Vier Tage traten die Shen-Yun-Tänzer in Ludwigsburg auf. Einfache Unterhaltung ist die Show nicht. Foto: NTDTV

Unser Reporter wollte eigentlich nur eine Presseakkreditierung, um sich selbst ein Bild von der umstrittenen Shen-Yun-Show zu machen. Es folgte ein Spießrutenlauf und ein aufschlussreiches Gespräch über die Verzweiflung von Unterdrückten.

Das Orchester lässt ein bedrohliches Donnergrollen ertönen, während schwarz gekleidete Tänzer auf die Bühne stürmen. Auf ihrem Rücken prangt in roter Stickerei Hammer und Sichel. Sie bedrängen die ebenfalls auf der Bühne friedlich tanzenden Bürger, schlagen und inhaftieren sie ohne ersichtlichen Grund. Die Botschaft dieser Szene ist unmissverständlich: Der Kommunismus hat die traditionelle chinesische Lebensweise zerstört.

 

Vier Tage lang gastierte die Tanzshow Shen Yun im Ludwigsburger Forum am Schlosspark. Dieser Nachbericht ist jedoch keine gewöhnliche Kulturkritik – die Hintergründe sind zu komplex, die Verflechtungen zu politisch. Es geht um kritische Berichterstattung, den schwierigen Zugang für Journalisten und eine Bewegung, die sich in einem globalen Propagandakrieg mit China befindet.

Prolog

Hinter der Tanzshow Shen Yun steht die Glaubensbewegung Falun Gong (in Deutschland Falun Dafa), die von einigen Beobachtern als Sekte eingeschätzt wird – von anderen als Glaubensgemeinschaft. Die Bewegung wird vom chinesischen Staat brutal verfolgt, viele Falun-Gong-Anhänger sind inhaftiert. Die Bewegung steht aber auch in der Kritik: unter anderem wegen des Führerkults um Li Hongzhi, dem „Meister“. Ihm wird unter anderem Rassismus und Homophobie vorgeworfen.

Falun Gong soll zudem moderne Medizin ablehnen, was laut New York Times die teils ausgebeuteten Tänzer der Shen-Yun-Show zu spüren bekommen. Drittens betreibt die Gruppe Medienplattformen, die nachweislich Falschmeldungen sowie in den USA und Deutschland größtenteils rechtspopulistische Inhalte verbreiten. Unsere Zeitung hat über die Vorwürfe berichtet und die Ludwigsburger Tourismus & Events (Telb) mit der Frage konfrontiert, warum so eine umstrittene Show eine städtische Bühne bekommt.

Akt 1 – Die Akkreditierung

Nach der Vorberichterstattung war es an der Zeit, sich selbst ein Bild von der Show in Ludwigsburg zu machen. Während Telb anfangs noch signalisierte, dass eine Akkreditierung möglich sei, kam wenige Tage vor dem Event die Kehrtwende: Shen Yun vergebe grundsätzlich keine Presseplätze, man könne jedoch selbst ein Ticket kaufen.

Sogar Telb-Geschäftsführer Mario Kreh setzte sich für einen Pressezutritt ein, die Veranstalter von Shen Yun blieben konsequent. Erst eine direkte Mail an die Falun-Gong-Vorsitzende in Deutschland brachte den Stein ins Rollen. Sie habe die Berichterstattung mit „irreführenden Aussagen“ wahrgenommen und sei offen für ein klärendes Gespräch. Auf die Frage nach einem Pressezugang zur einer Vorstellung ging sie nicht ein.

Akt 2 – Das Gespräch

Lei Zhou – eine freundliche, aber bestimmte Frau – führt durch den Backstage-Bereich des Forums. Die Crew habe ein eigenes Sicherheitsteam aus Falun-Gong-Freiwilligen, sagt sie. Das Catering koche man selbst. Der Arm der kommunistischen Partei reiche weit, immer wieder würden die Reifen des Tourbusses zerstochen, sagt Zhou.

Falun Gong habe sich in den 1990er Jahren als spirituelle, meditative Bewegung gegründet. Den Begriff Sekte findet Zhou diffamierend, Kontrollmechanismen oder Namenslisten würden bei Falun Gong beispielsweise nicht existieren.

Werbung für die Shen-Yun-Show in Ludwigsburg. Foto: Simon Granville

Die Vorsitzende beschreibt das Wesen der Bewegung mit einer Collage aus Schlagworten. Es gehe um Schöpfung, Spiritualität, Gesundheit und Energiebahnen. Obwohl die Bewegung Barmherzigkeit und Frieden predigt, unterdrückt die chinesische Regierung Falun Gong seit Ende der 1990er Jahre mit aller Härte und verbreite Falschmeldungen über die Bewegung, sagt Zhou. Die Bewegung sei unpolitisch, dennoch habe sie in den Augen der Partei zu viel Einfluss.

Unpolitisch? Inhalte der Shen-Yun-Show und der Falun-Gong-Medien beweisen doch das Gegenteil. Lei Zhou wägt ab. Beides seien Plattformen, um auf die Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, die die Bewegung durch den chinesischen Staat erleidet.

Und der Führerkult? Der Meister sei nicht so einflussreich, wie es von Medien dargestellt werde, sagt Zhou. Seine angeblich rassistischen Aussagen seien leicht zu erklären: Nach dem Glauben ist jedes Volk einem eigenen Gott zugeordnet. Sogenannte Mischehen seien problematisch, weil deren Kinder zwischen zwei Göttern zerrissen seien, das störe die Energiebahnen. Es gebe in der Bewegung dennoch viele Mischehen und kein Volk werde als überlegen angesehen, betont Zhou.

Akt 3 – Die Show

Mit dem selbst gekauften Ticket geht es im Anschluss in den Theatersaal. „Besondere Sicherheitsvorkehrungen“, erklärt ein Mitarbeiter die Taschenkontrolle am Einlass. Im Saal herrscht ein striktes Fotoverbot, während der gesamten Show stehen Falun-Gong-Mitarbeiter in den Gängen.

Die Akrobatik und Synchronität auf der Bühne sind beeindruckend. Die Darbietung ist farbenfroh, fröhlich, aber auch moralisierend und manchmal etwas albern. Es geht um die Falun-Gong-Schöpfungsgeschichte, eine verbotene Liebe zwischen Mensch und Göttin, um die Erleuchtung einer verlorenen Seele und um den Untergang des angeblich wahren Chinas durch den Kommunismus.

Sie seien überrascht, wie politisch das Stück sei, sagen die Besucher Günter und Jutta Heinzig aus Brackenheim. Schlimm finden sie das aber nicht. Es sei wichtig, auf solche Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. So sehen das auch vier weitere Besucher. Nur Pauline aus Ludwigsburg sind die Inhalte aus der Falun-Gong-Ideologe etwas zu viel. „Die Show an sich ist aber trotzdem toll.“

Epilog

Was bleibt nach dieser Recherche über eine fragwürdige Tanzshow? Shen Yun ist keine schlichte Unterhaltung, Shen Yun hat keine Lust auf kritischen Journalismus, Shen Yun ist politisch und ideologisch aufgeladen und ein Werkzeug im Kampf der Falun-Gong-Bewegung gegen die chinesische Regierung. Shen Yun ist aber auch die Verzweiflung einer verfolgten Gruppe von Menschen, die einfach nur wollen, dass ihre Geschichte gehört wird.