Die Fluchtbewegung in der umkämpften Provinz Idlib wächst. Foto: AFP

Die Bundesregierung zeigt mittlerweile eine erstaunliche Wendigkeit in ihrer Außenpolitik. Davon profitieren nicht nur Russland und die Türkei. Selbst Syriens Diktator Assad könnte sie zur Festigung seiner Macht verhelfen, meint Matthias Schiermeyer.

Stuttgart - Syriens Machthaber Baschar al-Assad schaut schon lange nach vorne. Siegesgewiss sieht er sich seinem Ziel einer „gesünderen und homogeneren Gesellschaft“ immer näher. Mehr Zynismus geht nicht – als handele es sich bei dem siebenjährigen Bürgerkrieg um ein monumentales humanitäres Experiment. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin blickt nach vorne: Fleißig wirbt er um Finanzhilfen für den Wiederaufbau. Beide haben auch allen Grund zur Zuversicht, denn die Dinge laufen in ihrem Sinne.

Die Westeuropäer beharren noch auf der Ablösung von Assad. Vorher wollen sie bei der Rekonstruktion des zerbombten Landes nicht helfen. Das ist ein löbliches Ansinnen. Es ist allerdings nur eine Frage der Zeit, bis auch sie den Verlockungen des greifbaren Kriegsendes erliegen und zur Stabilisierung des Regimes beitragen.

Verlockende Aussicht auf Rückkehr der Flüchtlinge

Wenn sich an diesem Freitag die Vertreter Russlands, der Türkei und des Iran in Teheran zum Syrien-Gipfel treffen, wird es vordergründig um die letzte große Schlacht in der Provinz Idlib gehen. Die Offensive der prosyrischen Allianz wird so sicher kommen wie in allen früheren Rebellengebieten auch. Damit droht die vielleicht größte aller Katastrophen. Neue Bilder flüchtender Menschenmassen könnten hierzulande vor allem die Befürchtung auslösen, dass ein Teil der drei Millionen Menschen in Deutschland Schutz suchen will. Das hätte den Regierenden gerade noch gefehlt. Wie reizvoll mag manchem Politiker dagegen erst die Aussicht erscheinen, dass die 725 000 syrischen Flüchtlinge, die bisher hier Aufnahme gefunden haben, bald in die Heimat zurückkehren könnten, sobald dort relative Ruhe eingekehrt ist.

Deutschland und andere sollen zahlen

Genau auf diesen Ansporn setzt Kremlchef-Putin, wenn er um Aufbaugelder für Syrien wirbt. Denn die Schutzmächte Russland und Iran sind hoffnungslos überfordert damit, die geschätzt mehr als 300 Milliarden Dollar aufzubringen. Also treiben sie die Perversion auf die Spitze: Assad legt sein Land in Schutt und Asche, während Moskau und Teheran dem bedrängten Diktator beispringen und das Blatt wenden. Bei den Aufräumarbeiten werden jedoch andere zur Kasse gebeten: vor allem die starken Wirtschaftsnationen der EU.

Bisher hält die Kanzlerin noch die Taschen zu und gibt sich prinzipientreu. Doch die jüngste Wortwahl verrät Verständnis für die Angriffe auf die Rebellenhochburg Idlib: Wer jetzt noch Widerstand leistet, sind für sie „die radikalen Kräfte“ – die Bösen also. Die Bundesregierung zeigt mittlerweile eine erstaunliche Flexibilität. Zunächst erfolgten die Lockerungsübungen mit Putin, die eine neue Russland-Politik einleiteten. Und nun profitiert auch die Türkei von der Wendigkeit der deutschen Außenpolitik. Demnach rücken in den Verhandlungen mit Ankara offenkundig selbst die Menschenrechte hinter wirtschaftliche Interessen. Der neue deutsche Pragmatismus könnte irgendwann auch für Syrien gelten.

Wie schnell lassen sich die Gräueltaten vergessen?

Ungeachtet seiner dauerhaften Abhängigkeit von Moskau und Teheran denkt Assad gar nicht daran, abzutreten. So ist seine Rehabilitierung nicht mehr ausgeschlossen. Lassen sich seine Gräueltaten so rasch verdrängen? Sie gehen ja noch weiter: Niemand sollte glauben, dass Oppositionelle nach ihrer Rückkehr ungeschoren davon kommen. Wer nicht für Assad ist, dürfte Haft, Folter und Tod ausgesetzt sein. Und selbst neutrale Syrer müssen damit rechnen, ihr Eigentum zu verlieren – die Enteignungsgesetze sind schon beschlossen. Assads „homogenere Gesellschaft“ nimmt Gestalt an.

Die Bundesregierung sollte dies alles bedenken, wenn sie die Syrer heimschickt. Ihr Dilemma scheint unauflösbar. Ein weiteres Mal rächt es sich, dass sie zu Beginn des Bürgerkriegs keine klare Haltung in der EU zustande gebracht hat. Ein finanzielles Engagement könnte zwar ein wirksamer Hebel sein, gegenüber Russland und dem Iran auf eine diplomatische Lösung zu dringen, um die nächste große Tragödie einzudämmen. Doch die Beruhigung der Lage wäre sehr teuer erkauft – auch mit der Preisgabe demokratischer Werte.