Hassan (links) und Abdul wuchten ein Sofa durchs Treppenhaus – das Möbelstück muss vom vierten Stock zum Transporter Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Zigtausende Menschen kommen in diesen Monaten neu ins Land. Wie leben sie in der neuen Heimat – und wo? Unsere Autoren begleiten drei junge Syrer in einem Langzeitprojekt bei ihren ersten Schritten im Land. Diesmal gilt es, die Wohnung einzurichten.

Stuttgart - Das Sofa ist schwerer als erwartet. Abwechselnd stöhnend und lachend wuchten Hassan (24), Sahel (25) und Abdul (27) das olivgrüne Ungetüm im Treppenhaus nach unten – vier Stockwerke trennen sie noch von dem roten Stadtmobil, welches das Möbelstück zu ihrer Wohnung bringen soll. Von außen hat das Haus in Bad Cannstatt, in dem sie die Couch abholen, weniger hoch ausgesehen als es sich jetzt anfühlt.

Vor knapp einem Monat durften die drei syrischen Flüchtlinge aus der Turnhalle in Obertürkheim ausziehen. Seither leben sie in einer kleinen Dreizimmerwohnung in Zuffenhausen. Diese teilen sie sich mit einem syrischen Vater und dessen beiden Söhnen – alte Bekannte aus der zur Notunterkunft umfunktionierten Halle, in der Hassan, Sahel und Abdul drei Monate verbracht haben. Zusammen mit mehr als 100 weiteren Flüchtlingen schliefen sie in Stockbetten hinter Absperrgittern. Bereits das zweite Massenquartier in Deutschland: Nach ihrer Ankunft am Stuttgarter Hauptbahnhof in den ersten Septembertagen waren die drei jungen Männer einige Wochen lang in einer Unterkunft der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe untergebracht.

Im Wohnzimmer stehen nur zwei kleine Tischchen

In Zuffenhausen hat die Odyssee nun ein vorläufiges Ende gefunden. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt Sahel auf Deutsch. Das Zimmer, welches er sich mit seinem Bruder Abdul und dem Cousin Hassan teilt, ist groß genug für drei schmale Betten und drei graue Spinde. Das Zimmer der Mitbewohner nebenan sieht fast identisch aus. Einige Kleider liegen verstreut auf den Betten, auf dem Fußboden reihen sich die Schuhe. Ein bisschen chaotisch, aber wohnlich. Allein das Wohnzimmer, das sich die sechs Männer teilen, wirkt bisher noch kahl: Zwei viereckige Holztische stehen in dem kalkweiß gestrichenen Raum. Ansonsten: Leere. An diesem Tag soll sich das ändern.

Nachdem unsere Zeitung Ende Januar vom Umzug der Syrer berichtet hatte, meldeten sich gleich mehrere Leser, die ihnen ein Sofa oder andere Möbelstücke spenden wollten. Ein großzügiges Angebot, das Hassan, Sahel und Abdul gerne angenommen haben: Eine Couch, so ihr Gedanke, könnte das quasi leer stehende Zimmer in ein echtes Wohnzimmer verwandeln.

An einem Mittag stehen die drei nun in der Wohnung von Silke Heim (Name auf Wunsch der Leserin geändert) in Bad Cannstatt. Zwei zusammengehörende Sofas will Heim Hassan, Sahel und Abdul mit auf den Weg geben. An ihrer Stelle wird demnächst ein Ecksofa stehen. Eine der beiden olivgrünen Couches haben die drei Männer bereits zerlegt. Sahel zeigt auf die zweite: „Wir müssen schauen, wie wir das auseinanderbekommen. Das ist sehr groß.“ Er schaut Heim an: „Können wir das in zwei Teile zerlegen?“ Eine gute Frage, bestätigt sie: „Das weiß ich nicht. Das wurde mir so geliefert.“

Der Deutschunterricht muss warten

Während Sahel und Hassan das Möbel noch von allen Seiten inspizieren, schnappt sich Abdul ein paar Polster, bringt sie nach unten in den Transporter. Vier Stockwerke läuft er unermüdlich hinauf und hinunter – still sitzen und warten, das ist nichts für ihn. Als er wieder oben ankommt, hat Silke Heim den Staubsauger in der Hand. Die Couch steht auseinandergeklappt vor ihr. Darin: eine Matratze. Das große Sofa hat sich als zusätzliche Schlafgelegenheit entpuppt. Mit dem Staubsauger bearbeitet Heim energisch Polster und Matratze. „Wir müssen uns ein bisschen beeilen“, drängt Sahel. „Unser Deutschunterricht fängt um 13.30 Uhr an.“ Doch Heim bleibt dabei: „Nein, so kann ich euch das nicht mitgeben!“

Seitdem ihr Asylantrag in Bearbeitung ist, haben Sahel, Hassan und Abdul täglich fünf Stunden Deutschunterricht. Eine gute Vorbereitung, sollten sie im März oder April tatsächlich Praktika in Stuttgart beginnen können. Sahel hat sich bereits bei mehreren Apotheken beworben – in Syrien arbeitete er nach einem abgeschlossenen Studium schon als Pharmazeut.

