„Electrica salsa – baba baba / Electrica salsa – mmh mmh“: Der Künstler Tobias Rehberger hat der ersten Single von Sven Väth und seinem Projekt „Organisation For Fun (OFF)“ aus dem Jahr 1986 ein Denkmal gesetzt. Foto: StZ/Reiner Pfisterer

Am 30. Juni legt Sven Väth auf dem Schlossplatz auf. Seit Kurzem ist er Gegenstand einer Ausstellung im neuen Museum of Modern Electronic Music (Momem) in Frankfurt, das von Stuttgart aus kuratiert wurde. Ein Besuch.

Es ist ein weiter Weg von den düsteren Clubs der 1980er und 1990er Jahre bis in die helle Gegenwart des ehemaligen Kindermuseums in Frankfurt. In Clubs wie der legendären Frankfurter Flughafendisco Dorian Gray oder dem Stuttgarter Oz beginnt der Siegeszug elektronischer Musik, der fast 40 Jahre später zur Eröffnung des Museums of Modern Electronic Music (Momem) in Frankfurt führt.

 

Das weltweit erste seiner Art liegt zwar an der Hauptwache, im Herzen Frankfurts, Gestaltung und Konzeption haben aber einen schwäbischen Migrationshintergrund: Der in Esslingen geborene und auf den Fildern aufgewachsene Künstler Tobias Rehberger hat die erste Ausstellung „It’s simple to tell what saved us from hell“ gestaltet, Torben Giese, der Direktor des Stadtpalais in Stuttgart, hat die Schau über DJ Sven Väth kuratiert.

Väth als Teil der Ausstellung im Kunstmuseum

Jener Sven Väth also, der 1993 an einem Mittwoch im Stuttgarter Oz eine ganze Generation junger Raver inspiriert, der später zum wichtigsten deutschen Techno-Export wird, zeitweise mit eigenem Privatjet, und der nun, am 30. Juni, nach Stuttgart zurückkehrt, um bei freiem Eintritt im Rahmenprogramm der Rehberger-Ausstellung im Kunstmuseum auf dem Schlossplatz aufzulegen.

Sven Väth selbst freut sich auf seinen Auftritt am Schlossplatz. „Mit Stuttgart hatte ich über all die Jahre eine intensive Affäre, gerade in den 1990ern. Da hatte ich eine Residence im Oz, zusammen mit Marco Zaffarano. Später habe ich oft im M1 gespielt und hatte immer coole Abende da“, erinnert sich Sven Väth an legendäre Nächte, und weiter: „Ein besonderes Highlight war 1999 die Party zur Sonnenfinsternis auf dem Pragsattel, indoor und outdoor im ehemaligen Prag. Das war ein wunderschönes Erlebnis.“

Um sich auf den nächsten Auftritt von Väth in Stuttgart adäquat vorzubereiten, ist ein Besuch im Frankfurter Momem angesagt. Gezeigt werden 20 000 weit gereiste Schallplatten, die Väth bei seinen Auftritten begleitet haben, chronologisch sortiert, von Depeche Mode über Sade in den 1980ern bis zum Techno-Produzenten-Sound der Gegenwart. Die Plattensammlung illustriert die Entwicklung einer ganzen Musikgattung: So hat sich der Soundtrack der Postmoderne entwickelt, mit dem Sampeln und Zitieren, mit dem Mixen von Schallplatten, mit denen Sven Väth bis heute auflegt. Der 57-Jährige beschäftigt mittlerweile einen eigenen Archivar, der aktuelle Platten für seine Auftritte einkauft.

Auf das Gestalten von DJ-Sets folgen schließlich eigene kompositorische Werke. Aus DJs werden Produzenten, die eigene Stücke veröffentlichen. Sven Väths erste Single „Electrica Salsa“ zum Beispiel, die er gemeinsam mit zwei anderen Musikschaffenden 1986 unter dem Projektnamen Organisation For Fun (OFF) veröffentlicht. Die Single verzaubert mit einem der besten Trompeteneinsätze der elektronischen Musik und einem Text, dessen dadaistische Botschaft bis heute an den Synapsen kleben bleibt: „Electrica salsa – baba baba / Electrica salsa – mmh mmh / Electrica salsa – aha aha. / Yubi du ba ba Yubi du ba ba Yubidubidubaba“.

Im Omen-Shirt in die Ausstellung

Das zur Single passende, von Tobias Rehberger gestaltete Kunstwerk wechselt im Momem auf ein Fingerschnippen hin die Farbe und lässt einen neben einer VR-Brille zur Ruhe kommen, durch die man Väth in verschiedenen Stadien seiner Karriere in Interviews verfolgen kann. Erkenntnisgewinn jenseits des Inhaltlichen: Väth gehört zu jenen Menschen, die mit dem Alter immer besser aussehen.

Durch die Ausstellung bewegen sich viele Musikenthusiasten. Techno kartografiert Deutschland anders als andere Milieus. Es geht nicht um Ku’damm, Zeil oder Königstraße, sondern um Nischen abseits des Mainstreams, um Schutzräume wie das von Sven Väth betriebene Omen in Frankfurt einer war. Frank Kusserow besucht die Ausstellung standesgemäß im Omen-T-Shirt. Kusserow taucht tief ein in Objekte, die eigene Erlebnisse triggern. Erinnerungen an längst vergangene Partynächte werden ausgetauscht.

Das konzeptionell beeindruckendste Statement der Ausstellungsmacher ist ihre Zurückhaltung: „Wir wollten nicht zu viel erklären, sonst wäre es wie bei einem guten Witz gewesen. Wenn man den erläutern muss, ist er nicht mehr witzig“, sagt Alex Azary, der Direktor des Momem. Tatsächlich schadet es nicht, wenn man der Ausstellung mit ein wenig Hintergrundwissen begegnet. Azary führt durch die unterschiedlichen Stationen, während eine Mitarbeiterin die 50 Kopfhörer desinfiziert, die von der Decke baumeln.

