Das SWR-Symphonieorchester bei seinem ersten Konzert im September 2016 Foto: SWR/Ute Ditz

In seinem dritten Abonnementkonzert hat das SWR-Symphonieorchester unter Christoph Eschenbach in der Liederhalle in Stuttgart gespielt. Mahlers Erste und „Orion“ von Kaija Saariaho gab es zu hören.

Stuttgart - Das große Ganze: Das ist das SWR-Symphonieorchester, das am Donnerstagabend im Beethovensaal sein drittes Stuttgarter Abonnementkonzert gibt. Das große Ganze besteht in diesem Fall aus 103 Teilen. 103 Musiker zweier aufgelöster Orchester sitzen gemeinsam an den Pulten, und zu hören ist passenderweise eingangs ein Werk, das die Spannung zwischen dem Kleinen und dem Großen, der Einzelgeste und der geballten Faust eines Orchester-Tuttis oder einer weiten Klangfläche zum Thema hat.

In „Orion“, einem 2003 komponierten dreisätzigen Orchesterwerk der Finnin Kaija Saariaho, entpuppt sich das große Ganze als ein feines Konglomerat aus kleinen Details. Die emanzipieren sich als flirrende Gesten im ersten Satz von der mächtigen Statik eines ansonsten recht traditionell funktionsharmonisch agierenden Klangblocks, etablieren im zweiten Satz als solistische Bläseraktionen über feinem Klangteppich eine sehr eigene Art von Schönheit, und die Klangmuskelpakete des Finales entstehen aus einer Vielzahl postminimalistischer Wiederholungen.

Am Pult steht Christoph Eschenbach: ein Mann der klaren Ansagen. Dessen sehr präzise Schlagtechnik mag zuweilen etwas pädagogisch oder auch allzu kleingliedrig anmuten, sie tut dem fusionierten Orchester aber ziemlich gut. Gemeinsam mit Eschenbach waren die SWR-Symphoniker gerade auf ihrer ersten Tournee (durch Spanien); auch dies mag den aktuellen Eindruck befördern, dass sich nämlich die unterschiedlichen Reaktionsmuster der beiden früheren Orchester anzunähern beginnen.

Hochglanz-Höhepunkte und Konzentrationsmängel

Zugegeben: Es gibt vor allem im zweiten Programmteil, bei Gustav Mahlers erster Sinfonie, Momente, in denen die Instrumentalisten zwar hochglanzpolierte, überaus wirkungsvolle Höhepunkte präsentieren, auf den Wegen dazwischen jedoch die letzte Konzentration und Koordination ein wenig aus den Ohren verlieren. Dann kommen Bläser oder Schlagwerk nicht ganz auf dem Punkt, dann fehlt den Streicherkollektiven noch ein Quäntchen an feiner Verschmelzung. Das ist vor allem dort der Fall, wo Eschenbach einen fast kammermusikalisch durchsichtigen Ton einfordert, wo er – wie etwa im Trio-Teil des zweiten (Scherzo-)Satzes – Mahlers Wiener Verwurzelung mit zarten, beweglich-beschwingten Walzerklängen herausstellen will oder wo er im Kondukt den Sound vorüberdefilierender Volksmusikkapellen in den Konzertsaal tönen lässt wie weiland durch das geöffnete Fenster in Mahlers Komponierstüble.

Im Gegenzug hört man bei der Wiederholung des Ländler-Themas ein Geigen-Pianissimo vom Feinsten. Nach dem (recht rasch genommenen) Trauermarsch haben die Spannungsfelder zwischen den disparaten Elementen des Finales zuweilen etwas fast Elektrisierendes, und mit großer Klarheit formt Eschenbach den Weg vom Chaos hin zur geordnet jubelnden Choral-Apotheose. Mahlers erste Sinfonie sei, schrieb nach deren Uraufführung der Musikkritiker Eduard Hanslick, „Musik, die keine ist“. Das ist gut 120 Jahre her und wirkt heute ziemlich gestrig – vor allem nach einer Aufführung mit Musikern, die welche sind.