Taktikexperte Jonas Bischofberger erklärt, wie der Fußball von Tim Walter beim VfB Stuttgart funktioniert. Foto: StN

Kaum hat die Saison begonnen, macht sich eine Aufbruchstimmung rund um den VfB bemerkbar. Das hat in erster Linie damit zu tun, was die Mannschaft auf dem Rasen abliefert. Tim Walters Fußball begeistert. Aber wie genau funktioniert er eigentlich?

Stuttgart - Nach zwei Pflichtspielen unter dem neuen Trainer Tim Walter ist der VfB Stuttgart kaum wiederzuerkennen. Mutig, frech, variabel und mit viel Leidenschaft treten die Schwaben bisher in der Liga auf und sind noch ungeschlagen. Unser Taktikexperte Jonas Bischofberger schaut auf Details und erklärt exklusiv den Walter-Fußball.

Der Innenverteidiger an der Eckfahne

Bei der Betrachtung eines VfB-Spiels fällt wohl den meisten auf, dass sich die Abwehrspieler in Ballbesitz anders verhalten als üblich. Vor allem die Außen- und Innenverteidiger sind ständig in Bewegung. Sie wechseln die Positionen und tauchen im Extremfall sogar an der gegnerischen Eckfahne auf. Das alte Dogma, dass zumindest die Innenverteidiger noch auf ihren Positionen festgetackert sind, bricht Walter völlig auf.

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„Positionswechsel“ ist eigentlich nicht der passende Begriff für das, was da in der Stuttgarter Hintermannschaft abläuft. Nehmen wir mal folgendes Muster, das häufiger vorkommt: Der Innenverteidiger spielt einen Querpass und rückt anschließend nach vorne auf. Dann lassen sich oft der Außen- und der andere Innenverteidiger fallen, ohne gezielt den freigewordenen Raum zu besetzen. Stattdessen entsteht eine neue Struktur, auf die sich der Gegner einstellen muss.

Das Spiel mit den Passwegen

Bei Walter geht es also weniger um ein Korsett aus Räumen oder Positionen als vielmehr um Passwege. Die Spieler sind ständig in Bewegung, damit sich die Anspieloptionen verändern und für den Gegner schwerer zu kontrollieren sind. Beispielsweise achten die Spieler darauf, dass sie nicht zu zweit in einer Linie stehen. Ist das der Fall, bewegen sie sich auseinander, damit der Gegner zwei Passwege statt einen verteidigen muss. Anders ausgedrückt: Sie stellen Dreiecke her.

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Mit seinen flexiblen Strukturen ist der VfB nicht darauf angewiesen, seine Grundordnung an den Gegner anzupassen. Auf den Pressekonferenzen kann Walter freiheraus sagen, dass er fürs kommende Spiel an seinem System nichts ändern wird. Schließlich funktioniert dieses System gegen ein 4-4-2 prinzipiell genauso wie gegen ein 5-3-2 oder ein 4-1-4-1. Ein einfaches Gegenrezept, das jeder Kontrahent in wenigen Tagen einstudieren kann, gibt es vermutlich nicht.

Ein Teil des Gesamtbilds

Letztlich sind die rochierenden Verteidiger aber nur der taktische Hingucker. Sie sind ein Instrument, das dem VfB beim Toreschießen hilft. Zum Gesamtbild gehören neben dem mutigen Ballbesitzspiel noch weitere Prinzipien. Etwa ein aggressives Pressing, fixes Umschaltspiel und kurz ausgeführte Standards. Zusammen machen sie den VfB zu einer spielerisch dominanten und leidenschaftlichen Mannschaft. Wenn dann noch die Ergebnisse stimmen, ist Spaß am Fußball garantiert.