Ein Kämpfer der syrischen Opposition steht an einem Kontrollpunkt in Idlib. Foto: AP

Rund drei Millionen Menschen leben in der syrischen Rebellenhochburg Idlib. Viele von ihnen wurden bereits einmal vertrieben. Zu ihrem Schutz sollte bis zu diesem Montag eine Pufferzone errichtet werden. Doch die Abmachung wackelt.

Istanbul - Einen Monat nach der russisch-türkischen Vereinbarung über die Einrichtung einer Pufferzone in der syrischen Rebellenhochburg Idlib wächst die Gefahr neuer Kämpfe. Die mächtigste Dschihadisten-Gruppe der Region ließ am Montag eine Frist zum Rückzug ihrer Kämpfer aus der Pufferzone verstreichen. Zugleich bekräftigte die syrische Regierung ihr Ziel, Idlib wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Damaskus öffnete zudem einen wichtigen Grenzübergang nach Jordanien und legte damit den Grundstein für eine Wiederbelebung des Handels: Staatschef Baschar al-Assad ist sicher, dass ihm der Sieg im Krieg nicht mehr zu nehmen ist.

Die Dschihadisten wollen den Kampf gegen Assad nicht aufgeben

Der von Al-Kaida-Kämpfern geführte Milizenverband Hayat Tahrir al Sham (HTS) beherrscht große Teile der Pufferzone in Idlib, die Rebellen und Regierungstruppen trennen und von türkischen und russischen Soldaten gesichert werden soll. HTS zeigte sich in einer schriftlichen Erklärung zwar versöhnlich, machte aber gleichzeitig klar, dass die Dschihadisten den Kampf gegen Assad nicht aufgeben wollen. Auch gab es am Montag nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zunächst keine Hinweise für einen Rückzug der HTS-Truppen aus der 15 bis 20 Kilometer breiten Pufferzone. Gemäßigte Rebellengruppen hatten sich vergangene Woche den Vorgaben der russisch-türkischen Abmachung gebeugt.

Mit dem Deal mit Russland will die Türkei einen Großangriff auf Idlib verhindern. In der Region halten sich rund drei Millionen Menschen auf, von denen viele beim Ausbruch von Gefechten in die nahe Türkei flüchten könnten. Russland hatte den Türken bis zur Nacht zum 15. Oktober Zeit gegeben, um die Rebellen aus der Pufferzone zu entfernen. Ob neue Gefechte vermieden werden können, ist nicht sicher. In den vergangenen Tagen hatten HTS-Kämpfer einige Stellungen der syrischen Regierungstruppen außerhalb der Zone mit Granaten angegriffen und zwei Soldaten getötet, wie die syrische Beobachtungsstelle mitteilte. HTS habe den „Heiligen Krieg“ nicht aufgegeben, erklärte der Milizenverband selbst. Eine kleinere Dschihadisten-Gruppe in der Pufferzone hatte die russisch-türkische Abmachung rundweg abgelehnt. Die syrische Regierung erklärte am Montag, ihre Truppen hätten Idlib umzingelt und seien zum Eingreifen bereit. Nun kommt es vor allem auf Russland an.

Die Schutzmacht der syrischen Regierung wird nach Angaben aus Damaskus eine Bewertung darüber abgeben, ob der Verbleib der HTS in der Pufferzone nach Ablauf der Frist bedeutet, dass die Abmachung zwischen Ankara und Moskau null und nichtig ist – in diesem Fall könnten schon bald neue Kämpfe ausbrechen. Idlib ist der letzte Landesteil von Syrien, der noch von Assad-Gegnern kontrolliert wird. Die Regierungen in Russland und in Syrien lassen keinen Zweifel daran, dass sie die Gegend dem Herrschaftsbereich von Assad einverleiben wollen, ob auf dem Verhandlungsweg oder mit einem Großangriff. In Idlib leben rund drei Millionen Zivilisten, fast die Hälfte von ihnen Vertriebene. Hilfsorganisationen und Regierungen im Westen hatten gewarnt, eine Offensive auf Idlib könnte zu einer neuen Katastrophe für die Menschen führen.

Die Kurden sind grundsätzlich bereit, mit der Regierung zu verhandeln

Assads Außenminister Walid al-Moualem kündigte an, nach der Rückeroberung von Idlib werde sich die Regierung der Region östlich des Euphrat zuwenden, die derzeit von Kurden unter dem Schutz der USA beherrscht wird. Anders als die Rebellen in Idlib sind die Kurden grundsätzlich bereit, mit der Assad-Regierung über eine gemeinsame staatliche Zukunft zu verhandeln. Weil der militärische Sieg der Allianz aus Assad, Russland und Iran im syrischen Krieg näher rückt, richtet der syrische Präsident den Blick auf die Zeit nach dem Ende des siebenjährigen Konflikts. So ließ er am Montag den Übergang Nassib an der Grenze zu Jordanien nach drei Jahren wieder eröffnen; Nassib ist wichtig für den überregionalen Handel, der vor dem Krieg von der Türkei und vom Libanon aus mithilfe von Lastwagen bis in die Golfregion floss. Auch mit dem östlichen Nachbarn Irak laufen Gespräche über eine Wiedereröffnung der Grenze.