Szene aus „What do we do“: Das Tanzstück sieht an jedem Abend anders aus. Foto: Lys Y. Seng

Einmal falsch ausgewählt, und schon kann ein ganzer Tag versaut sein. Im Theater Rampe zeigt das Tanzstück „What do we do“,was Mitbestimmung in der Kunst für Konsequenzen haben kann.

Stuttgart - Snooze-Taste drücken oder sofort aufstehen – wie haben Sie es heute früh gehalten? Oft reicht eine falsche Wahl, um einen ganzen Tag zu versauen. Angeblich fällen wir vom Aufstehen bis zum Schlafengehen an die 20 000 Entscheidungen, da lassen sich Fehler kaum vermeiden. Hinter heißt es dann neudeutsch: Hätte, hätte, Fahrradkette. Entscheidungen zu treffen, vor allem die richtige, ist ganz schön schwer. Nicht umsonst reimt sich Wahl auf Qual...

Dieses Konfliktfeld beackert der Choreograf Edan Gorlicki mit seinem Tanzstück „What do we do“, das nach der Uraufführung im Ein-Tanz-Haus Mannheim am Freitag beim Stuttgarter Kooperationspartner, dem Theater Rampe, Premiere hatte. Was sollen wir machen? Das ist nicht nur unter Künstlern, die ein neues Bühnenstück erarbeiten, eine gängige Frage. Auch allen anderen wird derzeit immer mehr bewusst, wie weitreichend selbst kleinste Entscheidungen sind.

Entscheidungen werden aus dem Bauch heraus gefällt

Vier Tänzer, zwei Frauen, zwei Männer, befragen im atmosphärisch ausgeleuchteten Bühnengeviert das Publikum, das an allen Seiten sitzt ist, erst diskret, dann ganz offen nach Vorlieben: Feuer oder Wasser? Nah oder fern? Einfach oder kompliziert? Gelb oder blau? Ohne die Alternativen zu kennen oder sich der Konsequenzen bewusst zu sein, entscheiden die Zuschauer aus dem Bauch heraus – und man ahnt, dass das im echten Leben nicht viel anders sein mag. Das einhellige Publikumsvotum „kompliziert“ löst zum Beispiel hektisches Tanzgeschehen aus, verdrehte Gliedmaßen, ineinander verwobene Körper, komplexe Hebungen. Bei so viel manierierter Bewegtheit würden viele sicherlich ihre Wahl nachträglich ändern wollen. Aber Meinungsänderung hat die Regie nicht vorgesehen.

Das Nachdenken über solche Fragestellungen hält lange nach dem Schlussapplaus an – und ist die Stärke dieses Tanzstücks, das auf der Bühne zu beliebig bleibt. Immerhin: Selbst wer sich gleich zu Beginn für die Option „Beobachten“ entscheidet und sein Stimmfähnchen abgeben muss, weiß am Ende: Jeder ist mitverantwortlich für das, was auf der „What do we do“-Bühne passiert. Obwohl dort sehr engagierte Tänzer unterwegs sind, entwickelt Edan Gorlickis neues Stück nicht die für den israelischen Choreografen übliche Wucht. Starke Bilder wie das der Tänzerin Kalin Morrow, die von früheren Entscheidungen in Form eines sehr anhänglichen Klebebands eingeholt wird, sind leider die Ausnahme. Nach den ersten sehr starken Begegnungen mit Gorlicki, dessen Stücke „The Players“ und „Lucky Bastards“ beim Festival „Sechs Tage frei“ mit dem Theaterpreis von Stadt und Land ausgezeichnet wurden, bleibt nun die Neugierde auf sein neues Projekt: Vom Herbst an erforscht er in „Molecular Scars“ für drei Jahre den Umgang unserer Gesellschaft mit traumatischen Ereignissen. So wie es aussieht, wird ihm der Stoff nicht ausgehen.

Nochmals am 18. und 19. Oktober