Talk im Stuttgarter Dschungelrestaraunt über Trash-TV, das bunte Stuttgart und Social Media (von links): Bachelor-Kandidatin Jacqueline Siegle, Theaterintendant Sebastian Weingarten, Beauty-Doc Christian Fitz, Model und Moderator Mustafa Göktas, DJane Alegra Cole, Journalist Uwe Bogen, Wirtin Laura Halding-Hoppenheit, Modedesigner Tobias Siewert und Schauspielerin Monika Hirschle. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Macht Trash-TV blöd? Wie tolerant und bunt ist die Stadt heute, in der Harald Glööckler einst keine Chance hatte? Unsere Redaktion bat Kreative, Influencerinnen und Kulturschaffende zum Stuttgart-Check ins Dschungelrestaurant Malo.

Stuttgart - Nix im Geldbeutel, dafür Träume vom Ruhm im Kopf, die nicht zu bändigen sind. Laura Halding-Hoppenheit, die Queen aller Queeren, erinnert sich, wie ihr Harald in den 90ern die Nächte in ihrem Kings Club durchgetanzt hat und schon mal im Bikini unterm Kunstpelzmantel erschien. Im Dschungelrestaurant Malo beim Rathaus trägt die Wirtin eine Nietenjacke mit der Pompöös-Krone hinten drauf, die sie beim Modemann beim Tagblatt-Turm gekauft hat, als dieser so arm war, dass er sich nur ein ö leisten konnte und Glöckler hieß. Sie erinnert an Zeiten, als Männer, die auf Männer stehen, sich im KC-Keller versteckten, um wenigstens dort so zu sein, wie sie sind.

Es war die Zeit, als Tobias Siewert, der Modedesigner vom Bohnenviertel, Azubi bei Pompöös war und zum schrillen Chef „Herr Glööckler“ sagte. Geduzt wurde nicht. Mit ihm lief er durch die Königstraße und sah, wie sich die Passanten nahezu kollektiv nach dem heutigen Dschungelcamp-Favoriten umdrehten. „Da habe ich zu ihm gesagt“, erzählt Siewert, „wäre es nicht wichtiger, dass sich die Menschen nach Bettlern auf der Straße umdrehen?“ Aber die, die Hilfe bräuchten, würden übersehen.

Heiße Kandidatinnen und Kandidaten auf die Stuttgarter Dschungelkrone

Halding-Hoppenheit und Siewert sind zwei von acht Stuttgart-Fans, die unsere Zeitung in den mit Grün üppig zuwachsenden Dschungel eines In-Lokals eingeladen hat, um die Herausforderung des Trash-TV anzunehmen. Abend für Abend schauen bis zu drei Millionen zu, Social Media ist voll mit den Aufregern aus dem Camp. Was macht das mit uns? In der Nachbarschaft sollte man nicht durch private Fenster blicken – bei der RTL-Show tut man’s. Beeinflusst dies politische und gesellschaftliche Entwicklungen? Im Malo sitzen Kulturschaffende, ein Beauty-Doc und Influencerinnen – Aspiranten auf eine Stuttgarter Dschungelkrone, die es nie geben wird, weil sie keiner braucht.

„Schon bei mir hat keiner zugegeben, Trash-TV zu schauen“, sagt Jacquelin Siegle, die Teilnehmerin beim „Bachelor“ 2021. Keiner wollte die Show eingeschaltet haben, aber alle wussten Bescheid. Die 25-jährige Influencerin (über 22 000 Follower bei Instagram) widerspricht, wenn man sagt, die Quotenbringer seien nur unterstes Niveau. Ihr Beispiel zeige die positiven Seiten. Jacqueline hat einen Teil ihrer Kindheit im Rollstuhl verbracht. Erst spät entschied sie sich, ihr um sechs Zentimeter kürzeres Bein zu verlängern. Vom Leiden auf Krücken sprach sie vor den Kameras, machte Behinderten Mut, sich nicht zu verstecken, wenn man nicht perfekt aussieht, sondern auf sich auch mit körperlichen Mängeln stolz ist.