Abdul wird ungeduldig. Er streckt den Arm aus, bietet Heim Hilfe beim Saugen an. „Nein, das lassen wir“, wehrt sie ab. Abdul wendet sich an Hassan: Das erste Sofa soll hinunter. Zu zweit tragen sie die sperrige Couch aus dem Zimmer und über das Geländer die Treppe hinab. Kurze Zeit später hallen Gelächter und arabische Flüche aus dem Treppenhaus nach oben. Ein Nachbar steckt den Kopf aus der Wohnung und schimpft. So viel los ist hier wohl nicht immer.

Töpfe, Pfannen und ein Rührgerät

„Ging’s?“, will Heim wissen, als die beiden Syrer wieder im Wohnzimmer stehen. „Alles einfach“, sagt Hassan lässig und schiebt seine graue Wollmütze zurecht. Doch der zweite Teil liegt erst vor ihnen – und der ist weitaus mühseliger. Stockwerk für Stockwerk schleifen sie zu dritt das Schlafsofa treppab – nur um unten festzustellen, dass man das Möbel doch weiter hätte zerlegen können. „Super“, kommentiert Abdul trocken.

Im Nebenzimmer hat Heim noch mehr für die drei Männer vorbereitet: Bettwäsche, Decken, Töpfe, Pfannen, ein Rührgerät, Messer, Kleiderbügel, Kleidung. „Mein Sohn hat 17 Kilo abgenommen“, sagt Heim. „Der passt da nicht mehr rein.“ Die drei schmalen Syrer lassen die Kleidung zurück, packen ansonsten aber vieles mit ein. „Im Transporter ist ja ohnehin noch Platz, wo ist das Problem?“, sagt Sahel. Er denkt praktisch: „Wir haben schon Pfannen, aber die anderen nicht.“ Was sie selbst nicht gebrauchen können, wollen sie in dem Wohnblock verteilen, in dem ausschließlich Flüchtlinge leben. Derweil trägt Abdul bereits Taschen und Tüten im Laufschritt nach unten.

Eine Überraschung hat Silke Heim aber noch zu bieten: Gaisburger Marsch, gekocht und verpackt in seinen Einzelteilen. „Das sind Spätzle, das geschmelzte Zwiebeln, hier ist Rindfleisch, da sind Kartoffeln“, zählt sie auf und zeigt dabei auf bunte Tupperdosen. Auch einen Liter Brühe hat sie für die jungen Männer abgefüllt. „Das ist die Spezialität hier“, erklärt sie dem erstaunten Sahel, „das schmeckt euch bestimmt.“ Etwas skeptisch sind die drei Syrer da schon, das Angebot finden sie aber „sehr nett“.

Demnächst steht die Praktikumssuche an

Als der Stadtmobil-Transporter schließlich vor ihrer Wohnung in Zuffenhausen parkt, hat der Deutschunterricht bereits seit einer Viertelstunde angefangen. Doch es hilft alles nichts: Zuerst müssen die zwei olivgrünen Sofas in den zweiten Stock hinauf. Ein Mitbewohner schaut bereits aus dem Fenster, als das Auto schließlich auf dem Seitenstreifen steht. Alle packen kurzerhand mit an, „yalla, yalla“ – „auf, auf“, hört man immer wieder. Schon nach kurzer Zeit stehen Polster, Möbel und Tüten in der kleinen Wohnung. Im Treppenhaus öffnen sich die Türen, viele neugierige Blicke begleiten den Möbeltransport.

Im Wohnzimmer entspinnt sich eine längere Diskussion auf Arabisch: Die große Couch lässt sich nicht zusammenbauen. Eine letzte Hürde, doch nach viel Gestikulieren und Ausprobieren ist auch sie schließlich genommen: Die beiden Sofas stehen, der kleine Raum ist damit gut gefüllt. Zum Probesitzen lassen sich alle sechs Bewohner in die Polster fallen. Passt. Doch Sahel drängt zum Aufbruch: Der Sprachkurs wartet. Denn Ausruhen will er sich nicht auf dem, was sein Bruder, sein Cousin und er bisher erreicht haben. Sie glauben, dass sie es schaffen können in Deutschland. Dazu gehört als nächster Schritt nach der Wohnung die Anerkennung des Asylantrags – und der erste Ausflug in die Arbeitswelt. Gaisburger Marsch dürfte es da wohl erst mal nicht geben – aber mit Sicherheit so manche andere außergewöhnliche Überraschung.