Symbol Bosniens: Nach dem Bürgerkrieg wurde die weltberühmte Brücke von Mostar wieder aufgebaut Foto: Fotolia

Korruption, inkompetente Verwaltung und Dauerstreit unter Politikern haben Bosnien-Herzegowina in eine Sackgasse geführt. Kann die Wahl an diesem Sonntag daran noch etwas ändern?

SaRAJEwO - Sage einer, in Bosnien ginge nichts voran: In der letzten Legislaturperiode sind die Einkommen deutlich gestiegen – die der Politiker wenigstens. Die legalen Einkünfte von 160 Mandatsträgern, die das Zentrum für Enthüllungsjournalismus in Sarajewo ausgewertet hat, liegen im Durchschnitt bei 3500 Euro im Monat und damit beim Achtfachen des Durchschnittsgehalts. Ausgewertet wurden nur die gemeldeten, legalen Einkünfte – neben den niedrigen Gehältern vor allem „Beratungshonorare“ und Mieten aus Immobilien. „Auf die Schwarzkonten haben wir natürlich keinen Zugriff“, so ein Sprecher des Zentrums.

Am Sonntag werden die Pfründen neu verteilt. 13 Parlamente und vier Präsidenten dürfen die 3,2 Millionen Wähler in dem ewigen Nachkriegsland am Superwahltag neu bestellen. 518 Mandate sind zu verteilen. Überraschungen dürften wieder ausbleiben: Unter den Kandidaten für die Präsidentenämter ist kaum einer, der nicht schon zu Kriegszeiten, also vor 1995, im Rennen war. Auch die Parteien sind sattsam bekannt. In den vergangenen Monaten hatten zahlreiche westliche Botschafter ganz und gar undiplomatisch die Politiker des kleinen Balkanlandes als inkompetent, eitel, korrupt und unkultiviert hingestellt.

Die Hilfeorganisation USAID veröffentlichte einen Videospot mit dem Titel „Stimm ab oder leide!“. Zwischen den Zeilen steht die Aufforderung, den unfähigen Politikern einen Denkzettel zu verpassen. Denn das Land mit den nicht einmal vier Millionen Einwohnern bietet in Europa nur negative Rekorde: horrende Arbeitslosigkeit, zerstörte Industrie, zerrüttete Infrastruktur, Auslandsinvestitionen auf niedrigstem Niveau, Korruption allerorten.

Nach dem Bürgerkrieg (1992–1995) wurde ein komplizierter Staatsaufbau festgelegt, der schlicht nicht taugt. Die zwei Landesteile, in denen die Serben auf der einen und die Bosniaken und Kroaten auf der anderen Seite das Sagen haben, arbeiten nach Kräften gegeneinander. Mehr noch: Die Serbenrepublik will seit Jahren den bosnischen Staat verlassen und sich der benachbarten Mutterrepublik Serbien anschließen, was die USA und die EU bisher verhindern konnten.

Der Präsident des anderen Landesteils, Zivko Budimir, bezeichnet die Serbenrepublik mit Blick auf serbische Gräuel im Krieg als „Völkermordgebilde“, das zugunsten eines starken Gesamtstaats aufgelöst werden müsse. Abgesehen von den beiden Landeshälften existieren noch zehn weitgehend selbstständige Kantone sowie der von beiden Landesteilen gemeinsam verwaltete Distrikt Brcko im Norden.

Im vergangenen Februar resignierte die EU nach jahrelangen erfolglosen Bemühungen, dem zerstrittenen Land durch eine Verfassungsreform eine Lebensperspektive zu bieten. Wenige Tage später kam es im ganzen Land zu sozialen Unruhen. In Sarajewo und Tuzla setzten die Demonstranten Regierungsgebäude in Brand. Doch die kurz aufgeflackerte Aufbruchstimmung, die durch den erzwungenen Rücktritt einiger Politiker und durch basisdemokratische Foren entstanden war, ist schon längst verflogen.

Eine Unzahl bunter Plakate hat das Land überzogen. Bei den Versprechungen hat die muslimische Partei der demokratischen Aktion (SDA) die Nase vorn: 100 000 neue Jobs verspricht ihr Präsidentschaftskandidat Bakir Izetbegovic, wenn man ihn wählt. Tatsächlich geht die Zahl der Beschäftigten zurück. Bei 43 Prozent liegt die registrierte Arbeitslosigkeit.

