„Gehst du Kino? Isch schwör:“ Kommunikations- und Online-Experte Murtaza Akbar sitzt vor einem Spiegel. In der Hand eine Aufstecktafel, daneben der Duden. Foto: Christof Mattes/Wortwahl

Am 10. September ist der „Tag der deutschen Sprache“. Verroht und verflacht die Sprache durch die sozialen Medien? Geht es mit der „Lingua teutonica“ sprachlich den Bach runter?

Stuttgart/Neu-Isenburg - Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) warnt vor einer Verrohung der Sprache. Viele Jugendliche sprechen mehr Multikulti-Kiez als richtig Deutsch. Wir fragten den Kommunikationsexperten Murtaza Akbar, wie es um die Sprachkultur in Deutschland bestellt ist.

Herr Akbar, haben Sie Angst um die deutsche Sprache?
Warum sollte ich Angst haben? Es wird mehr (gesprochen und) geschrieben als je zuvor. Die sozialen Netzwerke, die verurteilt werden von manchen, kann ich nur willkommen heißen. Vielleicht wird auch mehr richtig geschrieben als jemals zuvor, weil so viel geschrieben wird. Natürlich ist es so, dass Vielfalt in die Sprache kommt: Es wird abgekürzt, kleingeschrieben, weggelassen.
Und das soll gut sein?
Ich heiße die Vielfalt willkommen. Es geht darum, wie die Menschen sprechen und nicht darum, was der Duden vorschreibt. Es ist sehr wichtig, dass korrekt geschrieben wird. Aber auch der Duden richtet sich nach den Menschen auf der Straße. Es geht darum, wie die Menschen sprechen. Unternehmen, die wir beraten, fragen sich: Wie erreichen wir jemanden – die junge, die mittlere, ältere Generationen? Dafür müssen wir ihre Sprache sprechen und nicht die, die jemand vorgibt.
Ganz in der Tradition Martin Luthers: Man solle dem Volk aufs Maul schauen. Der Reformator war ein Sprachschöpfer allererster Güte, was man von vielen „Menschen auf der Straße“ nicht sagen kann.
Das ist falsch. Das ist eine Pauschalierung. Auf Twitter beispielsweise wird gedisst (schlecht gemacht), aber es gibt auch Perlen. Junge Menschen, die Poesie schreiben.
Jugendliche schreiben grammatikalisch falsch auf WhatsApp und Facebook und geben gleichzeitig rhetorische und schriftliche Perlen der Weisheit von sich. Meinen Sie diese Gruppe, wenn sie von der Vielfalt der Sprache reden oder auch jene, die nicht anderes als Kiezdeutsch können?
Ist es nicht besser, mit Abkürzungen, ohne Kommas etc. zu schreiben, als es überhaupt nicht tun? Ich finde schon.
Mag sein. Aber muss man pädagogisch nicht auf eine Entwicklung ihrer Sprache und Sprechfähigkeit hinarbeiten?
Ich finde es gut, wenn die Sprache – Wörter oder in sozialen Netzwerken Wörter mit Bildern verbunden - überhaupt genutzt wird. Und: Ich finde es nicht richtig, Menschen wegen ihrer Sprache zu verurteilen.
Lassen wir die Vorurteile mal beiseite. Es geht ja auch darum, dass junge Menschen Sprache erlernen und nicht auf dem Niveau stehen bleiben: „Gehst du Kino?“ „Ichschwör“, „Boah ey, Alter.“
Das können wir beide nicht beantworten. Ich glaube nicht, dass es so sein wird. Wir hatten eine Praktikantin, die konnte beides: Kiezdeutsch und Hochdeutsch bzw. Hessisch. Sie sagte zu uns: Wenn ich in meiner Gruppe Hochdeutsch spreche, werde ich irgendwann zum Außenseiter. Eine seltsame Entwicklung. Ich glaube, dass diejenigen, die Kiezdeutsch sprechen, im Arbeitsleben lernen werden, allgemeingültigeres Deutsch zu sprechen.
