Syrische Flüchtlinge warten an der syrisch-türkischen Grenze bei Sanliurfa auf ihre Aufnahme in ein Flüchtlingslager. Foto: dpa

Zehntausende syrische Kurden sind bisher vor der Terrormiliz IS in die Türkei geflohen. Wie viele es tatsächlich sind – darüber gibt es nun Streit.

Zehntausende syrische Kurden sind bisher vor der Terrormiliz IS in die Türkei geflohen. Wie viele es tatsächlich sind – darüber gibt es nun Streit.

Istanbul/Berlin - Die Kämpfe zwischen kurdischen Verbänden und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) um die nordsyrische Stadt Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) an der Grenze zur Türkei eskalieren. Kurdentrupps sprengten ein gepanzertes Fahrzeug des IS östlich der Enklave in die Luft, drängten die Angreifer zurück und töteten 14 IS-Kämpfer, wie das Hauptquartier der Kurden am Sonntag mitteilte. Insgesamt sollen fast 90 Menschen bei den jüngsten Kämpfen um die Stadt umgekommen sein. Zeitgleich mit den Gefechten tobt eine politische Auseinandersetzung zwischen den Kurden und der Türkei. Ankara wird vorgeworfen, die Lage in Ain al-Arab für eigene Zwecke ausnutzen zu wollen.

Einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ zufolge, soll die Türkei Angaben zur Zahl kurdischer Flüchtlinge aus Syrien stark übertrieben haben. Statt der angegebenen 144 000 seien nur 15 000 bis 20 000 Menschen gekommen, zitierte das Blatt die Bürgermeisterin der türkischen Grenzstadt Suruc, Zühal Ekmez. Aus politischen Gründen werde die Zahl weit übertrieben. Das UNHCR habe die Angaben türkischer Behörden offenbar ungeprüft übernommen.

Kurdische Politiker sagen, Ankara gebe die Zahl absichtlich viel zu hoch an, um so die geplante Einrichtung von militärisch gesicherten Schutzzonen auf syrischem Gebiet durch die Türkei zu legitimieren. Mit den Schutzzonen wolle die Türkei die kurdischen Autonomiebestrebungen in Nordsyrien abwürgen.

Ob die Türkei oder die Kurden recht haben, ist aktuell nicht nachzuprüfen

Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ist an der Grenze bei Ain al-Arab präsent, es übernimmt die Zahlen der türkischen Behörden. „Wir sehen, dass immer noch neue Flüchtlinge ankommen“, sagte UNHCR-Sprecherin Selin Ünal unserer Zeitung am Sonntag. „In den ersten Tagen kamen sehr, sehr viele an, inzwischen ist die Zahl der Neuankömmlinge im Vergleich zu dieser ersten Phase gesunken.“ Ob die Türkei oder die Kurden mit ihren widersprüchlichen Angaben recht haben, ist aktuell nicht nachzuprüfen. Ünal betonte, die erste Welle der Flüchtlinge sei über neun verschiedene Grenzübergangsstellen in die Türkei geströmt, von denen die meisten seither geschlossen wurden. „Wenn wir mit den Flüchtlingen reden, sagen sie uns, dass in Ain al-Arab nicht mehr sehr viele Leute übrig sind.“ Die Zahlen der türkischen Behörden über die registrierten Flüchtlinge seien „transparent“, sagte sie.

Am Wochenende haben amerikanische und arabische Kampfjets zum ersten Mal Stellungen des IS bei Ain al-Arab angegriffen. Die US-Luftwaffe fliegt mit arabischen Verbündeten seit Dienstag Angriffe in Syrien. Nach Angaben von Menschenrechtlern könnten diese Angriffe auch Zivilisten getroffen haben. Mindestens sieben Menschen, darunter fünf Kinder, seien bei einem US-Angriff auf ein nordsyrisches Dorf am vergangenen Dienstag getötet worden, meldete Human Rights Watch (HRW) am Sonntag unter Berufung auf drei Augenzeugen.

Maas warnt vor Anti-Terror-Aktionismus

Die Türkei hält sich in dem Konflikt bisher zurück. Zwar fahren Soldaten in Panzerwagen an der Grenze Streife, doch geschossen haben sie nicht. Viele Kurden werfen der Regierung in Ankara daher vor, die radikalen Islamisten zu unterstützen, um den kurdischen Kampf für mehr Rechte zu ersticken. Die türkische Regierung weist den Vorwurf kategorisch zurück. Am Dienstag will das türkische Parlament über ein Entsendegesetz für einen Einsatz der Armee in Syrien beraten.

Zur Bekämpfung militanter Islamisten in Deutschland steht Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) schärferen Gesetzen skeptisch gegenüber. „Wir tun alles, um Terroristen auch mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen“, sagte Maas der „Bild am Sonntag“. Aber er warne vor purem Aktionismus. „Denn wir dürfen nicht aus Angst vor dem IS-Terrorismus unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung beschädigen. Wenn wir unseren Rechtsstaat beschneiden, hätten die Terroristen eines ihrer Ziele bereits erreicht.“

Maas sagte zugleich eine Prüfung der Vorschläge zu, mutmaßliche Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit einem Sperrvermerk im Personalausweis an der Ausreise zu hindern und die Sympathie-Werbung für Terrorgruppen wieder unter Strafe zu stellen.