Alexander Ujma (links) im Gespräch mit Pfarrer Ralf Horndasch Foto: Petra Mostbacher-Dix

Der Bewährungshelfer Alexander Ujma diskutierte mit Pfarrer Ralf Horndasch über Schuld und Versöhnung und die Hürden seiner Arbeit in Sachen Täter-Opfer-Ausgleich.

S-West - Die Szene mutet fast alltäglich an. Ein Autofahrer sichtet einen Parkplatz und wartet. Plötzlich schießt ein anderer vor ihm in die Lücke. Der Wartende lässt sich das nicht gefallen und stellt den Platzklauer zur Rede. Die Sache eskaliert, es fallen Schimpfwörter, einer stößt den anderen, tritt sein Auto und verursacht mehrere 100 Euro Schaden. Der Mann, der sich das nicht gefallen lassen wollte, erstattet Anzeige bei der Polizei.

„Er versteht nicht, warum der andere so ausgerastet ist – und die beiden, einer Ende 60, der anderen Anfang 70 Jahre, landen dann auf meinem Sofa“, so Alexander Ujma. Als der Bewährungshelfer das schilderte, saß er selbst „Auf dem blauen Sofa“. In dieser Reihe spricht der Direktor der Diakonissenanstalt Stuttgart, Pfarrer Ralf Horndasch, zur besten After Work-Zeit 18.30 Uhr in seinem Haus drei bis vier Mal im Jahr mit Menschen über ihre Arbeit und das, was ihnen wichtig ist. Und das Thema am Abend mit Ujma lautete „Schuld und Versöhnung – Aus der Täter-Opfer-Ausgleichsarbeit“. „Unsere Gesprächsthemen passen zum Jahresmotto unserer Diakonissen, das lautet 2015 ,In Frieden leben mit sich und anderen‘“.

Schuld eingestehen

Dass das nicht immer einfach ist, weiß Ujma aus seiner Arbeit bei Neustart in Stuttgart. Die gemeinnützige GmbH führt für das Land Baden-Württemberg seit dem 1. Januar 2007 Bewährungshilfe, Gerichtshilfe und auch Täter-Opfer-Ausgleich durch. Und letztere ist Ujmas Domäne. „Wir sind keine freie Beratungsstelle, sondern werden von Steuergeldern finanziert, bekommen Aufträge von der Staatsanwaltschaft oder Gerichten. Auch ein Gefangener oder Rechtsanwalt kann aktiv werden, es muss in einen öffentlichen Auftrag münden, ohne Zuweisung können wir nicht tätig werden.“

Zu Neustart kämen Fälle, die im Strafrecht relevante Verfehlungen darstellten. Dazu braucht es Kriterien wie Beweisbarkeit, also einen hinreichenden Tatverdacht, und ein öffentliches Interesse der Strafverfolgung. Laut einer Statistik würden etwa 60 Prozent aller Fälle im Täter-Opfer-Ausgleich positiv mit Einigung abgeschlossen, so Ujma. In der Regel könnten dann die Akten geschlossen werden. Das entlaste auch Gerichte. „Bei 40 Prozent ist es so, dass die Betroffenen nicht kommen, sagen, sie seien es nicht gewesen, oder der Geschädigte erklärt, er will mit dem Täter nichts zu tun haben, er soll verurteilt werden.“ Manchmal sei das Opfer zu traumatisiert und ein Treffen nicht zumutbar. Und bei Straftatbeständen wie Stalking, also dem Nachstellen anderer, wäre ein solches kontrainduziert, die Kontaktaufnahme der Beschuldigten mit den Geschädigten sei verboten, das werde überwacht.

Verstehen ist der erste Schritt

Doch gleich, um was es geht, Ujma führt stets zunächst Einzelgespräche mit den Parteien, bevor es, wenn angebracht, an den runden Tisch geht. Dabei erschienen oft die Argumente und Schilderungen des Täters wie die des Opfers total schlüssig und nachvollziehbar. „Erinnerungen sind sehr subjektiv, jeder versucht für sich aus dem Ereignis eine stimmige Geschichte zu machen – und oft ist es unmöglich, die objektive Wahrheit herauszufinden.“ Gerade in Nachbarschaftsauseinandersetzungen verschwimmen die Grenzen von Täter und Opfer. Auch gebe es menschliche Schutzmechanismen, in der Psychologie Rationalisierung oder Neutralisierung genannt. Um sich selbst zu schützen und zu sagen, dass man kein schlechter Mensch sei, werde die Schuld dem anderen zugeschoben, so Ujma. „Dann heißt es, er hat mich provoziert und verdient, dass ich ihm das Nasenbein gebrochen habe. Je schlimmer die Tat, umso stärker diese Schutzmechanismen. Ich kann doch nicht im Gerichtssaal vor meiner Frau und meinen Kindern zugeben, die mich nett kennen, dass ich jemand vergewaltigt habe! Ich bin nicht so.“

Wie schlimm ein Fall auch sei, im Täter-Opfer-Ausgleich sei es wichtig, für alle einen Schutzraum zu schaffen, in dem man angenommen und nicht sofort verurteilt werde. Jeder müsse gehört werden, sagen können, was er will. „Wir alle verstoßen gegen Regeln. Letztlich geht es um eine Annäherung. Wenn ich verstehe, heißt das nicht, dass ich es richtig finde. Aber Verstehen ist der erste Schritt zur Versöhnung.“

Seine Rolle, die er erst habe lernen müssen, sei die des Allparteilichen und Mediators, der vermittelt und für das Gewinnen des Prozesses stehe. Das klappt nicht immer. „Manche Geschädigte wollen Rache. Meiner Erfahrung nach hilft sie nicht – Versöhnung ist heilsamer!“