Ein Konvoi des türkischen Militärs in Kirikhan an der syrischen Grenze. Foto: DHA

Nachdem Donald Trump der Türkei mit einer wirtschaftlichen Verwüstung gedroht hat, könnte sich im Syrienkonflikt eine Lösung auftun. Auch, weil beide Seiten einen Einflussverlust in dem Kriegsland fürchten.

Ankara - Als der US-Präsident der Türkei in der Nacht zum Montag per Twitter mit wirtschaftlicher Verwüstung drohte, holten die diensthabenden Beamten in der türkischen Hauptstadt rasch Ibrahim Kalin aus dem Bett, den Sprecher und Sicherheitsberater von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Gegen drei Uhr morgens türkischer Zeit schickte Kalin eine Replik auf Trump in die Welt, der die türkischen Angriffspläne in Syrien kritisiert hatte: Die amerikanische Syrien-Politik sei ein „fataler Fehler“, schrieb Kalin. Am Tag danach war die Empörung in Ankara über Trump groß. Doch hinter den Kulissen werden Umrisse einer Lösung erkennbar.

Trumps Tweet traf die Türken unvorbereitet. In den vergangenen Tagen hatte die Erdogan-Regierung mit US-Außenminister Michael Pompeo diskret mögliche Auswege aus der verfahrenen Situation in Nordsyrien erörtert. Dort stoßen türkische und amerikanische Interessen aufeinander: Während die USA die Kurdenmiliz YPG als Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat betrachten und die Kurdenkämpfer auch nach dem geplanten Abzug der 2000 US-Soldaten aus der Gegend schützen wollen, verfolgt die Türkei die Kämpfer.

Trumps Warnung wirkt wie eine Provokation

Vergangene Woche hatte Trumps Regierung versucht, den Türken die Zusage abzuringen, die YPG nicht anzugreifen. Ankara aber lehnt ab. Rund 80 000 türkische Soldaten stehen nach Berichten regierungsnaher Medien an der Grenze zu Syrien bereit. Sie warten auf den Befehl, auf das Territorium des Nachbarlandes vorzustoßen und die YPG aus dem Grenzgebiet zu vertreiben. Gespräche zwischen türkischen und amerikanischen Militärs sollen diese Woche weitergehen.

In der spannungsgeladenen Situation wirkte Trumps Twitter-Warnung auf die Türkei wie eine Provokation: „Werde die Türkei wirtschaftlich verwüsten, wenn sie die Kurden angreifen“, schrieb der US-Präsident. Der Kurs der türkischen Lira gegenüber US-Dollar und Euro gab am Montag prompt nach. Erst vor wenigen Monaten hatte Trump gezeigt, dass er durchaus bereit ist, auch gegen einen NATO-Partner wie die Türkei wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen einzusetzen. Im Streit um den damals in der Türkei inhaftierten US-Pastor Andrew Brunson verhängten die USA einige Importzölle gegen Ankara. Doch die Türkei lasse sich nicht einschüchtern, sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Sein Land werde trotz der Warnungen „das Notwendige“ tun, betonte er mit Blick auf einen möglichen Einmarsch nach Syrien.

Plötzlich ein gemeinsames Interesse

Der neue Streit facht die Amerika-Verdrossenheit in der Türkei weiter an. Die Türkei solle Trump auf dem Schlachtfeld antworten, forderte der Ex-General Fahri Erenel in der Online-Ausgabe der Erdogan-nahen Zeitung „Yeni Safak“. Aber es deuten sich auch Lösungsmöglichkeiten an. Trump selbst sprach von der Einrichtung einer „Schutzzone von 20 Meilen“. Die Zone sei ein alter Vorschlag der Türkei, der bisher stets abgelehnt worden sei, sagte Cavusoglu. Tatsächlich fordert die Türkei seit Jahren die Einrichtung einer Schutzzone in Syrien. Nach türkischen Vorstellungen würde sich die YPG aus der Pufferzone zurückziehen müssen. Dann wäre der wichtigste Grund für eine türkische Intervention vom Tisch. Unklar ist, ob die Kurdenkämpfer damit einverstanden wären – denn sie müssten dazu einen großen Teil ihrer Autonomiezone im Norden Syriens opfern. Von der YPG liegt bislang keine Stellungnahme vor.

Offen ist auch, wie die Pufferzone gesichert werden sollte. Ankara würde gerne türkische Soldaten und ihre syrischen Verbündeten von der Freien Syrischen Armee (FSA) in das Gebiet schicken und anschließend syrische Flüchtlinge aus der Türkei dort ansiedeln, doch dieser Plan dürfte auf Widerstand der Kurden stoßen. Dass Türken und Amerikaner plötzlich ihr gemeinsames Interesse an einer Pufferzone entdecken, liegt nicht zuletzt daran, dass beide Seiten einen Einflussverlust in Syrien befürchten. Die Türkei möchte nach dem US-Abzug selbst die entscheidende Ordnungsmacht in Nord-Syrien werden. Die USA beherrschen mit Hilfe der YPG bisher rund ein Viertel des syrischen Staatsgebietes im Nordosten des Landes.

Assad und Russland wollen die Lage der Kurden für sich nutzen

Doch andere Akteure drängen in das Gebiet. Der syrische Präsident Baschar al-Assad und seine russischen Partner wollen die Lage der Kurden für ihren eigenen Vorteil nutzen. Wegen der türkischen Drohung mit einem Einmarsch und angesichts des US-Rückzugs hatte sich die YPG zuletzt mit der Bitte um Schutz an Assads Regierung gewandt. Diese erklärte erst vor wenigen Tagen, sie wolle den Dialog mit den Kurden intensivieren. Schon haben YPG-Kämpfer laut kurdischen Angaben in der Gegend um die Stadt Manbisch am Euphrat gemeinsame Patrouillen mit syrischen und russischen Soldaten gestartet.