RTL-Team in Stuttgart auf den Spuren von Harald Glööckler

Das aktuelle Dschungelcamp, heißt es in unserer Sofa-Runde, stellt sich gegen Rassismus und Homophobie, Vorurteile ließen sich nicht allein mit Leitartikeln bekämpfen, sondern mit Entertainment vielleicht wirkungsvoller. Laura ist seit über vier Jahrzehnten eine Kämpferin gegen Homophobie. Gerade ist ein RTL-Team bei ihr, um zu erfahren, was damals mit ihrem Freund Harald in Stuttgart los war. Nie vergessen wird sie, wie ein Mäzen des Designers plötzlich den Geldhahn zudrehte und den Gerichtsvollzieher auf den Pompöös-Chef und seinen Partner Dieter Schroth hetzte. „Der Sponsor wollte plötzlich mit Harald ins Bett“, erzählt die Wirtin lebhaft, „aber das hat er natürlich abgelehnt.“

Die Widerstände in Stuttgart, vermutet Sebastian Weingarten, der Intendant des Renitenz-Theaters, haben den „King of Kitsch“ stark gemacht. Seine Bühne befand sich wenige Schritte vom Pompöös-Laden an der Eberhardstraße entfernt. Weingarten, der ein Glitzerjackett trägt, das er dort gekauft hat, sagt, seine Branche, das Kabarett, schaue aufs Dschungelcamp herab, lebe aber trotzdem gut davon, weil man die Verrücktheiten angeblicher Stars gut ins Programm einbauen könne. Dass Lisa Fitz, die regelmäßig im Renitenz gastiert, im Dschungel dabei war, habe ihr einige Jahre lang geschadet. Heute schadet eher ihre merkwürdige Einstellung zu den angeblichen Gefahren des Impfens.

Monika Hirschle ist begeistert von den Moderationstexten im Camp

„Irgendwann musste Harald die Stadt verlassen, um Erfolg zu haben“, sagt DJane Alegra Cole, „mir ging es genauso.“ Auch wenn sie europaweit auflegt, komme sie gern in die Heimat zurück. „Unsere Stadt ist familiär, nicht so oberflächlich, man protzt nicht so, das finde ich gut.“ Moderator, Veranstalter und Model Mustafa Göktas organisiert seine Events vor allem in Berlin, weil da „mehr gehe“ – etliche Promis lebten dort, müssten nicht erst anreisen. Aber wohler fühlt sich der „schöne Musti“ in Stuttgart.

Monika Hirschle, Publikumsliebling in der Komödie im Marquardt, meint, dass man in Stuttgart mit wenigen Prominasen gut zurechtkomme: „Die brauchet mr gar net, um schee feiern zu könne.“ Überraschend outet sich die Schauspielerin als Fan des Dschungels: „Die Moderationstexte sind Klasse, mit starken Wortspielen, das ist bestes Entertainment.“ Schönheitschirurg Christian Fitz, der Glööckler vor Kameras „unterspritzt“ hat (nein, das gesamte Gesicht sei nicht von ihm), spricht über die fatale Macht der sozialen Medien. Wie man dort mit Fake-News und Hass beeinflusst werde, sei besorgniserregend. Göktas erzählt, dass er beim Thailand-Urlaub das Handy weggeschlossen habe: „In der Hosentasche hat’s trotzdem vibriert, so sehr hat man das Ding im Kopf.“

Bitte der Runde: Gudrun Nopper for Dschungelcamp!

Eine Frage an alle: Wer will ins Dschungelcamp? Keine Hand hebt sich. Welche Personen aus Stuttgart sollten ins Camp? Die Namen von OB-Gattin Gudrun Nopper und Ex-Fußballer Kevin Kuranyi werden gerufen.

Fazit im Kesseldschungel: Stuttgart ist kulturell spannend, stolz, kunterbunt, und es ist gut, dass wir nicht jeden Mist mitmachen.