Stefan Keilbach ist der Sprecher der Polizei Stuttgart. Foto:  

Der rassistische Hintergrund von Tobias R.s Tat lässt sich durch nichts relativieren. Dennoch wirft R.s Fall auch die Frage auf: Wie gehen Polizisten mit psychisch auffälligen Menschen um, die in eine Wache kommen? Das erklärt Stefan Keilbach, Sprecher der Stuttgarter Polizei.

Stuttgart - Der 43-jährige Deutsche Tobias R. hat am Mittwochabend in zwei Shisha-Bars und an einem Kiosk in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat die Gewalttat von Hanau als rechtsterroristischen Terroranschlag bezeichnet und höhere Sicherheitsvorkehrungen in Deutschland angekündigt. In einer Schrift, die der mutmaßliche Täter im Internet veröffentlicht hatte, fabuliert er davon, aus rassistischen Motiven ganze Nationen auszulöschen.

Die Ermittler gehen davon aus, dass der mutmaßliche Todesschütze psychisch krank war. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, sprach auf Grundlage erster Einschätzungen von einer offensichtlich „schweren psychotischen Krankheit“. Seehofer betonte jedoch, „der rassistische Hintergrund dieser Tat ist aus meiner Sicht vollkommen unbestritten und kann durch nichts relativiert werden.“

Täter hatte Strafanzeige gestellt

Tobias R. beschrieb in einem Text, den er im Netz veröffentlicht hatte, die Überzeugung, dass er von einem „Geheimdienst“ kontrolliert werde und dieser sich in seine Gedanken einklinken könne. R. schrieb in dem Text auch, dass er zwei Mal zur Polizei gegangen sei und auch an den Generalbundesanwalt geschrieben habe, um „Anzeige wegen illegaler Überwachung“ – R.s Wahnvorstellung – zu erstatten.

Generalbundesanwalt Peter Frank bestätigte am Freitag, dass die Bundesanwaltschaft schon im vergangenen November Kontakt mit dem mutmaßlichen Attentäter hatte. Dieser habe Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation gestellt und darin zum Ausdruck gebracht, dass es eine übergreifende große Organisation gebe, die vieles beherrsche, „sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge dann abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern“. Man habe aufgrund dieses Schreibens kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Beispiele aus dem Alltag der Stuttgarter Polizei

Auch die Stuttgarter Polizei ist regelmäßig mit Menschen konfrontiert, die verwirrt sind oder Wahnvorstellungen haben. Stefan Keilbach, der Sprecher der Stuttgarter Polizei, beschreibt, wie die Beamten damit umgehen.

Herr Keilbach, was passiert, wenn in einer Polizeidienststelle ein verwirrter oder wahnhafter Mensch aufschlägt?

Wenn wir die Person so einschätzen, dass sie für sich selbst oder andere eine Gefahr darstellt, nehmen wir den Menschen in besonderen Fällen sogar sofort in Schutzgewahrsam. Das kann bedeuten, dass wir mit der Person direkt zum Arzt fahren, zum Beispiel ins Zentrum für seelische Gesundheit des Klinikums Stuttgarts. Wenn nach unserer Einschätzung keine akute Gefahr vorhanden ist, kann es auch sein, dass wir eine Meldung an die allgemeine Polizeibehörde, das Amt für öffentliche Ordnung, oder an eine andere zuständige Behörde machen, damit diese wiederum weitere Schritte prüft.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Ein älterer Mensch, der zittert, schlecht sieht und der offenbar fürs Fahren eher keine Koordinationsfähigkeit mehr hat, kommt als Zeuge auf die Wache – die Person ist aber mit dem Auto selbst hergefahren. Das würden wir dann an das Amt für öffentliche Ordnung melden, damit geprüft wird, ob diese Person ihren Führerschein behalten kann. Es kommen auch Menschen mit Verschwörungstheorien. Ich bin überzeugt, dass Ihnen jeder einzelne Streifenpolizist eine Anekdote zu Verwirrten und auch zu Verschwörungstheoretikern erzählen kann. Wenn so jemand je von Waffen sprechen sollte, schrillen natürlich alle Alarmglocken.

Sind Polizisten in der Lage, die Gefahr richtig einzuschätzen?

Wir bekommen als Polizisten Einblicke in viele, viele Situationen und Haushalte, wir haben Einsicht in ein breites Spektrum dessen, was Normalität sein kann und was darüber hinausgeht. Ich würde deshalb schon sagen, dass Polizisten eine gewisse Expertise darin haben, Menschen einzuschätzen und als Seismograf der Bevölkerung zu dienen. Auch in der heutigen Ausbildung spielen menschliche Ausnahmesituationen eine große Rolle. Aber es wird sich nie komplett vermeiden lassen, dass Menschen mit Wahnvorstellungen auf der Wache aufschlagen und womöglich später eine Straftat begehen. Denn am Ende ist es immer eine Frage der Einschätzung. Die Frage, wo sie die Schwelle setzen, um jemanden in Gewahrsam zu nehmen, ist enorm schwierig. Wir haben in Stuttgart zum Beispiel jemanden, der regelmäßig auf einer Wache vorbeikommt und sagt: „Der Schlotzer war lecker.“ Dann geht er wieder. Keinerlei Aggressionen, es fällt kein Wort über Gewalt oder Rassismus oder dergleichen. Bei so einem Menschen sehen wir bislang nicht im Waffenregister nach, ob er eine Waffe führen darf.