Sie sind aber optimistisch.
Für mich ist das Glas (immer) halb voll und nicht halb leer. Ich finde, die Vielfalt der Sprache gut. Und ich finde, dass wir die junge Generation und ihre sprachlichen Fähigkeiten unterschätzen. Deshalb: Bleibt gelassen, Sprache lebt und wird vielfältiger.
Da denkt der Bayerische Lehrerverband aber ganz anders. Er warnt vor einer Verrohung der Sprache, die zunehmend radikaler werde und zu einer Hasssprache verkomme. Inwieweit hängen Sprache, Kultur und Moral zusammen?
Ich bin selbst mit Migrationshintergrund aufgewachsen. Ich kann vieles nachvollziehen. Ich weiß, wie stark Sprache sein kann und wie stark man mit ihrer Hilfe Menschen verletzen kann. Nämlich massiv. Wichtiger noch als die Frage, ob Sprache verroht ist die Frage, warum dies geschieht.
Sie sind gebürtiger Pakistaner, in Deutschland geboren und in Frankfurt/Main aufgewachsen. Was kann Sprache für die Integration leisten?
Ich habe mit acht Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Jetzt bin ich 47. Zu meiner Zeit gab es das Wort Migrationshintergrund noch nicht. Für die Integration – das werde ich oft gefragt - ist der wichtigste Punkt die Anerkennung der hiesigen demokratischen und gesellschaftlichen Werte. Aber der zweite Punkt ist die Sprache. Denn über Sprache funktioniert Bildung, Austausch, Kommunikation. Das habe ich selbst erfahren. Sprache ist elementar. Die Basis von allem.
Sie haben neun Thesen zur Zukunft der deutschen Sprache formuliert. Die erste These lautet: „Das Allgemeinwissen der Menschen in Deutschland wird kleiner, Nischenwissen dagegen größer.“ Was folgern Sie daraus?
Die Gefahr ist, dass sich die Menschen nicht mehr richtig unterhalten können. Deshalb plädiere ich dafür, dass sie nicht nur chatten, sondern miteinander sprechen – und zwar generationsübergreifend.
Ich liebe mein Smartphone und mein Tablet, aber noch mehr liebe ich Bücher. Finden Sie es nicht befremdlich, dass die Leute nur noch mit gesenktem Haupt auf ihren Bildschirm gucken und nicht mehr miteinander reden? Ist das nicht eine Verarmung von realer Kommunikation?
In der Tat sitzen Schüler und Studenten – meine Kinder sind zwölf und 16 – in der Bahn und im Bus, schauen aufs Handy und kommunizieren nicht miteinander. Ich sehe die Gefahren. Deshalb sage ich: Redet mehr miteinander, dann klären sich viele Sachen. Virtuell klärt sich vieles eben nicht.
Die jungen Leute – ich pauschalisiere – sind schreibfähiger, aber sprachunwilliger?
Nein. Ich bin kein Freund von Pauschalierungen. Ich bin im Rhein-Main-Gebiet aufgewachsen . . .
. . . und ich im Ruhrgebiet.
Und jetzt sind Sie im Schwabenländle unterwegs. Leider werde ich nicht mehr gefragt: Sprechen Sie Deutsch? Oder: Sie sprechen aber ein gutes Deutsch? Das ist genauso eine Pauschalierung.
So eine Frage wäre doch eine Unverschämtheit.
Aber nein. Das ist schon okay.
Finden Sie es nicht bedenklich, dass viele, wenn nicht die meisten Schüler heute nicht mal mehr den Namen Goethe und Schiller kennen, geschweige denn deren Werke gelesen haben?
Ich finde es nicht schlimm, aber schade. Insbesondere Schüler, die auf ein Goethe- oder Schiller-Gymnasium gehen und nicht mal wissen, wer der Namensgeber ihrer Schule ist. Aber ich frage Sie: War das vor 30 Jahren anders?