Kerstin Hänle liebt ihren Job als Tagesmutter – die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt hingegen sieht sie höchst kritisch. Foto: /Ines Rudel

Zahlungsrückstände, Bürokratie, mangelnde Kommunikation und schwierige Erreichbarkeit: Eine Tagesmutter im Kreis Esslingen übt harsche Kritik an der Zusammenarbeit mit dem Landratsamt – und ist nicht allein damit.

Eigentlich liebt Kerstin Hänle ihren Job. Die Arbeit mit Kindern macht der Tagesmutter aus Erkenbrechtsweiler richtig viel Spaß. Doch so sehr sie in ihrem Beruf aufgeht, so sehr hadert sie auch mit seinen Begleiterscheinungen. Vor allem die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt ist laut Hänle alles andere als ersprießlich. Sie berichtet von enormer Bürokratie, schlechter Kommunikation und monatelangen Verzögerungen bei der Bezahlung – und ist mit diesen Erfahrungen nicht allein.

 

Etwa zehn Kinder hat Kerstin Hänle in den vergangenen Monaten regelmäßig betreut. Das ist viel Arbeit – und zwar zum Leidwesen der 55-Jährigen nicht nur Betreuungsarbeit. Seit ihrem Start als Tagesmutter vor 15 Jahren gebe es mehr und mehr Vorgaben in Sachen Formalitäten, Dokumentation und Weiterbildung. Das ist für Hänle oft unverständlich und lästig – aber es ist nicht ihr größtes Ärgernis. Vielmehr ist es die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt, die Hänle zweifeln lässt, ob ihr Job noch der richtige für sie ist. Am meisten ärgerten sie die Zahlungsrückstände der Wirtschaftlichen Jugendhilfe, die beim Landratsamt für die Bezahlung der Tageseltern zuständig sei. Eigentlich bekomme sie für jedes Kind einen monatlichen Betrag, „aber die Zahlungen vom Landratsamt bleiben oft monatelang aus“. Hinzu komme, dass sie bei Nachfragen oft niemanden erreiche – telefonisch nicht, aber auch auf E-Mails werde oft sehr spät oder gar nicht geantwortet.

Ausstände von bis zu 60 Prozent der Gesamteinnahmen

Die Tagesmutter hat eine Übersicht über ihre Ausfälle erstellt. Demnach hat sie in den vergangenen anderthalb Jahren nur in einem einzigen Monat alle geforderten Zahlungen erhalten. In allen anderen Monaten verzeichnete sie Ausstände von teils bis zu 60 Prozent ihrer Gesamteinnahmen. „Ich fühle mich nicht ernst genommen: Ich mache für die die Arbeit, aber bekomme mein Geld nicht“, kritisiert Hänle das Landratsamt. In der Regel erhalte sie zwar irgendwann doch die Zahlungen, aber sie wisse nie wann – zudem seien die Abrechnungen der Behörde oft fehlerhaft. Für sie völlig unverständlich – zumal es beim Landratsamt Reutlingen, für das sie ebenfalls Kinder betreue, viel unbürokratischer und reibungslos laufe. Im Januar habe sie einen Brief an den Landrat geschrieben und darin ihren Unmut geäußert – aber auch darauf keine Antwort bekommen.

Kinderbetreuung gibt es nicht umsonst. Doch die Tagesmütter müssen oft auf ihr Geld warten. Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Kerstin Hänle ist nicht allein mit ihrer Kritik. Helen Schmohl, die seit acht Jahren als Tagesmutter in Oberboihingen arbeitet, teilt den Unmut: „Es ist immer so gewesen, dass die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt sehr schlecht funktioniert“, sagt sie. Anfragen würden nur sehr schleppend bearbeitet, Sachbearbeiter wechselten ständig und man habe keine festen Ansprechpartner. „Außerdem ist die Fehlerquote sehr hoch“, kritisiert Schmohl. Oft erreiche sie niemanden bei der Behörde, bekomme keine Antworten auf E-Mails und keine Bezahlung ihrer Leistungen. „Manchmal geht es um richtig viel Geld“, sagt die 62-Jährige – ihr habe wegen extrem verzögerter Zahlungen zeitweise ein Drittel ihres Einkommens gefehlt. Das ärgere sie sehr – zumal ihr Job eigentlich so schön sei.

