Wagners „Tannhäuser“ im Farbenrausch: Die Lichtinstallationen der Künstlerin Rosalie dominieren die Inszenierung am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Foto: dpa

Mit Richard Wagners Oper „Tannhäuser“ gelang dem Badischen Staatstheater Karlsruhe ein lange bejubelter Saisonstart. Für eigene Akzente sorgten dabei neben dem Generalmusikdirektor Justin Brown vor allem die Farben der Stuttgarter Künstlerin Rosalie auf der Bühne.

Karlsruhe - Zwei Seelen wohnen, ach!, in seiner Brust. Zwei Frauen wohnen, ach!, in seinem Herzen. Hat er die eine, will er die andere, und der Erfüllung folgt die Sehnsucht auf dem Fuße. Venus hier, Elisabeth dort: Für den Helden von Richard Wagners großer romantischer Künstler-Oper „Tannhäuser“ sind die beiden Frauen, zwischen denen er umherirrt, nicht einfach nur Sinnbilder für die körperliche Liebe hier und die seelische Liebe dort, sondern sie sind zwei Seiten eines einzigen Bildes. Sie gehören zusammen wie Yin und Yang, Plus und Minus, Geist und Gefühl. Im Zweifelsfall läge das Glück irgendwo in der Mitte. Dass Tannhäuser diese nie findet, macht aus ihm eine tragische Opernfigur. Und eine menschliche. Eigentlich müsste uns vielfach Zerrissenen von heute Wagners Held nahe sein.

In Karlsruhe ist er das manchmal wirklich – vor allem im zweiten Akt, den der Regisseur Aron Stiehl am überzeugendsten und bis in verspielte Details der individuell durchgestalteten Volksmasse hinein durchgestaltet hat. Wie Tannhäuser hier vergebens gegen die Prüderie und Bigotterie der Wartburg-Gesellschaft ankämpft, wie er, ganz egozentrischer Künstler, von sich selbst doch nie absehen kann, wie alle Männer zwischendurch in jenen Textbüchern, die immer wieder in dieser Inszenierung auftauchen, gelesen, eingesehen und zerrissen werden, ihre Rollen und Einsätze suchen, ohne sie zu finden, und wie Tannhäuser schließlich aus der Rolle fällt: All dies sehen und fühlen wir, und wenn man von der in der Höhe engen, oft flatternden Stimme John Treleavens in der Titelpartie einmal absieht, so ist all dies am Sonntagabend in Karlsruhe auch zu hören. Justin Brown, der Generalmusikdirektor des Hauses, sorgt am Pult der Badischen Staatskapelle für größtmögliche Durchsicht sowie für das, was diesem Orchester an Präzision und Koordination möglich ist, und das Ergebnis sind etliche packende Klang-Momente. Unter den Sängern der Sänger sind, allen voran Armin Kolarczyk als Wolfram, Klaus Schneider als Walther von der Vogelweide und Lucas Harbour als Biterolf, etliche sehr gute, und Heidi Melton gibt, nachdem sie zunächst der Venus Farbe und Sinnlichkeit verliehen hat, nach kurzen Anlaufschwierigkeiten auch eine schöne Elisabeth.

Leichtes Schwächeln des Regisseurs in den Akten eins und drei

An diesem Abend nämlich dürfen die zwei Seelen in Tannhäusers Brust tun, was ihnen sonst im Opernbetrieb oft nicht vergönnt ist: Sie dürfen eins sein. Schade allerdings, dass Aron Stiehl mit dieser Setzung nicht spielt. Und schade auch, dass Heidi Melton das darstellerische Format abgeht, um ihrerseits den Rollenwechsel psychologisch plausibel zu machen.

Insgesamt bemerkt man in den Akten eins und drei ein leichtes Schwächeln des Regisseurs. Zwar spielt das Orchester die Venusberg-Szene so suggestiv, dass man unschwer erkennen kann, für welche der beiden Frauen der Komponist selbst entflammte. Doch ansonsten gehört die Szene hier einer Schar paarig sortierter Tänzer (Choreografie: Davide Bombana), die ebenso kunstvoll wie hilflos stilisierte multiple Orgasmen in Bewegungen umzusetzen versuchen. Die Pilger schickt Aron Stiehl massig erst von rechts nach links, später folgerichtig von links nach rechts über die Bühne, und überhaupt ist sehr viel konventionelles Rampentheater im Spiel. Immerhin darf Tannhäuser am Ende sterbend auf die vier Stunden lang besungene Erlösung hoffen, eine Frau hält sein Textbuch in die Höhe, und es bleibt zuletzt: ach ja, die Kunst.

Durch diese Aussage zum Schluss erscheint manche inszenatorische Blässe zuvor in einem milderen Licht. Vielleicht hatte der junge Regisseur aber auch keine Chance gegen die starke Frau, die an seiner Seite Bilder zum „Tannhäuser“ schuf: Rosalies Farblicht-Guckkastenbühne, die von wechselweise rot, violett, blau und grün strahlenden Quader-Wänden eingerahmt wird, ist eine starke Behauptung, und die drei riesigen schwebenden Tänzer-Röckchen mit den zur Decke gerichteten Tänzer-Beinen sind im ersten Akt ebenso einfache, dominierende Chiffren wie im letzten Akt die beiden schwarzen Todesengel mit ihren Schmetterlingsflügeln oder wie im zweiten Akt die künstlichen Natur-Rasenflächen mit Uhu, Wolf, Schaf, Baum und Reh, die sich als ironische Bild-Kommentare vom Schnürboden herabsenken. Rosalie gelingt ein feines Spiel mit Deutungen und Verrätselungen, das sich gemeinsam mit Wagners Klängen beharrlich im Gedächtnis einnistet. Kann einen Regisseur die Kraft ihrer Farben und kann auch eine Wartburg mit Sitzen aus riesigen, blitzenden, aufgeschnittenen Blechdosen in die Schockstarre treiben? Erlösung jedenfalls brachte ihm nur das jubelnde Publikum.

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