Der Ex-Talking-Head David Byrne beim Auftritt im Berliner Tempodrom Foto: Getty

Ein bisschen absurdes Theater, ein bisschen Brecht, ein bisschen Andy Warhol und ganz große Kunst: Warum das Konzert des Talking-Heads-Pop-Intellektuellen David Byrne im Tempodrom in Berlin eine Sensation war.

Berlin - David Byrne vertont stotternd die Midlife-Crisis, brennt stampfend Häuser nieder, macht eine tödliche Pistolenkugel zum Geschichtenerzähler, lässt Diktatoren-Gattin Imelda Marcos zu Discobeats tanzen, seziert den amerikanischen Albtraum. Der Popintellektuelle, der einst die Band Talking Heads war, hat am Mittwoch im Berliner Tempodrom das einzige Deutschlandkonzert im Rahmen seiner „American Utopia“ gegeben. Der Auftritt erwies sich als sensationelles, mit Hits verziertes Gesamtkunstwerk.

Dass David Byrne traditionelle Popshows zu blöd sind, hat er schon 1983 als Kopf der Talking Heads in Jonathan Demmes Konzertfilm „Stop Making Sense“ vorgeführt. Byrne liebt die theatralische Inszenierung seiner Musik, die hyperaktiv zuckend und zappelnd Funk, Gospel, Afrobeat und New Wave in sich aufsaugt. Diesmal ist die Bühne ein grauer Kasten. Die Technik versteckt sich hinter silbermatten Vorhängen. Es gibt nur ein Dutzend Menschen zu sehen, grau gekleidet und barfuß – Musiker, die sich ihre Instrumente umgehängt haben und die zu Schauspielern werden, zu Pantomimen, zu Tänzern, die in kuriosen Choreografien in immer neuen Gruppierungen diese graue Welt mit ihrem Leben erfüllen.

Zum Schluss ein Protestsong von Janelle Monáe

Es beginnt damit, dass David Byrne in „Here“ an einem Tischchen sitzt und mit einem Gehirnmodell hantiert. Er unterscheidet Bereiche, die große Verwirrung verursachen, zu selten genutzt werden oder mehr Aufmerksamkeit benötigen. Er ist Hamlet, Philosoph, Pathologe. Und das Gehirn sind die Vereinigten Staaten. Das Album „American Utopia“, das im Zentrum der Konzerttour des 66-Jährigen steht, der zwar in Schottland geboren wurde, aber fast sein ganzes Leben in den USA verbracht hat, lässt wenig Platz für Aussichten auf eine glückselige Zukunft, sondern ist ein Meisterwerk der Schwarzmalerei, das auch gar nicht wirklich futuristisch ist, sondern viel mehr eine Zustandsbeschreibung der USA in Zeiten von Trump. Konsequent steht deshalb am Ende der zweistündigen Show kein Hit aus Talking-Heads-Zeiten, sondern eine aktualisierte Version von Janelle Monáes Protestsong „Hell you talmbout“, das die Namen von Afroamerikanern auflistet, die der Polizeigewalt zum Opfer fielen.

Nachdem das Konzert, das eigentlich eine Konzeptkunst-Performance ist, zunächst als Ausflug in Becketts absurdes Theater beginnt, ist man am Ende bei Brechts epischem Theater, beim Verfremdungseffekt angekommen: Hier geht es nicht um Illusionstheater, sondern um Aufrütteln. Und nebenbei wird die Bühne zum Ort der Entfesslung der Musiker und der Demokratisierung: In diesem grauen Pop-Art-Kasten bekommt jeder seine 15 Minuten Warhol’schen Ruhms, es gibt kein vorne und hinten, kein oben und unten. Die zwölf Musiker, von denen sich sechs die Aufgaben des Schlagzeugs teilen, sind ständig in Bewegung, das Kollektiv wird als lebender Organismus vorgeführt.

Von „Burning down the House“ bis „Once in a Lifetime“

Und obwohl David Byrne einige der Hits der Talking Heads aussortiert hat – weder „Road to Nowhere“ noch „Psycho Killer“ gibt es an diesem Abend zu hören –, so fehlen doch nicht wunderbare Neuinszenierungen von Klassikern wie der New-Wave-Hymne „Burning down the House“, des Polyrhythmik-Meisterwerks „Born under Punches“ oder der Mittelstandsfabel „Once in a Lifetime“, in der David Byrne als eine Mischung aus TV-Prediger und Hampelmann stolpernd, hüpfend, zappelnd und zitternd tanzend einen Ausweg aus der grauen Kastenwelt sucht.