Bei der Nürtinger Tagesmutter Ines Vollmer haben Zahlungsrückstände ihren Angaben zufolge bereits zu einem dauerhaften finanziellen Schaden geführt. Denn weil ihr im Jahr 2022 vom Landratsamt viel zu wenig ausbezahlt worden sei, habe sie in ihrer Elternzeit 2023 viel weniger Elterngeld erhalten als ihr zugestanden hätte – schließlich berechnet sich das Elterngeld auf Grundlage der Einkünfte in den zwölf Monaten vor der Geburt des Kindes. Aufgrund der Rückstände habe sie auf einen vierstelligen Betrag beim Elterngeld verzichten müssen, ein von ihr angemahnter Schadensersatz sei nicht gezahlt worden, so die 37-Jährige. Abgesehen davon klagt auch Vollmer über lange Bearbeitungszeiten und mangelnde Erreichbarkeit beim Landratsamt.

Beim Landratsamt will man sich zu der Kritik nicht äußern. Auf die Anfrage unserer Zeitung wird lediglich das Prozedere bei der Organisation der Kindertagespflege im Landkreis Esslingen erklärt und darauf hingewiesen, dass im vergangenen Jahr der Prozess der Antragstellung und Abrechnung überarbeitet worden sei, um eine schnellere Bearbeitung zu ermöglichen – und nächstes Jahr weitere Verbesserungen geplant seien.

Unmut stößt auf Verständnis

Nicole Lauer vom Tageselternverein im Kreis Esslingen hingegen kann die Kritik der Tagesmütter durchaus verstehen. Als sie Ende 2022 als pädagogische Geschäftsleiterin angefangen habe, habe sie viel Unzufriedenheit erlebt, sagt sie. Tatsächlich sei die wirtschaftliche Jugendhilfe damals sehr belastet gewesen, es habe viele Krankheitsausfälle, Kündigungen und Wechsel beim Personal gegeben – und die Mitarbeiter seien kaum hinterhergekommen mit der Bearbeitung. „Wir haben den Unmut und die Frustration mitbekommen und konnten das absolut nachvollziehen“, sagt Lauer im Hinblick auf Zahlungsrückstände und mangelnde Kommunikation. Schließlich sei man als Selbstständige auf das Geld angewiesen und könne nicht einfach darauf verzichten.

Allerdings wundere sie sich über den Zeitpunkt der jetzigen Kritik. Denn es habe sich viel bewegt: Man habe zusammen mit dem Landratsamt große Veränderungen eingeführt, die die Prozesse vereinfachten: eine Sozialversicherungspauschale, eine Eingewöhnungspauschale und eine pauschale Berechnung der jährlichen Abwesenheit. „Man ist jetzt in einer Umstellungsphase, aber ich bin wirklich zuversichtlich“, sagt Lauer. Kerstin Hänle glaubt nicht mehr an Verbesserungen: „Ich nehme keine neuen Kinder mehr auf und gebe den Job auf.“ Das habe sie nach langem Hadern jetzt entschieden.

Geld für die Tageseltern

Unterstützung
 Nach Angaben des Landratsamtes unterstützt der Landkreis Esslingen die Kindertagespflege durch eine eigene Fachberatung sowie durch finanzielle Zuschüsse von insgesamt knapp 9,5 Millionen Euro jährlich. Derzeit würden im Kreis rund 370 aktive Tagespflegepersonen und 1500 Betreuungsverhältnisse gefördert. Bei den Tageseltern können sowohl unter Dreijährige als auch Kinder über drei Jahren betreut werden.

Bezahlung
Das Landratsamt im Kreis Esslingen zahlt für die Leistungen der Tageseltern sowie deren Unfallversicherung und die Hälfte ihrer Sozialbeiträge. Auch die Eltern zahlen Beiträge für die Betreuung. Wie die einzelnen Kommunen die Tageseltern zusätzlich zum Landratsamt unterstützen, ist unterschiedlich.