erfahrungen. Ein vorgesetzter Arzt prüfe die Angaben auf Plausibilität. „Eine verbindliche und klare Erfassung ohne vorherige Reglementierung“ wünscht sie sich.

Verlässlicher soll die Dienstplangestaltung werden. Insbesondere sollen Bereitschaftsdiensten nur noch angeordnet werden dürfen, wenn der Betroffene zwei freie Wochenenden in dem jeweiligen Kalendermonat hat, verlangt der Marburger Bund. Dann soll von Freitag um 18 Uhr bis Montagmorgen um sieben Uhr auch keine Rufbereitschaft möglich sein. Die Bereitschaftsdienste sind ein besonderer Aufreger, sie sollen generell begrenzt werden. Für die Arbeitgeber wiederum sind sie ein „elementarer Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit“ – ohne sie sei die flächendeckende Versorgung rund um die Uhr nicht zu gewährleisten. Daher müsse jede Einschränkung dringend vermieden werden.

Arbeitgeber bestreiten wachsende Belastung

Der kommunale Arbeitgeberverband (VKA) bestreitet die gewachsene Belastung. Während die Zahl der in Vollzeit tätigen Ärzte an öffentlichen Krankenhäusern gewachsen sei, habe der durchschnittliche Arbeitsaufwand durch die jährlich zu versorgenden Fälle abgenommen, versichert er. „Das kann ich so nicht nachvollziehen“, kontert Ottmüller. „Die Liegezeiten werden immer kürzer.“ Insofern seien auch die Patientenzahlen stark angestiegen.

VKA-Hauptgeschäftsführer Klaus Klapproth mag generell kein weiteres Entgegenkommen signalisieren. Zur Arbeitszeiterfassung und der Begrenzung der Bereitschaftsdienste habe man schon vor Mitte März, als die Gewerkschaft die Gespräche abbrach, einen „guten Verhandlungsstand erreicht, der Hoffnung auf eine Einigung macht“, sagte er unserer Zeitung. Konstruktiv sei die VKA auf alle Forderungspunkte eingegangen. „Wir erwarten, dass der Marburger Bund dieses Signal aufgreift und zügig aus der Schmollecke an den Verhandlungstisch zurückkehrt.“