Siri Kirchmann und Philipp Hanus trainieren fünf-, sechsmal die Woche bis zu fünf Stunden pro Tag im Tanzsportzentrum Stuttgart-Feuerbach. Foto: Georg Linsenmann

Die Tänzer Philipp Hanus und Siri Kirchmann sind erst zu den Profis gewechselt – und schon Vizeweltmeister. Fünf-. sechs Mal trainieren sie die Woche, auch mit Blick auf die Weltermeisterschaft 2015 in Böblingen.

Feuerbach - Wer Sport macht, der will gewinnen. Erst recht auf diesem Level.“ So einfach ist das für Philipp Hanus. Aber Tanzen, ist das überhaupt Sport? Gar Leistungssport? Nicht eher ein paarweises Vergnügen? Schwung, Schönheit, selbstvergessene Ausgelassenheit, eine Prise Erotik? Wer den beiden einmal ein wenig zuschaut beim Training im Tanzsport-Zentrum, mit zehn weiteren Paaren, der denkt dann auch nicht unmittelbar an Sport. Eher an eine Erscheinung. Wenn sie etwa einen Jive oder einen Rumba aufs Parkett legen und im virtuosen Staccato der Schrittfolgen durch die Raum-Diagonalen rauschen. Knisternde Spannung, raumfüllende Präsenz, federnde Athletik, Leichtigkeit, Eleganz – und eine Ausdruckskraft, die auch mal spontanen Beifall der anderen Paare zur Folge hat. Mitten im Training.

Den Paso Doble aber brechen sie ab: „Wir stellen die Choreografie um, und haben diskutiert, was noch nicht passt,“ erklärt Siri Kirchmann. Jetzt, um 21 Uhr, nach vier Stunden Training, kleben ihr ein paar Strähnen auf der schweißnassen Stirn. Also doch Sport? „Definitiv“, sagt Hanus, während sich sein Oberkörper noch ordentlich hebt und senkt: „Tanzen ist eine Intervall-Sportart. 180, 190 Pulsschläge in der Minute, das ist drin,“ meint er und lacht, und seine Partnerin fügt hinzu: „Man vergleicht einen Tanz mit einem 800-Meter-Lauf. Bei der WM in Rom haben wir 32 Tänze absolviert. Jetzt dürfen Sie mal rechnen.“

Erfolgsstory seit Juli 2006

Lieber nicht, lieber übers Tanzen reden, über Tanzsport. Zum Tanzen kam Siri Kirchmann aus medizinischen Gründen: „Ich hatte X- und O-Beine. Tanzen hat geholfen. Da habe ich Feuer gefangen,“ erzählt die 24-Jährige, die eben ihr Lehramtsstudium an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg abgeschlossen hat. Schon mit zarten zwölf Jahren wusste sie: „Ich will Weltmeister werden!“ Genau der Satz, den Philipp Hanus dem Bundestrainer hinlegte, als er bei einer Kadersichtung nach seinen Zielen gefragt wurde. Da war er 14 Jahre. Und nun sind sie ganz nah dran.

Eine Erfolgsstory, die im Juli 2006 begonnen hat. Da haben sie sich zusammengetan: „Wir hatten auch Rückschläge. Aber seitdem geht es bergauf,“ betont Hanus. Peu à peu füllte sich die Liste der Erfolge: Süddeutsche und Landes-Meister, immer wieder auf dem Treppchen – oder zumindest fast. Auch bei internationalen Turnieren und Meisterschaften im Standard- und Latin-Tanz, wo sie gelegentlich die deutschen Farben vertraten.

Wie eine Theateraufführung

Im November vergangenen Jahres sind sie zu den Professionals gewechselt: „Wir wollten eine neue Herausforderung,“ erklärt Philipp Hanus, 25, der an der Uni Stuttgart seinen Master of Sience macht: „Das Studium war uns immer wichtig. Wir wollen nicht mit leeren Händen dastehen, wenn es mit dem Tanzen als Profession nicht klappt.“ Was jetzt anders ist, bei den Profis? „Wir müssen nicht mehr Startgebühren bezahlen, sondern bekommen Preisgelder,“ sagt Hanus, kommt aber gleich auf den Punkt: „Jetzt können wir mehr Eigenes reinbringen und unseren persönlichen Stil entwickeln. Technische Perfektion allein reicht nicht. Unsere Stärke ist die Synthese als Paar. Rhythmus, Führung, Musikalität, Ausdruck.“ Aber sind sie da jetzt nicht auch, Pardon, in einer etwas seltsamen Glamour-Welt angekommen? „Stimmt,“ sagt Siri Kirchmann, „von außen wirkt das extravagant. Es ist aber auch ein Klischee. Eigentlich ist es wie eine Theateraufführung. Wir wollen die Zuschauer erfreuen und berühren. Mit viel Emotion“. Im perfekten Gleichklang hält ihr Tanzpartner fest: „Leidenschaft, echte Leidenschaft. Das ist entscheidend. In der Synthese von komplexer Bewegung und Musik hat Tanz mit Kunst zu tun. Darum geht es uns.“ Und was ist dann das Geheimnis, beispielsweise, eines langsamen Walzers? „Oh, so viel“, sagt Siri Kirchmann, „der Schwung, die Haltung, die Balance. Es ist unendlich“.

„Den perfekten Tanz gibt es vielleicht gar nicht,“ meint Philipp Hanus und fügt an: „Aber den perfekten Moment.“ Daran arbeiten sie. Fünf-, sechsmal die Woche, vier, fünf Stunden jeweils. Auch mit Blick auf die Weltmeisterschaft 2015 in Böblingen. Hanus bekennt: „Die eigene Hymne, für einen selbst gespielt. Ja, das wär’s.“