Eine Betrachtung über Ikea, Nachhaltigkeit, vegetarische Köttbullar und Stromtankstellen von Raael Binkowski. Foto: FACTUM-WEISE

Bei Ikea in Ludwigsburg gibt es eine Charge Lounge zum Laden von Elektroautos, die der OB als erster Kunde gleich nutzt. Nur eine Werbeveranstaltung?

Ludwigsburg - Es ist ein strahlender Sonnentag. Auf dem Ikea-Parkplatz im Tammer Feld ist mal wieder die Hölle los, auf der Jagd nach dem Regal Billy und der Kommode Malm kommen in der Vorweihnachtszeit bis zu 10 000 Besucher pro Tag hier in das Einkaufszentrum. Doch zwischen den Armadas der blau-gelben Tragetüten und Kunden, die genüsslich Zimtschnecken schlemmen Köttbullar mampfen ist eine kleine Oase des Friedens eröffnet worden. Sollte man meinen. Charge Lounge nennt sich diese. Es ist eine Ladestation für Elektroautos. Solch eine will Ikea bald in allen Häusern in Deutschland anbieten.

Doch bis jetzt gibt es nur in Ludwigsburg eine Charge Lounge als Pilotprojekt des Fraunhofer-Instituts und des Wirtschaftsministeriums, das als Forschungsidee begann und nun zu einer kleinen Start-Up-Firma wurde. Die Idee: Während das E-Auto aufgeladen wird, kann sich der Besitzer in der Lounge aufwärmen. „Das kann ein kleines Meeting sein, eine Kaffeepause oder auch ein Informationshappen“, erklärt der Erfinder der Idee, Wilhelm Bauer vom Fraunhofer-Institut. Eigentlich eine tolle Sache – aber eher gedacht für die Wüste in Arizona oder die Weiten Skandinaviens, wo eine Lounge vielleicht die einzige Infrastruktur ist.

In einer pulsierenden Stadt wie Ludwigsburg wird aus der Lounge-Idee eher eine Verkaufsausstellung. Ikea wirbt in dem immerhin 400 000 Euro teuren Pavillon auf dem Parkplatz neben der Ladestation für energiesparende Herde oder Plastikboxen. Und Bauer räumt ganz unverblümt ein, dass diese Lounge nur zum kurzen Warten dienen soll: „Schließlich will Ikea, dass die Kunden noch schnell was einkaufen.“ Daher wurde auch die Ladezeit nicht zu schnell berechnet – die Ladung dauert bis zu 60 Minuten und nicht 15 Minuten, was technisch möglich wäre.

Also alles nur eine große Werbeshow? Eigens aus der Ikea-Deutschlandszentrale ist Ulf Wenzig angereist, der den schönen Titel „Sustainability Manager“ trägt. Nachhaltigkeitsmanager also, den die Ludwigsburger Ikea-Chefin Anja Heinle freundlich als „lieber Ulf“ vorstellt. Locker im Rollkragenpulli dankt er für die „Ein-Ladung“ (Stichwort aufladen) und schwärmt von Schwärmen von E-Autos, die demnächst auf Ikea-Parkplätzen vorfahren sollen. Allerdings gibt es bisher nur 200 Elektroautos in Ludwigsburg und 1300 Plug-In-Hybridfahrzeuge. Eines davon fährt kein Geringerer als der Oberbürgermeister Werner Spec, einen Audi A3 Eltron, der dunkelblau in der Sonne glänzt. Das Stadtoberhaupt lässt sich natürlich einen solchen Termin nicht entgehen – geht es doch um sein Mega-Thema Nachhaltigkeit, moderne Stadt, die totale Vernetzung, die große Vision.

Der OB fährt gerne Elektroauto – von seinem Haus bis zum Rathaus und zu Terminen in der Stadt. „Man hat eine gute Beschleunigung“, sagt Spec. Und wenn der Akku leer ist, geht es auch mal mit dem Elektrofahrrad nach Oßweil. „Wir wollen das Verhalten der Menschen ändern, dann müssen wir Vorbild sein“, versucht der Oberbürgermeister einen Sprung auf die Meta-Ebene. Und wenn er so mit seinem Elektro-Auto an der Ampel steht und die rauchenden Auspuffe der anderen Fahrzeuge sieht, dann sagt er sich: „Das ist doch die Vergangenheit.“

Also noch mal: Alles nur ein Werbegag? Der Fairness halber muss man Ikea zugutehalten: Die Firma meint es ernst. Sechs Millionen Euro investiert das Unternehmen, um bis zum Jahr 2020 mehr Energie regenerativ zu erzeugen als es selbst verbraucht – auch das rechnet der Nachhaltigkeitsmanager Ulf Wenzig vor. Aldi und Lidl bauen sich auch Ladestationen mit kostenlosem Strom für E-Autos auch auf die Parkplätze, um Kunden anzulocken. Den Akteuren geht es an diesem Tag nicht nur darum, eine schicke Vorzeige-Lounge einzurichten, sie wollten eine Lanze für die Elektro-Infrastruktur brechen, betonen sie – denn diese ist neben der fehlenden Reichweite bislang noch das Hauptproblem. Dennoch wirkt das Bemühen von Kommunalpolitikern, Ikea-Verantwortlichen und Forschern schon fast wie Tropfen auf den heißen Stein – zu schwach ist bislang die Lobby der Elektromobilität, nicht nur in Ludwigsburg.

Nachdem der kleine Leuchtturm auf dem Parkplatz vorgestellt ist, geht man noch zum Mittagessen ins Ikea-Restaurant, um Kontakte zu knüpfen im Kampf für die gute Sache. Dort gibt es jetzt neben Köttbullar auch Grönsaksbullar – ohne Fleisch, mit Gemüse. Auch dafür hat der Sustainability-Manager eine Erklärung: Köttbullar ist gemischtes Hackfleisch mit Rahmsoße – ein Klassiker, aber nicht so richtig nachhaltig. Derweil geht der normale Adventswahnsinn in den Verkaufsräumen weiter. Zwei Millionen Menschen kommen jährlich ins Ludwigsburger Ikea-Haus, gefühlt sind alle gerade jetzt da. Den Leuchtturm der Charge Lounge beachten sie nicht.