Noch immer blockieren die drei Volksgruppen – muslimische Bosniaken, Serben und Kroaten – einander nach Kräften. Gerade einmal 106 Gesetze hat das Parlament in der letzten Periode beschlossen, ein Minusrekord; in Kroatien waren es im gleichen Zeitraum 750 und in Montenegro 350.

Knapp drei Jahre ist es her, dass das Land einmal unmittelbar davorstand, einen offiziellen Antrag auf EU-Beitritt zu stellen. Seit kurz darauf die Regierung zerbrach, ist daran kein Denken mehr.    Im Februar hatte es noch so ausgesehen, als täte sich doch noch etwas: Überall im Land, vor allem im bosniakisch-kroatischen Landesteil, waren Zehntausende auf die Straße gegangen.

Ein gutes halbes Jahr später ist von der Aufbruchsstimmung nichts mehr zu spüren. Eine einzige neue Formation ist aus dem „bosnischen Frühling“ hervorgegangen – die Erste Partei, die aber nur im nordwestlichen Kanton um Bihac antritt und mit der energischen Seherzada Delic eine der wenigen Galionsfiguren der Demos vorweisen kann. Im Rest des Landes haben die Bürgerforen, die nach der Bewegung entstanden, sich auf Wahlboykott oder auf „Vernichtung des Stimmzettels“ verlegt. Aber wählen und boykottieren sind gleich sinnlos: Wer wählt, stärkt nur eine der einander blockierenden Gruppen – und wer es lässt, macht die je andere stärker.

Nach der Dayton-Verfassung von 1995 hat das Land drei Präsidenten: einen bosniakischen, einen serbischen, einen kroatischen. Ein Jude und ein Roma, die beide niemals Präsident werden können, hatten gegen die Bestimmung ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erstritten. Die westlichen Botschafter sowie die EU-Kommission versteiften sich in der Folge darauf, dass das Urteil auch umgesetzt wird. Das ist bis heute nicht geschehen, hat die Politszene des Landes aber so extensiv beschäftigt, dass für die Lösung der sozialen Probleme keine Zeit blieb.

Alle drei Präsidentenämter sind heftig umkämpft. Vor allem die Bosniaken, mit knapp 50 Prozent die stärkste Bevölkerungsgruppe, haben zwischen wenig verlockenden Alternativen zu wählen. Auf der einen Seite steht Bakir Izetbegovic (58), der Sohn des Gründungspräsidenten Alija Izetbegovic, dem etliche Korruptionsaffären nachgesagt werden und der mit demonstrativer Nähe zum türkischen Autokraten Recep Tayip Erdogan einer sich ausbreitenden protürkischen, islamischen und antieuropäischen  Stimmung Ausdruck gibt.

Sein stärkster Konkurrent, Fahrudin Radoncic (57), zieht dagegen die „europäische Autobahn“ der „türkischen Schotterstraße“ vor, wie er sagt. Als Medienmogul, umstrittener Geschäftsmann mit Beziehungen zu einem kosovarischen Drogenboss und Held einer perspektivlosen Vorstadtjugend bürgt aber auch Radoncic nicht eben für einen Neubeginn.

Wirklich spannend wird die Wahl nur im serbischen Landesteil, der Republik Srpska. Deren Präsident Milorad Dodik (55) muss um sein Amt fürchten, nachdem die Armut dramatische Ausmaße erreicht hat. Im Land leben mehr Rentner als Beschäftigte. Die Gehälter stiegen in den letzten vier Jahren um 20, die die Renten um 14 Euro, aber der Lebensmittel-Warenkorb wurde um 90 Euro teurer. Inzwischen haben sogar die Kriegsveteranen, bislang Dodiks verlässlichste Stütze, in der Hauptstadt Banja Luka Zelte im Park aufgebaut und verlangen den Umbau der Regierung. In seiner Not antichambrierte Dodik in den letzten Wochen heftig beim russischen Präsidenten Wladimir Putin, kam nach einem Moskau-Besuch aber nur mit einem mageren Kredit und einigen freundlichen Worten nach Hause.