Die Kopfhörer vermitteln 40 Jahre Soundbeispiele der Väth’schen Karrie, Fotodokumente aus seiner Anfangszeit als DJ im Dorian Gray gibt es dagegen keine. Heute habe ein Event nicht stattgefunden ohne Würdigung bei Facebook und Instagram, sagt Azary, damals habe man noch feiern können, ohne fotografisch verewigt zu werden. In der Nase bleiben an dieser Stelle langsam verblassende Kräuterdüfte hängen. „Ich muss das Räucherstäbchen wieder anmachen“, sagt Azary, so würde es auch in Väths Wohnzimmer riechen.

Torben Giese kuratiert die erste Momem-Ausstellung

Torben Giese, der Direktor des Stuttgarter Stadtpalais, lobt die Zusammenarbeit mit Alex Azary und Tobias Rehberger und erklärt, wieso er die Ausstellung kuratiert hat. „Ich bin der Technoszene seit den 1990ern verbunden“, sagt Giese. Seit über zehn Jahren setzt er sich als Lobbyist für elektronische Musik in seinem Heimatbundesland Hessen ein. „Ich versuche, Festivals und Veranstaltungen zu retten, indem ich der Politik aufzeige, dass Technofans keine Pillen fressenden Monster sind.“ Das bestätigt sich auch bei der Eröffnung des Momems vor wenigen Wochen im April, als 3000 Besucher an der Hauptwache friedlich raven, nachdem die offizielle Eröffnungsfeier des Museums in der Frankfurter Paulskirche stattgefunden hat.

Giese lernt den Künstler Tobias Rehberger kennen, als der im vergangenen Jahr dem Stuttgarter Club On-U und dessen Betreibern, Ali und Basti Schwarz alias Tiefschwarz, im Stadtpalais ein Denkmal setzt. Rehberger liegt das Gelingen des Frankfurter Momems persönlich am Herzen. Als langjähriger Freund und Begleiter von Väth hat er einst unter anderem die Hülle von Väths Privatjet künstlerisch gestaltet. Der Bildhauer holt Giese mit ins Momem-Boot. So wird der Stuttgarter Museumsleiter in einem zeitaufwendigen Ehrenamt zum Kurator und Projektleiter des Museums in Frankfurt.

„Indem elektronische Musik musealisiert wird, bekommt sie den Respekt, den sie verdient“, erklärt Giese. „Techno ist die größte kulturelle Leistung, die Deutschland in den vergangenen 20 Jahren hervorgebracht hat. In Frankfurt und Berlin wurde deutsche Clubkultur erfunden.“ Und welche Rolle spielt Sven Väth in diesem Kontext? „Er vereint alle Elemente des DJs in einer Person. Väth erfindet den DJ als Star, er ist der erste seiner Art“, sagt Giese, dessen Beschäftigung mit elektronischer Musik aus der Perspektive des Fans begonnen hat. „In den 1990ern war ich ein Väthischist, er war wie ein Gott für uns, wir sind ihm hinterhergepilgert.“ Heute betrachtet er Väth und dessen musikalische Evolution mit dem Blick des Wissenschaftlers.

Was war die kuratorische Herausforderung bei der Eröffnungsausstellung im Momem? „Sven Väth gibt es in seinen Anfängen, vor der Digitalisierung, aus fotografischer Sicht nicht hinter dem DJ-Pult, sondern nur feiernd, mit Freunden, oder in anderen Kontexten“, greift Giese die Beobachtung von Alex Azary auf. „Konzeptionell hat es Sinn gemacht, Väth in verschiedenen Zeitzonen darzustellen, durch die VR-Brille betrachtet. Inhaltlich wollten wir die Metamorphosen zeigen, das Yin und Yang von Sven Väth: Einerseits ist er ein ausrastender Feierberserker, andererseits ein ruhiger, zurückhaltender Mensch.“

Vom Club ins Museum: ein Märchen

Gieses persönliches Highlight ist die Fotowand, die Väths Biografie in Bildern darstellt: „Dieser Green Room hat etwas Skulpturales. Das Medium Fotografie strahlt auf den Bildschirmen mehr, als wenn wir die Bilder ausgedruckt hätten. Die Schärfe ist beeindruckend.“

Wie wird das Momem in Zukunft aussehen, nach der Sonderschau über Sven Väth? „Das ist die entscheidende Aufgabenstellung: Wie könnte eine Dauerausstellung aussehen? Es ist kein 2000 Quadratmeter großes Museum für Techno“, sagt Giese, der aber noch nicht zu weit vorausdenken will, sondern den Moment auskosten möchte, denn: „Die Eröffnung hat sich wie ein Märchen angefühlt.“ Ein Techno-Märchen über den langen Weg aus düsteren Clubs hinein ins helle museale Licht.

Leistungskurs Sven Väth

Momem
Seit kurzem findet im Museum of Modern Electronic Music (Momem) ein zur Ausstellung über Sven Väth passendes Rahmenprogramm statt. Am Donnerstag wird von 20 bis 22 Uhr die Veranstaltung „ On Tour with Sven Väth“ angeboten. Maurizio Schmitz, Väths Agent und musikalischer Begleiter, plaudert aus dem Nähkästchen. Anmeldung auf der Website des Momem.

Schlossplatz
Am 30. Juni legt Sven Väth neben dem Kunstmuseum Stuttgart auf dem Schlossplatz auf, im Rahmen der Ausstellung „I do if I donʼt“ über Tobias Rehberger, von 18 bis 22 Uhr, Vorprogramm: Maurizio Schmitz.